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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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und später der Commission desselben zugestanden hat, die preußische Pairie
in der Abneigung wesentlich bestärkt haben, welche dieselbe der Vorlage von
Hause aus entgegen trug. Es wird eines sehr nachhaltigen Druckes von
Seiten der Regierung und des Hoses bedürfen, um "die Vertreter der con-
servativen Staatsinteressen" auch dieses Mal zum Nachgeben zubewegen und
die Opposition auf die näheren Freunde des Grafen zur Lippe zu be¬
schränken. Hat das Herrenhaus doch seit den Tagen seiner Zusammensetzung
stets an einer aus egoistischen Eigensinn und schwächlicher Gefügigkeit zu¬
sammengesetzten Politik festgehalten, welche man in Preußen die conservative
nennt, obgleich sie gleich systematisch für Herabdrückung des Ansehens der
Elemente gesorgt hat, welche sich berufen hielten, dem demokratischen Zuge der
Zeit hemmend in den Weg zu treten. Niemanden ist die Demokratie für ihre
Herrschaft über die Gemüther so tief verpflichtet, wie den Körperschaften,
welche in Deutschland die Rolle der Pairie spielten, obgleich ihnen alle Eigen¬
schaften einer solchen fehlen. Das Berliner Herrenhaus, das sich bisher als
Hauptträger der Politik betrachtete, welche die Erfolge von 1866 möglich
machte, hat sich durch die Aufnahme einer bundesfeindlichen Politik geradezu
den Rest gegeben und seine Unfähigkeit nach einer Seite hin nachgewiesen.

Zu den bemerkenswerthen deutschen Ereignissen der letzten Wochen sind
auch die Vorgänge in den beiden Häusern des sächsischen Landtags zu
zählen. Während die zweite Kammer einen Fleiß und eine Regsamkeit
bewies, welche zu der indolenten Haltung der nach dem früheren System
gewählten Volksvertretung in anerkennenswerthem und erfreulichem Ge¬
gensatz steht, haben die in Dresden versammelten sächsischen "Herren" unter
Vortritt des Grafen Hohenthal einen Versuch gegen die Ausdehnung der
Bundescomvetenz auf das Rechtsgebiet unternommen, der von der Un¬
belehrbarkeit gewisser Leute erfreuliches Zeugniß ablegt und dem sich der
in die zweite Kammer gebrachte Antrag des Abgeordneten Sachße würdig
anreiht. Dem Justizminister Dr. Schneider ist durch die Querköpfigkeit
der sächsischen Ultras zu einem Bekenntniß bundestreuer Gesinnung Ver¬
anlassung gegeben worden, von dem wir bereitwillig Act nehmen. In
Sachsen, wo die materiellen Interessen des gesammten Landes an der Ent¬
wickelung der neuen Ordnung der Dinge aufs stärkste interessirt sind, müssen
gelegentliche Ausbrüche particularistischer Kurzsichtigkeit besonders dankbar auf¬
genommen werden; denn sie errinnern die Bevölkerung immer wieder daran,
wohin sie naturgemäß gravitirt und constatiren außerdem, daß die politische
Krankheit, welche durch ein System künstlicher Unterbindung der gesunden
Organe herbeigeführt und erhalten worden war, in der Abnahme begriffen
ist und ihre Ursache nicht lang überleben wird.




und später der Commission desselben zugestanden hat, die preußische Pairie
in der Abneigung wesentlich bestärkt haben, welche dieselbe der Vorlage von
Hause aus entgegen trug. Es wird eines sehr nachhaltigen Druckes von
Seiten der Regierung und des Hoses bedürfen, um „die Vertreter der con-
servativen Staatsinteressen" auch dieses Mal zum Nachgeben zubewegen und
die Opposition auf die näheren Freunde des Grafen zur Lippe zu be¬
schränken. Hat das Herrenhaus doch seit den Tagen seiner Zusammensetzung
stets an einer aus egoistischen Eigensinn und schwächlicher Gefügigkeit zu¬
sammengesetzten Politik festgehalten, welche man in Preußen die conservative
nennt, obgleich sie gleich systematisch für Herabdrückung des Ansehens der
Elemente gesorgt hat, welche sich berufen hielten, dem demokratischen Zuge der
Zeit hemmend in den Weg zu treten. Niemanden ist die Demokratie für ihre
Herrschaft über die Gemüther so tief verpflichtet, wie den Körperschaften,
welche in Deutschland die Rolle der Pairie spielten, obgleich ihnen alle Eigen¬
schaften einer solchen fehlen. Das Berliner Herrenhaus, das sich bisher als
Hauptträger der Politik betrachtete, welche die Erfolge von 1866 möglich
machte, hat sich durch die Aufnahme einer bundesfeindlichen Politik geradezu
den Rest gegeben und seine Unfähigkeit nach einer Seite hin nachgewiesen.

Zu den bemerkenswerthen deutschen Ereignissen der letzten Wochen sind
auch die Vorgänge in den beiden Häusern des sächsischen Landtags zu
zählen. Während die zweite Kammer einen Fleiß und eine Regsamkeit
bewies, welche zu der indolenten Haltung der nach dem früheren System
gewählten Volksvertretung in anerkennenswerthem und erfreulichem Ge¬
gensatz steht, haben die in Dresden versammelten sächsischen „Herren" unter
Vortritt des Grafen Hohenthal einen Versuch gegen die Ausdehnung der
Bundescomvetenz auf das Rechtsgebiet unternommen, der von der Un¬
belehrbarkeit gewisser Leute erfreuliches Zeugniß ablegt und dem sich der
in die zweite Kammer gebrachte Antrag des Abgeordneten Sachße würdig
anreiht. Dem Justizminister Dr. Schneider ist durch die Querköpfigkeit
der sächsischen Ultras zu einem Bekenntniß bundestreuer Gesinnung Ver¬
anlassung gegeben worden, von dem wir bereitwillig Act nehmen. In
Sachsen, wo die materiellen Interessen des gesammten Landes an der Ent¬
wickelung der neuen Ordnung der Dinge aufs stärkste interessirt sind, müssen
gelegentliche Ausbrüche particularistischer Kurzsichtigkeit besonders dankbar auf¬
genommen werden; denn sie errinnern die Bevölkerung immer wieder daran,
wohin sie naturgemäß gravitirt und constatiren außerdem, daß die politische
Krankheit, welche durch ein System künstlicher Unterbindung der gesunden
Organe herbeigeführt und erhalten worden war, in der Abnahme begriffen
ist und ihre Ursache nicht lang überleben wird.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/498>, abgerufen am 22.07.2024.