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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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großem Freunde verdiente das Buch eine wohlwollende Aufnahme zu finden.
Keineswegs hätten die beiden Dichter, welche die Bildungsverhältnisse ihres
Zeitalters bis tief auf den Grund durchschauten, den jungen Verfasser auf
seiner Bahn überall mit durchgehender Billigung begleiten können; aber sie
durften nicht leugnen, daß die von ihm betretene Bahn sich in der Richtung
hinzog, auf welche sie selbst hingedeutet und hingeleitet hatten. Mit einem
Worte, die Tendenz des in diesem Buche begonnenen Unternehmens mußten
sie rühmend anerkennen, wenn auch die Ausführung oft genug die Probe
nicht bestehen konnte.

Hat also Schiller hier, im Bewußtsein der Uebermacht, ein noch nicht
zur vollen Entwickelung seiner Kräfte gediehenes, aber einem richtig erkann¬
ten Ziele mit ernstem Willen zustrebendes Talent mit den Streichen der Sa¬
tire niederhalten und zurückschlagen wollen? Auch hier müssen wir mit
gleicher Zuversicht ein Nein aussprechen.

Man rückt schon das ganze Verhältniß aus dem richtigen Gesichtspunkt,
wenn man Schlegel's Buch, wie es kurz nach dem Erscheinen der Xenien als
ein zusammenhängendes Werk in die Literatur eintrat, mit den Schiller'schen
Epigrammen unmittelbar in Verbindung bringt. Diese Epigramme gelten
allerdings dem Buche; unmittelbar hervorgerufen wurden sie aber nicht durch
das Buch, sondern durch einen vorläufigen Auszug aus den ersten zehn
Bogen dieses Buches, der, zum schweren Schaden des Verfassers, in dem
sechsten Hefte der Zeitschrift "Deutschland" erschien"), -- in demselben Hefte,
welches auch die unselige Recension des Musen-Almanachs ans Licht ge¬
bracht hatte.

Daß wir aus diesem Auszuge und nicht aus dem Buche selbst die Er¬
klärung der Schiller'schen Epigramme zu entnehmen haben, das hat schon
Boas mit unbefangenem Blicke eingesehen und richtig nachgewiesen. Der
gegen diesen Nachweis leichtfertig erhobene Widerspruch konnte nur von denen
ausgehen, die weder das Schlegel'sche Buch in seiner ersten Gestalt, noch die
Reichardt'sche Zeitschrift je gesehen hatten.

Und daß wir diese Beziehung der Schiller'schen Epigramme zu jenem
vorläufigen Auszuge entdeckt haben, -- was gewinnen wir hierdurch? Wir
lernen hierdurch begreifen, wie Schiller zu seinen Epigrammen angereizt ward,
wir lernen einsehen, daß --- wenn mir der paradoxe Ausdruck gestattet



") Der Auszug, der sich bis auf S. 152 des Buches erstreckt, wird i" der Zeitschrift
S. 393 mit folgenden Worten eingeleitet: "Wir haben von dieser wichtigen Schrift, die zur
Michaelismesse erscheinen wird, zehn Bogen vor uns liegen, und eilen unsern Lesern einen
kleinen Vorschmack davon zu geben, indem wir die Hauptsätze ausheben und sie mit vielen
der schönsten Stellen vorlegen." -- Zum Schluß heißt es dann: (S. 41S) "Und hiermit sey's
genug. Jeder Freund der Kunst und Literatur wird gewiß der Erscheinung dieses wichtigen
Werkes mit Sehnsucht entgegensehen."

großem Freunde verdiente das Buch eine wohlwollende Aufnahme zu finden.
Keineswegs hätten die beiden Dichter, welche die Bildungsverhältnisse ihres
Zeitalters bis tief auf den Grund durchschauten, den jungen Verfasser auf
seiner Bahn überall mit durchgehender Billigung begleiten können; aber sie
durften nicht leugnen, daß die von ihm betretene Bahn sich in der Richtung
hinzog, auf welche sie selbst hingedeutet und hingeleitet hatten. Mit einem
Worte, die Tendenz des in diesem Buche begonnenen Unternehmens mußten
sie rühmend anerkennen, wenn auch die Ausführung oft genug die Probe
nicht bestehen konnte.

Hat also Schiller hier, im Bewußtsein der Uebermacht, ein noch nicht
zur vollen Entwickelung seiner Kräfte gediehenes, aber einem richtig erkann¬
ten Ziele mit ernstem Willen zustrebendes Talent mit den Streichen der Sa¬
tire niederhalten und zurückschlagen wollen? Auch hier müssen wir mit
gleicher Zuversicht ein Nein aussprechen.

Man rückt schon das ganze Verhältniß aus dem richtigen Gesichtspunkt,
wenn man Schlegel's Buch, wie es kurz nach dem Erscheinen der Xenien als
ein zusammenhängendes Werk in die Literatur eintrat, mit den Schiller'schen
Epigrammen unmittelbar in Verbindung bringt. Diese Epigramme gelten
allerdings dem Buche; unmittelbar hervorgerufen wurden sie aber nicht durch
das Buch, sondern durch einen vorläufigen Auszug aus den ersten zehn
Bogen dieses Buches, der, zum schweren Schaden des Verfassers, in dem
sechsten Hefte der Zeitschrift „Deutschland" erschien"), — in demselben Hefte,
welches auch die unselige Recension des Musen-Almanachs ans Licht ge¬
bracht hatte.

Daß wir aus diesem Auszuge und nicht aus dem Buche selbst die Er¬
klärung der Schiller'schen Epigramme zu entnehmen haben, das hat schon
Boas mit unbefangenem Blicke eingesehen und richtig nachgewiesen. Der
gegen diesen Nachweis leichtfertig erhobene Widerspruch konnte nur von denen
ausgehen, die weder das Schlegel'sche Buch in seiner ersten Gestalt, noch die
Reichardt'sche Zeitschrift je gesehen hatten.

Und daß wir diese Beziehung der Schiller'schen Epigramme zu jenem
vorläufigen Auszuge entdeckt haben, — was gewinnen wir hierdurch? Wir
lernen hierdurch begreifen, wie Schiller zu seinen Epigrammen angereizt ward,
wir lernen einsehen, daß -— wenn mir der paradoxe Ausdruck gestattet



") Der Auszug, der sich bis auf S. 152 des Buches erstreckt, wird i» der Zeitschrift
S. 393 mit folgenden Worten eingeleitet: „Wir haben von dieser wichtigen Schrift, die zur
Michaelismesse erscheinen wird, zehn Bogen vor uns liegen, und eilen unsern Lesern einen
kleinen Vorschmack davon zu geben, indem wir die Hauptsätze ausheben und sie mit vielen
der schönsten Stellen vorlegen." — Zum Schluß heißt es dann: (S. 41S) „Und hiermit sey's
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Werkes mit Sehnsucht entgegensehen."
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[0463] großem Freunde verdiente das Buch eine wohlwollende Aufnahme zu finden. Keineswegs hätten die beiden Dichter, welche die Bildungsverhältnisse ihres Zeitalters bis tief auf den Grund durchschauten, den jungen Verfasser auf seiner Bahn überall mit durchgehender Billigung begleiten können; aber sie durften nicht leugnen, daß die von ihm betretene Bahn sich in der Richtung hinzog, auf welche sie selbst hingedeutet und hingeleitet hatten. Mit einem Worte, die Tendenz des in diesem Buche begonnenen Unternehmens mußten sie rühmend anerkennen, wenn auch die Ausführung oft genug die Probe nicht bestehen konnte. Hat also Schiller hier, im Bewußtsein der Uebermacht, ein noch nicht zur vollen Entwickelung seiner Kräfte gediehenes, aber einem richtig erkann¬ ten Ziele mit ernstem Willen zustrebendes Talent mit den Streichen der Sa¬ tire niederhalten und zurückschlagen wollen? Auch hier müssen wir mit gleicher Zuversicht ein Nein aussprechen. Man rückt schon das ganze Verhältniß aus dem richtigen Gesichtspunkt, wenn man Schlegel's Buch, wie es kurz nach dem Erscheinen der Xenien als ein zusammenhängendes Werk in die Literatur eintrat, mit den Schiller'schen Epigrammen unmittelbar in Verbindung bringt. Diese Epigramme gelten allerdings dem Buche; unmittelbar hervorgerufen wurden sie aber nicht durch das Buch, sondern durch einen vorläufigen Auszug aus den ersten zehn Bogen dieses Buches, der, zum schweren Schaden des Verfassers, in dem sechsten Hefte der Zeitschrift „Deutschland" erschien"), — in demselben Hefte, welches auch die unselige Recension des Musen-Almanachs ans Licht ge¬ bracht hatte. Daß wir aus diesem Auszuge und nicht aus dem Buche selbst die Er¬ klärung der Schiller'schen Epigramme zu entnehmen haben, das hat schon Boas mit unbefangenem Blicke eingesehen und richtig nachgewiesen. Der gegen diesen Nachweis leichtfertig erhobene Widerspruch konnte nur von denen ausgehen, die weder das Schlegel'sche Buch in seiner ersten Gestalt, noch die Reichardt'sche Zeitschrift je gesehen hatten. Und daß wir diese Beziehung der Schiller'schen Epigramme zu jenem vorläufigen Auszuge entdeckt haben, — was gewinnen wir hierdurch? Wir lernen hierdurch begreifen, wie Schiller zu seinen Epigrammen angereizt ward, wir lernen einsehen, daß -— wenn mir der paradoxe Ausdruck gestattet ") Der Auszug, der sich bis auf S. 152 des Buches erstreckt, wird i» der Zeitschrift S. 393 mit folgenden Worten eingeleitet: „Wir haben von dieser wichtigen Schrift, die zur Michaelismesse erscheinen wird, zehn Bogen vor uns liegen, und eilen unsern Lesern einen kleinen Vorschmack davon zu geben, indem wir die Hauptsätze ausheben und sie mit vielen der schönsten Stellen vorlegen." — Zum Schluß heißt es dann: (S. 41S) „Und hiermit sey's genug. Jeder Freund der Kunst und Literatur wird gewiß der Erscheinung dieses wichtigen Werkes mit Sehnsucht entgegensehen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/463>, abgerufen am 24.08.2024.