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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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ist -- Schlegel ein Unrecht erlitt, ohne daß Schiller ihm ein Unrecht that;
beide, der angreifende Satiriker wie der angegriffene Autor, beide sind ge¬
rechtfertigt. --

Schlegel's Buch war die Frucht des ernsten Strebens seiner Jugend¬
jahre. Er selbst bezeichnete es in späterem Alter als "den Anfang und die
Grundlage aller seiner Arbeiten und Studien über das classische Alterthum*)."
Er hatte es nicht voreilig unternommen. Ganz dem Alterthum zugewandt,
innerlich beglückt in der Nähe der classischen Welt, emporgehoben durch den
Verkehr mit den Geistern, die jene Welt beherrschten, hatte er schon früh den
Gedanken einer Arbeit gefaßt, welche wohl die Mühen eines ganzen Lebens
lohnen konnte. Er wollte für die Geschichte der alten Literatur ein Winckel-
mann werden. Was Herder schon vor Jahrzehnten verlangt und erhofft
hatte**), das sollte durch ihn zur Erfüllung kommen. Was er unternahm,
war durch die Zeit gefordert. Auf ein Werk, wie er es im Sinne trug,
wiesen die edelsten Bestrebungen hin, die seit Winckelmann und Herder in un¬
serer Literatur rege geworden. Er durfte hoffen, durch ein solches Werk un¬
mittelbar fortzuleiten, was jene Geister begonnen hatten.

Den Grundgedanken dieses Werkes, das freilich bei dem damaligen
Stande der philologischen Studien und, bekennen wir es nur, bei der Be¬
schaffenheit des Schlegel'schen gelehrten Wissens im Einzelnen nur ungenügend
hätte ausfallen können -- den Grundgedanken faßte er unstreitig in seiner
ganzen Weite und Tiefe. Sein Blick war auf das Alterthum gerichtet, aber
um sich von dort Heller und schärfer auf die Gegenwart zurückzuwenden.
Wenn eine geschichtliche Darstellung vom Werden, Sein und Vergehen der
antiken Dichtkunst der Entwickelung der neuen Literatur förderlich werden
sollte, so mußte vor Allem das Verhältniß der modernen zur antiken Kunst¬
bildung untersucht und festgestellt werden.

Diese Aufgabe hatte Schlegel in seinem Erstlingswerke über "die Grie¬
chen und Römer" kühn ins Auge gefaßt. Die große Erscheinung der an-




*) In der Borrede zum fünften Bande der Werke.
") Schon 1767, in der zweiten Sammlung der Fragmente über die neuere deutsche
Literatur (S. 273) hatte Herder die denkwürdige Frage gethan: "Wo ist aber noch ein deut¬
scher Winckelmann, der uns den Tempel der griechischen Weisheit und Dichtkunst so eröffne,
als er den Künstlern das Geheimniß der Griechen von ferne gezeigt?" -- Und er fährt fort:
"Diese Geschichte der griechischen Dichtkunst und Weisheit, zwei Schwestern, die nie bei ihnen
getrennt gewesen, soll den Ursprung, das Wachsthum, die Veränderungen und den Fall der¬
selben nebst dem verschiedenen Stil der Gegenden, Zeiten und Dichter lehren, und dieses aus
den übrig gebliebenen Werken des Alterthums durch Proben und Zeugnisse beweisen. Sie sei
keine bloße Erzählung der Zeitfolge, und der Veränderungen in derselben, sondern das Wort
Geschichte behalte seine weitere griechische Bedeutung, um einen Versuch eines Lehrgebäudes
liefern zu wollen." ->- Herder braucht hier fast dieselben Worte, mit denen Winckelmann die
Vorrede zur Geschichte der Kunst eröffnet. --

ist — Schlegel ein Unrecht erlitt, ohne daß Schiller ihm ein Unrecht that;
beide, der angreifende Satiriker wie der angegriffene Autor, beide sind ge¬
rechtfertigt. —

Schlegel's Buch war die Frucht des ernsten Strebens seiner Jugend¬
jahre. Er selbst bezeichnete es in späterem Alter als „den Anfang und die
Grundlage aller seiner Arbeiten und Studien über das classische Alterthum*)."
Er hatte es nicht voreilig unternommen. Ganz dem Alterthum zugewandt,
innerlich beglückt in der Nähe der classischen Welt, emporgehoben durch den
Verkehr mit den Geistern, die jene Welt beherrschten, hatte er schon früh den
Gedanken einer Arbeit gefaßt, welche wohl die Mühen eines ganzen Lebens
lohnen konnte. Er wollte für die Geschichte der alten Literatur ein Winckel-
mann werden. Was Herder schon vor Jahrzehnten verlangt und erhofft
hatte**), das sollte durch ihn zur Erfüllung kommen. Was er unternahm,
war durch die Zeit gefordert. Auf ein Werk, wie er es im Sinne trug,
wiesen die edelsten Bestrebungen hin, die seit Winckelmann und Herder in un¬
serer Literatur rege geworden. Er durfte hoffen, durch ein solches Werk un¬
mittelbar fortzuleiten, was jene Geister begonnen hatten.

Den Grundgedanken dieses Werkes, das freilich bei dem damaligen
Stande der philologischen Studien und, bekennen wir es nur, bei der Be¬
schaffenheit des Schlegel'schen gelehrten Wissens im Einzelnen nur ungenügend
hätte ausfallen können — den Grundgedanken faßte er unstreitig in seiner
ganzen Weite und Tiefe. Sein Blick war auf das Alterthum gerichtet, aber
um sich von dort Heller und schärfer auf die Gegenwart zurückzuwenden.
Wenn eine geschichtliche Darstellung vom Werden, Sein und Vergehen der
antiken Dichtkunst der Entwickelung der neuen Literatur förderlich werden
sollte, so mußte vor Allem das Verhältniß der modernen zur antiken Kunst¬
bildung untersucht und festgestellt werden.

Diese Aufgabe hatte Schlegel in seinem Erstlingswerke über „die Grie¬
chen und Römer" kühn ins Auge gefaßt. Die große Erscheinung der an-




*) In der Borrede zum fünften Bande der Werke.
") Schon 1767, in der zweiten Sammlung der Fragmente über die neuere deutsche
Literatur (S. 273) hatte Herder die denkwürdige Frage gethan: „Wo ist aber noch ein deut¬
scher Winckelmann, der uns den Tempel der griechischen Weisheit und Dichtkunst so eröffne,
als er den Künstlern das Geheimniß der Griechen von ferne gezeigt?" — Und er fährt fort:
„Diese Geschichte der griechischen Dichtkunst und Weisheit, zwei Schwestern, die nie bei ihnen
getrennt gewesen, soll den Ursprung, das Wachsthum, die Veränderungen und den Fall der¬
selben nebst dem verschiedenen Stil der Gegenden, Zeiten und Dichter lehren, und dieses aus
den übrig gebliebenen Werken des Alterthums durch Proben und Zeugnisse beweisen. Sie sei
keine bloße Erzählung der Zeitfolge, und der Veränderungen in derselben, sondern das Wort
Geschichte behalte seine weitere griechische Bedeutung, um einen Versuch eines Lehrgebäudes
liefern zu wollen." ->- Herder braucht hier fast dieselben Worte, mit denen Winckelmann die
Vorrede zur Geschichte der Kunst eröffnet. —
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/464>, abgerufen am 24.08.2024.