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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Solchergestalt hatten sich die persönlichen Beziehungen zwischen Schiller
und Schlegel entwickelt, als jene Recension des Musen-Almanachs in die
Welt gesandt ward.

Der jugendliche Autor schien hier plötzlich sein Wesen umgewandelt zu
haben; oder vielmehr, er hatte sich der unbequemen Hülle der Bescheidenheit
entledigt und zeigte, sei es mit Absicht oder halb unbewußt, seine angeborene
und schon bis zu einem anerkennenswerten Grade ausgebildete Geistesart.
Aus dieser Beurtheilung, mochte sie sich zu Lob oder Tadel wenden, blickte
ohne Scheu eine unbehagliche Anmaßung hervor; versteckter und offener
Spott war hier, nicht kärglich, ausgesäet; der Kritiker erschien durchaus von
dem Hange beherrscht, seltsam aufgestutzte Gedanken in möglichst auffallender
Form vorzubringen.

War das der ungewandte, verzagte Schriftsteller, der, wie Körner rühmte,
für jede Belehrung sich zugänglich und dankbar bewies, der, mit allem Nach¬
druck einer wirklichen Ueberzeugung, seine wohlerkannten Mängel eingestan¬
den und beklagt hatte? War das der warme Verehrer Schiller's, der für
das Haupt des Dichters und Denkers einen zwiefachen Lorbeer bereit hielt?

Man mag nun ermessen und sich deutlich genug vorstellen, welchen Ein¬
druck Schiller von dieser unerwarteten kritischen Kundgebung empfangen
mußte! Eben weil er von Schlegel's geistigem Vermögen nicht gering ge¬
dacht hatte, mußte dieser Eindruck doppelt widerwärtig sein. Eben deshalb
aber konnte ihn auch Schlegel's Spott und Tadel nicht ganz und gar
gleichgültig lassen.

Und dieser Tadel richtete sich zum Theil gegen die Erzeugnisse, die sei¬
nem Geiste, seinem künstlerischen Empfinden damals noch so lieb und nahe
waren, gegen die Gedichte, in welchen, wie er es zu bezeichnen pflegte, "er
noch am Ufer der Philosophie hingesteuert war." Wir wissen und erkennen
jetzt, wie Schiller in diesen Gedichten, mit denen er seinen Wiedereinzug in
das Reich der Poesie feierte, die Herrschermacht und bildende Kraft der
Phantasie auf einem ihr scheinbar fernliegenden Gebiete, auf dem Ge¬
biete des Gedankens, energisch bewährt hat; wir wissen, wie viele von
den Ideen, welche ihm die theuersten waren, hier nicht etwa blos mit dich¬
terischem Gewand bekleidet, sondern in die Freiheit und helle Weite der
künstlerischen Anschauung hinübergeführt, und, ohne von ihrem selbständigen
Gehalt etwas einzubüßen, der Poesie innigst anvermählt wurden, so daß sie
in dieser überraschenden Verbindung eine neue Kraft erhielten und zugleich
jedem Gemüthe faßlich und vertraut nahe rückten; wir wissen ferner, mit
welcher "verstandenen Bewunderung"*) jeder der nächsten Freunde Schiller's



Humboldt an Schnitt S. 149.
S7*

Solchergestalt hatten sich die persönlichen Beziehungen zwischen Schiller
und Schlegel entwickelt, als jene Recension des Musen-Almanachs in die
Welt gesandt ward.

Der jugendliche Autor schien hier plötzlich sein Wesen umgewandelt zu
haben; oder vielmehr, er hatte sich der unbequemen Hülle der Bescheidenheit
entledigt und zeigte, sei es mit Absicht oder halb unbewußt, seine angeborene
und schon bis zu einem anerkennenswerten Grade ausgebildete Geistesart.
Aus dieser Beurtheilung, mochte sie sich zu Lob oder Tadel wenden, blickte
ohne Scheu eine unbehagliche Anmaßung hervor; versteckter und offener
Spott war hier, nicht kärglich, ausgesäet; der Kritiker erschien durchaus von
dem Hange beherrscht, seltsam aufgestutzte Gedanken in möglichst auffallender
Form vorzubringen.

War das der ungewandte, verzagte Schriftsteller, der, wie Körner rühmte,
für jede Belehrung sich zugänglich und dankbar bewies, der, mit allem Nach¬
druck einer wirklichen Ueberzeugung, seine wohlerkannten Mängel eingestan¬
den und beklagt hatte? War das der warme Verehrer Schiller's, der für
das Haupt des Dichters und Denkers einen zwiefachen Lorbeer bereit hielt?

Man mag nun ermessen und sich deutlich genug vorstellen, welchen Ein¬
druck Schiller von dieser unerwarteten kritischen Kundgebung empfangen
mußte! Eben weil er von Schlegel's geistigem Vermögen nicht gering ge¬
dacht hatte, mußte dieser Eindruck doppelt widerwärtig sein. Eben deshalb
aber konnte ihn auch Schlegel's Spott und Tadel nicht ganz und gar
gleichgültig lassen.

Und dieser Tadel richtete sich zum Theil gegen die Erzeugnisse, die sei¬
nem Geiste, seinem künstlerischen Empfinden damals noch so lieb und nahe
waren, gegen die Gedichte, in welchen, wie er es zu bezeichnen pflegte, „er
noch am Ufer der Philosophie hingesteuert war." Wir wissen und erkennen
jetzt, wie Schiller in diesen Gedichten, mit denen er seinen Wiedereinzug in
das Reich der Poesie feierte, die Herrschermacht und bildende Kraft der
Phantasie auf einem ihr scheinbar fernliegenden Gebiete, auf dem Ge¬
biete des Gedankens, energisch bewährt hat; wir wissen, wie viele von
den Ideen, welche ihm die theuersten waren, hier nicht etwa blos mit dich¬
terischem Gewand bekleidet, sondern in die Freiheit und helle Weite der
künstlerischen Anschauung hinübergeführt, und, ohne von ihrem selbständigen
Gehalt etwas einzubüßen, der Poesie innigst anvermählt wurden, so daß sie
in dieser überraschenden Verbindung eine neue Kraft erhielten und zugleich
jedem Gemüthe faßlich und vertraut nahe rückten; wir wissen ferner, mit
welcher „verstandenen Bewunderung"*) jeder der nächsten Freunde Schiller's



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[0459] Solchergestalt hatten sich die persönlichen Beziehungen zwischen Schiller und Schlegel entwickelt, als jene Recension des Musen-Almanachs in die Welt gesandt ward. Der jugendliche Autor schien hier plötzlich sein Wesen umgewandelt zu haben; oder vielmehr, er hatte sich der unbequemen Hülle der Bescheidenheit entledigt und zeigte, sei es mit Absicht oder halb unbewußt, seine angeborene und schon bis zu einem anerkennenswerten Grade ausgebildete Geistesart. Aus dieser Beurtheilung, mochte sie sich zu Lob oder Tadel wenden, blickte ohne Scheu eine unbehagliche Anmaßung hervor; versteckter und offener Spott war hier, nicht kärglich, ausgesäet; der Kritiker erschien durchaus von dem Hange beherrscht, seltsam aufgestutzte Gedanken in möglichst auffallender Form vorzubringen. War das der ungewandte, verzagte Schriftsteller, der, wie Körner rühmte, für jede Belehrung sich zugänglich und dankbar bewies, der, mit allem Nach¬ druck einer wirklichen Ueberzeugung, seine wohlerkannten Mängel eingestan¬ den und beklagt hatte? War das der warme Verehrer Schiller's, der für das Haupt des Dichters und Denkers einen zwiefachen Lorbeer bereit hielt? Man mag nun ermessen und sich deutlich genug vorstellen, welchen Ein¬ druck Schiller von dieser unerwarteten kritischen Kundgebung empfangen mußte! Eben weil er von Schlegel's geistigem Vermögen nicht gering ge¬ dacht hatte, mußte dieser Eindruck doppelt widerwärtig sein. Eben deshalb aber konnte ihn auch Schlegel's Spott und Tadel nicht ganz und gar gleichgültig lassen. Und dieser Tadel richtete sich zum Theil gegen die Erzeugnisse, die sei¬ nem Geiste, seinem künstlerischen Empfinden damals noch so lieb und nahe waren, gegen die Gedichte, in welchen, wie er es zu bezeichnen pflegte, „er noch am Ufer der Philosophie hingesteuert war." Wir wissen und erkennen jetzt, wie Schiller in diesen Gedichten, mit denen er seinen Wiedereinzug in das Reich der Poesie feierte, die Herrschermacht und bildende Kraft der Phantasie auf einem ihr scheinbar fernliegenden Gebiete, auf dem Ge¬ biete des Gedankens, energisch bewährt hat; wir wissen, wie viele von den Ideen, welche ihm die theuersten waren, hier nicht etwa blos mit dich¬ terischem Gewand bekleidet, sondern in die Freiheit und helle Weite der künstlerischen Anschauung hinübergeführt, und, ohne von ihrem selbständigen Gehalt etwas einzubüßen, der Poesie innigst anvermählt wurden, so daß sie in dieser überraschenden Verbindung eine neue Kraft erhielten und zugleich jedem Gemüthe faßlich und vertraut nahe rückten; wir wissen ferner, mit welcher „verstandenen Bewunderung"*) jeder der nächsten Freunde Schiller's Humboldt an Schnitt S. 149. S7*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/459>, abgerufen am 24.08.2024.