Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.Vielleicht besteht dieses Cabinet schon nicht mehr in dem Augenblick wo Vielleicht besteht dieses Cabinet schon nicht mehr in dem Augenblick wo <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0500" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/122255"/> <p xml:id="ID_1411" next="#ID_1412"> Vielleicht besteht dieses Cabinet schon nicht mehr in dem Augenblick wo<lb/> ich schreibe, denn eben jetzt geht das Gerücht, dasselbe habe den Kaiser um<lb/> seine Entlassung gebeten. Und sollte es gelingen, den Riß noch einmal zu<lb/> verkitten, für längere Zeit hält diese Combination auf keinen Fall mehr.<lb/> Daß dieses mit so großen Hoffnungen begrüßte Ministerium ein derartig<lb/> klägliches Euch nehmen werde, war freilich schon vor längerer Zeit voraus¬<lb/> zusehen, die Schwierigkeiten begannen ja schon ehe es noch constituirt war.<lb/> Eine Verfassung, welche zu den liberalsten gehört, war vom Reichsrath be¬<lb/> schlossen, vom Kaiser sanctionirt worden, Versöhnung der Nationalitäten auf<lb/> der Basis der Freiheit war die Parole. Aber schon als es sich darum<lb/> handelte, dieses Programm durchzuführen, zeigte sich wenig rechtes Vertrauen<lb/> zu demselben. Herbst machte immer neue Schwierigkeiten, verlangte bal<lb/> dieses, bald jenes Portefeuille, trat bald ganz zurück und doch bestanden die<lb/> Uebrigen darauf, ihn in ihrer Mitte zu haben, weil sie sich nichts weniger<lb/> als aufrichtiger Unterstützung von ihm versahen, falls er Führer der Majorität<lb/> des Abgeordnetenhauses geblieben wäre. Brestel hatte von jeher einer viel<lb/> weitergehenden Autonomie das Wort geredet, als von der centralistisch ge¬<lb/> sinnten Mehrheit zugestanden worden war, und nur aus Parteidiseiplin<lb/> verstand er sich zum Eintritt in das Cabinet. Berger neigt ebenfalls der<lb/> föderalistischen Partei zu, während Hafner nur mit großem Widerstreben<lb/> den Dualismus als lÄit aeeomM anerkannte. Fürst Auersperg wurde der<lb/> Sache bald überdrüssig; angebliche Einmischungen Beust's in die inneren An¬<lb/> gelegenheiten Westöstreichs gaben ihm den Vorwand zum Rücktritt, doch<lb/> wußte Jedermann, daß der Fürst die Aufgabe zu unerfreulich fand, die dis-<lb/> paraten Elemente der Regierung zusammenzuhalten. Aspiranten aus das<lb/> Präsidium barg das Ministerium in mehrfacher Anzahl, da aber Niemand<lb/> sich einem Seinesgleichen unterordnen mochte und keiner von den verfassungs¬<lb/> treuen „Cavalieren" sich zur Rolle eines bloß repräsentirenden Vorsitzenden<lb/> hergeben wollte, einigten sich alle dahin, den Polizeiminister Grafen Taafe<lb/> zum Präsidenten zu verlangen, denselben Mann, welchen sie als Buraukraten<lb/> nur widerwillig, nur weil Beust es entschieden verlangte, unter sich auf¬<lb/> genommen hatten, und den lächerlich zu machen die vertrauten Organe des<lb/> einen oder anderen seiner Collegen unablässig bemüht gewesen waren. Nun<lb/> scheint er aber doch nicht ganz so willenlos und fügsam gewesen zu sein, wie<lb/> man hoffte, denn die Agitation gegen ihn begann unmittelbar nachdem „das<lb/> Vertrauen" sämmtlicher Minister ihn an die Spitze des Cabinets gebracht<lb/> hatte. Ueberhaupt wurde nie zuvor die öffentliche Meinung so prompt über<lb/> die Stimmungen und Stellungen im Schooße der Regierung aufgeklärt, wie<lb/> gegenwärtig, die Neckereien und offnen Anschuldigungenzwischen den verschiede¬<lb/> nen Fractionen belebten fortwährend die Spalten der Wiener und der hervor-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0500]
Vielleicht besteht dieses Cabinet schon nicht mehr in dem Augenblick wo
ich schreibe, denn eben jetzt geht das Gerücht, dasselbe habe den Kaiser um
seine Entlassung gebeten. Und sollte es gelingen, den Riß noch einmal zu
verkitten, für längere Zeit hält diese Combination auf keinen Fall mehr.
Daß dieses mit so großen Hoffnungen begrüßte Ministerium ein derartig
klägliches Euch nehmen werde, war freilich schon vor längerer Zeit voraus¬
zusehen, die Schwierigkeiten begannen ja schon ehe es noch constituirt war.
Eine Verfassung, welche zu den liberalsten gehört, war vom Reichsrath be¬
schlossen, vom Kaiser sanctionirt worden, Versöhnung der Nationalitäten auf
der Basis der Freiheit war die Parole. Aber schon als es sich darum
handelte, dieses Programm durchzuführen, zeigte sich wenig rechtes Vertrauen
zu demselben. Herbst machte immer neue Schwierigkeiten, verlangte bal
dieses, bald jenes Portefeuille, trat bald ganz zurück und doch bestanden die
Uebrigen darauf, ihn in ihrer Mitte zu haben, weil sie sich nichts weniger
als aufrichtiger Unterstützung von ihm versahen, falls er Führer der Majorität
des Abgeordnetenhauses geblieben wäre. Brestel hatte von jeher einer viel
weitergehenden Autonomie das Wort geredet, als von der centralistisch ge¬
sinnten Mehrheit zugestanden worden war, und nur aus Parteidiseiplin
verstand er sich zum Eintritt in das Cabinet. Berger neigt ebenfalls der
föderalistischen Partei zu, während Hafner nur mit großem Widerstreben
den Dualismus als lÄit aeeomM anerkannte. Fürst Auersperg wurde der
Sache bald überdrüssig; angebliche Einmischungen Beust's in die inneren An¬
gelegenheiten Westöstreichs gaben ihm den Vorwand zum Rücktritt, doch
wußte Jedermann, daß der Fürst die Aufgabe zu unerfreulich fand, die dis-
paraten Elemente der Regierung zusammenzuhalten. Aspiranten aus das
Präsidium barg das Ministerium in mehrfacher Anzahl, da aber Niemand
sich einem Seinesgleichen unterordnen mochte und keiner von den verfassungs¬
treuen „Cavalieren" sich zur Rolle eines bloß repräsentirenden Vorsitzenden
hergeben wollte, einigten sich alle dahin, den Polizeiminister Grafen Taafe
zum Präsidenten zu verlangen, denselben Mann, welchen sie als Buraukraten
nur widerwillig, nur weil Beust es entschieden verlangte, unter sich auf¬
genommen hatten, und den lächerlich zu machen die vertrauten Organe des
einen oder anderen seiner Collegen unablässig bemüht gewesen waren. Nun
scheint er aber doch nicht ganz so willenlos und fügsam gewesen zu sein, wie
man hoffte, denn die Agitation gegen ihn begann unmittelbar nachdem „das
Vertrauen" sämmtlicher Minister ihn an die Spitze des Cabinets gebracht
hatte. Ueberhaupt wurde nie zuvor die öffentliche Meinung so prompt über
die Stimmungen und Stellungen im Schooße der Regierung aufgeklärt, wie
gegenwärtig, die Neckereien und offnen Anschuldigungenzwischen den verschiede¬
nen Fractionen belebten fortwährend die Spalten der Wiener und der hervor-
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