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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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ragenden Provinzblätter und einzelner deutscher Zeitungen, welche entweder
mit dem Preßhureau in Verbindung stehen oder sich durch ihre Wiener Cor-
respondenten in den Streit hineinziehen ließen.

Die Verfassungsfrage scheint die Krisis anne gemacht zusahen, die per¬
sönlichen Differenzen gewannen dadurch wenigstens prime'pickte Vorwände. Daß
etwas geschehen müsseum die Volkswünsche zu befriedigen steht fest; die Mehr¬
heit im Ministerium jedoch wie im wesentlichen die Partei, aus welcher es
hervorgegangen ist, schrickt vor dem Gedanken zurück, an der Verfassung zu
ändern und will sich damit begnügen , die Zahl der Reichsrathsmitglieder zu
verdoppeln, allenfalls die Abgeordneten direct anstatt durch die Landtage
wählen zu lassen. Und das wäre keine Verfassungsänderung? Man behauptet
so. Die Regierung hoffte die Neuerung ohne Eclat ins Leben führen zu
können, indem sie den Landtagen nahe legte, selbst auf das Wahlrecht für
den Reichsrath zu verzichten. Natürlich wollte man aber in allen jenen
Ländern von der Zumuthung nichts wissen, wo vermittelst der höheren kunst¬
reichen Schmerling'schen Wahlordnung Minoritäten im Lande die Mehrheit
im Landtage besitzen. Anstatt eines Substrats für einen Gesetzentwurf er¬
hielt die Regierung in den Voden der Landtage nur den deutlichsten Beweis,
daß jedes System auf wenigstens ebensoviel Widerstand wie Zustimmung
stoßen werde. Wie man sich aus dieser Verlegenheit zu helfen suchen wird,
ist noch nicht bekannt, aber es läßt sich Eins gegen Hundert wetten, daß
wieder eine halbe Maßregel zum Vorschein kommen wird

Das bestehende Wahlsystem, welches nicht nur die Classen acceptirt, son¬
dern auch noch Elemente der ständischen und der Interessenvertretung damit
vermengt hat, ist unleugbar eines der schlechtesten, die nur erdacht werden
können; und wie man sich auch drehen und sperren möge, es wird über kurz
oder lang das allgemeine Wahlrecht anerkannt werden müssen, wenn auch
durch einen größeren Census begrenzt, -- denn daß, wer über das Wohl
des Staates mitreden will, auch irgend ein noch so geringes Interesse an
dessen Bestände haben müsse, ist ein Satz, welcher bei den inneren Verhält¬
nissen Oestreichs gegen jede andere Theorie verfochten werden kann und
muß. Entschlösse man sich, in diesem Sinne vorzugehen, so würde eine Haupt¬
quelle der Unzufriedenheit verstopft; wird wieder gewartet, bis die jetzt Aus¬
geschlossenen die Zulassung ertrotzen, so muß selbstverständlich viel mehr be¬
willigt werden, ohne daß es günstigen Eindruck macht.

Aber die Frage ist in Oestreich keine ausschließlich politische, und mit
politischen Rechten allein ist Befriedigung nicht herzustellen. Das hat eben jene
Partei erkannt, welche ich die östreichische nenne. Zehn Jahre des Scheinconsti"
tutionalismus und des parlamentarischen Regiments haben el n eWahrheithand¬
greiflich deducirt: die slavischen Völkerschaften Oestreichs achten auch das höchste


ragenden Provinzblätter und einzelner deutscher Zeitungen, welche entweder
mit dem Preßhureau in Verbindung stehen oder sich durch ihre Wiener Cor-
respondenten in den Streit hineinziehen ließen.

Die Verfassungsfrage scheint die Krisis anne gemacht zusahen, die per¬
sönlichen Differenzen gewannen dadurch wenigstens prime'pickte Vorwände. Daß
etwas geschehen müsseum die Volkswünsche zu befriedigen steht fest; die Mehr¬
heit im Ministerium jedoch wie im wesentlichen die Partei, aus welcher es
hervorgegangen ist, schrickt vor dem Gedanken zurück, an der Verfassung zu
ändern und will sich damit begnügen , die Zahl der Reichsrathsmitglieder zu
verdoppeln, allenfalls die Abgeordneten direct anstatt durch die Landtage
wählen zu lassen. Und das wäre keine Verfassungsänderung? Man behauptet
so. Die Regierung hoffte die Neuerung ohne Eclat ins Leben führen zu
können, indem sie den Landtagen nahe legte, selbst auf das Wahlrecht für
den Reichsrath zu verzichten. Natürlich wollte man aber in allen jenen
Ländern von der Zumuthung nichts wissen, wo vermittelst der höheren kunst¬
reichen Schmerling'schen Wahlordnung Minoritäten im Lande die Mehrheit
im Landtage besitzen. Anstatt eines Substrats für einen Gesetzentwurf er¬
hielt die Regierung in den Voden der Landtage nur den deutlichsten Beweis,
daß jedes System auf wenigstens ebensoviel Widerstand wie Zustimmung
stoßen werde. Wie man sich aus dieser Verlegenheit zu helfen suchen wird,
ist noch nicht bekannt, aber es läßt sich Eins gegen Hundert wetten, daß
wieder eine halbe Maßregel zum Vorschein kommen wird

Das bestehende Wahlsystem, welches nicht nur die Classen acceptirt, son¬
dern auch noch Elemente der ständischen und der Interessenvertretung damit
vermengt hat, ist unleugbar eines der schlechtesten, die nur erdacht werden
können; und wie man sich auch drehen und sperren möge, es wird über kurz
oder lang das allgemeine Wahlrecht anerkannt werden müssen, wenn auch
durch einen größeren Census begrenzt, — denn daß, wer über das Wohl
des Staates mitreden will, auch irgend ein noch so geringes Interesse an
dessen Bestände haben müsse, ist ein Satz, welcher bei den inneren Verhält¬
nissen Oestreichs gegen jede andere Theorie verfochten werden kann und
muß. Entschlösse man sich, in diesem Sinne vorzugehen, so würde eine Haupt¬
quelle der Unzufriedenheit verstopft; wird wieder gewartet, bis die jetzt Aus¬
geschlossenen die Zulassung ertrotzen, so muß selbstverständlich viel mehr be¬
willigt werden, ohne daß es günstigen Eindruck macht.

Aber die Frage ist in Oestreich keine ausschließlich politische, und mit
politischen Rechten allein ist Befriedigung nicht herzustellen. Das hat eben jene
Partei erkannt, welche ich die östreichische nenne. Zehn Jahre des Scheinconsti»
tutionalismus und des parlamentarischen Regiments haben el n eWahrheithand¬
greiflich deducirt: die slavischen Völkerschaften Oestreichs achten auch das höchste


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[0501] ragenden Provinzblätter und einzelner deutscher Zeitungen, welche entweder mit dem Preßhureau in Verbindung stehen oder sich durch ihre Wiener Cor- respondenten in den Streit hineinziehen ließen. Die Verfassungsfrage scheint die Krisis anne gemacht zusahen, die per¬ sönlichen Differenzen gewannen dadurch wenigstens prime'pickte Vorwände. Daß etwas geschehen müsseum die Volkswünsche zu befriedigen steht fest; die Mehr¬ heit im Ministerium jedoch wie im wesentlichen die Partei, aus welcher es hervorgegangen ist, schrickt vor dem Gedanken zurück, an der Verfassung zu ändern und will sich damit begnügen , die Zahl der Reichsrathsmitglieder zu verdoppeln, allenfalls die Abgeordneten direct anstatt durch die Landtage wählen zu lassen. Und das wäre keine Verfassungsänderung? Man behauptet so. Die Regierung hoffte die Neuerung ohne Eclat ins Leben führen zu können, indem sie den Landtagen nahe legte, selbst auf das Wahlrecht für den Reichsrath zu verzichten. Natürlich wollte man aber in allen jenen Ländern von der Zumuthung nichts wissen, wo vermittelst der höheren kunst¬ reichen Schmerling'schen Wahlordnung Minoritäten im Lande die Mehrheit im Landtage besitzen. Anstatt eines Substrats für einen Gesetzentwurf er¬ hielt die Regierung in den Voden der Landtage nur den deutlichsten Beweis, daß jedes System auf wenigstens ebensoviel Widerstand wie Zustimmung stoßen werde. Wie man sich aus dieser Verlegenheit zu helfen suchen wird, ist noch nicht bekannt, aber es läßt sich Eins gegen Hundert wetten, daß wieder eine halbe Maßregel zum Vorschein kommen wird Das bestehende Wahlsystem, welches nicht nur die Classen acceptirt, son¬ dern auch noch Elemente der ständischen und der Interessenvertretung damit vermengt hat, ist unleugbar eines der schlechtesten, die nur erdacht werden können; und wie man sich auch drehen und sperren möge, es wird über kurz oder lang das allgemeine Wahlrecht anerkannt werden müssen, wenn auch durch einen größeren Census begrenzt, — denn daß, wer über das Wohl des Staates mitreden will, auch irgend ein noch so geringes Interesse an dessen Bestände haben müsse, ist ein Satz, welcher bei den inneren Verhält¬ nissen Oestreichs gegen jede andere Theorie verfochten werden kann und muß. Entschlösse man sich, in diesem Sinne vorzugehen, so würde eine Haupt¬ quelle der Unzufriedenheit verstopft; wird wieder gewartet, bis die jetzt Aus¬ geschlossenen die Zulassung ertrotzen, so muß selbstverständlich viel mehr be¬ willigt werden, ohne daß es günstigen Eindruck macht. Aber die Frage ist in Oestreich keine ausschließlich politische, und mit politischen Rechten allein ist Befriedigung nicht herzustellen. Das hat eben jene Partei erkannt, welche ich die östreichische nenne. Zehn Jahre des Scheinconsti» tutionalismus und des parlamentarischen Regiments haben el n eWahrheithand¬ greiflich deducirt: die slavischen Völkerschaften Oestreichs achten auch das höchste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/501>, abgerufen am 22.07.2024.