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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Die Handschrift der Uebersetzung unserer hier folgenden Mittheilungen
beginnt bei dem Zeitpunkt, in welchem Howen, noch immer in Petersburg
restdirend, den ersten energischen Versuch machte, die Curländer für die Idee
einer unbedingten Unterwerfung zu gewinnen, und zu diesem Zwecke die
Hoffnungen der bürgerlichen Union mit der Aussicht schmeichelte, die Unter¬
werfung unter das russische Scepter werde zugleich die Erfüllung ihrer Wünsche
herbeiführen. Erwähnt sei noch, daß Howen eine beträchtliche Geldforderung
an den Herzog zu haben glaubte, und daß die Nichtanerkennung derselben
ein Hauptmotiv für seine Feindschaft und seine Intriguen gegen den letzten
Biron bildete. Herr von X., dem wir jetzt das Wort lassen, befand sich
damals (es war im Oktober 1794) gleichfalls in Petersburg, wo er im
Auftrage des Herzogs agirte.

Die bürgerliche Union, geschlagen aber nicht vernichtet, rechnete noch
immer auf ihren Beschützer Howen, welcher ihr einen vollständigen Erfolg
versprochen hatte, sobald das Geschick Curlands zur Entscheidung gekommen
sein würde. Obgleich die Union ihm fortwährend bedeutende Geldsummen
sandte, vermochten diese seinen unersättlichen Bedürfnissen nicht zu genügen.
Er hatte in Petersburg auf Obligationen des Herzogs für 50.000 Rubel
Schulden gemacht, und da der Herzog diese nicht anerkannte, befand sich
Howen in der größten Verlegenheit.

Um sich aus dieser zu befreien, verließ er plötzlich Petersburg und ging
nach Riga (diese Hauptstadt Livlands. das bereits seit 1710 unter
russischer Botmäßigkeit stand, liegt bekanntlich nur wenige Meilen von
Mirau und der curländischen Grenze entfernt). Nach Mitau beschied Howen
seine Creaturen aus dem Adel wie aus dem Bürgerstande und legte dem
Lande auf heimlichen Versammlungen nachstehenden Vorschlag vor. Die
Ritterschaft von Curland und Semgallen solle erklären: "Da Polen die mit
Curland abgeschlossenen Verträge verletzt und außerdem seine politische
Existenz faktisch und rechtlich eingebüßt habe, höre auch seine Lehnshoheit
über das Herzogthum auf und sei es nothwendig, sofort eine Deputation
nach Petersburg abzusenden, um Jhro Majestät die Kaiserin von Rußland
zu bitten, daß sie diese Provinz in ihre Botmäßigkeit aufnehmen und der¬
selben gleichzeitig einen obersten Gerichtshof und einige andere Rechte
zugestehe....."

Dieser Vorschlag war an und für sich ohne Sinn, aber Howen kannte
seine Leute. Dem Einen versprach er Aemter in dem künftigen Gerichts¬
hof, dem Anderen die pachtweise Verleihung von Gütern, die Bürger wurden
mit dem Versprechen der Anerkennung ihrer Privilegien geködert, und als
die Edelleute in ihre Kirchspiele zurückgekehrt waren, wurde das ganze Land
mit dem Geschrei nach Einberufung eines Landtages erfüllt, dessen Ausgabe


Die Handschrift der Uebersetzung unserer hier folgenden Mittheilungen
beginnt bei dem Zeitpunkt, in welchem Howen, noch immer in Petersburg
restdirend, den ersten energischen Versuch machte, die Curländer für die Idee
einer unbedingten Unterwerfung zu gewinnen, und zu diesem Zwecke die
Hoffnungen der bürgerlichen Union mit der Aussicht schmeichelte, die Unter¬
werfung unter das russische Scepter werde zugleich die Erfüllung ihrer Wünsche
herbeiführen. Erwähnt sei noch, daß Howen eine beträchtliche Geldforderung
an den Herzog zu haben glaubte, und daß die Nichtanerkennung derselben
ein Hauptmotiv für seine Feindschaft und seine Intriguen gegen den letzten
Biron bildete. Herr von X., dem wir jetzt das Wort lassen, befand sich
damals (es war im Oktober 1794) gleichfalls in Petersburg, wo er im
Auftrage des Herzogs agirte.

Die bürgerliche Union, geschlagen aber nicht vernichtet, rechnete noch
immer auf ihren Beschützer Howen, welcher ihr einen vollständigen Erfolg
versprochen hatte, sobald das Geschick Curlands zur Entscheidung gekommen
sein würde. Obgleich die Union ihm fortwährend bedeutende Geldsummen
sandte, vermochten diese seinen unersättlichen Bedürfnissen nicht zu genügen.
Er hatte in Petersburg auf Obligationen des Herzogs für 50.000 Rubel
Schulden gemacht, und da der Herzog diese nicht anerkannte, befand sich
Howen in der größten Verlegenheit.

Um sich aus dieser zu befreien, verließ er plötzlich Petersburg und ging
nach Riga (diese Hauptstadt Livlands. das bereits seit 1710 unter
russischer Botmäßigkeit stand, liegt bekanntlich nur wenige Meilen von
Mirau und der curländischen Grenze entfernt). Nach Mitau beschied Howen
seine Creaturen aus dem Adel wie aus dem Bürgerstande und legte dem
Lande auf heimlichen Versammlungen nachstehenden Vorschlag vor. Die
Ritterschaft von Curland und Semgallen solle erklären: „Da Polen die mit
Curland abgeschlossenen Verträge verletzt und außerdem seine politische
Existenz faktisch und rechtlich eingebüßt habe, höre auch seine Lehnshoheit
über das Herzogthum auf und sei es nothwendig, sofort eine Deputation
nach Petersburg abzusenden, um Jhro Majestät die Kaiserin von Rußland
zu bitten, daß sie diese Provinz in ihre Botmäßigkeit aufnehmen und der¬
selben gleichzeitig einen obersten Gerichtshof und einige andere Rechte
zugestehe....."

Dieser Vorschlag war an und für sich ohne Sinn, aber Howen kannte
seine Leute. Dem Einen versprach er Aemter in dem künftigen Gerichts¬
hof, dem Anderen die pachtweise Verleihung von Gütern, die Bürger wurden
mit dem Versprechen der Anerkennung ihrer Privilegien geködert, und als
die Edelleute in ihre Kirchspiele zurückgekehrt waren, wurde das ganze Land
mit dem Geschrei nach Einberufung eines Landtages erfüllt, dessen Ausgabe


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[0045] Die Handschrift der Uebersetzung unserer hier folgenden Mittheilungen beginnt bei dem Zeitpunkt, in welchem Howen, noch immer in Petersburg restdirend, den ersten energischen Versuch machte, die Curländer für die Idee einer unbedingten Unterwerfung zu gewinnen, und zu diesem Zwecke die Hoffnungen der bürgerlichen Union mit der Aussicht schmeichelte, die Unter¬ werfung unter das russische Scepter werde zugleich die Erfüllung ihrer Wünsche herbeiführen. Erwähnt sei noch, daß Howen eine beträchtliche Geldforderung an den Herzog zu haben glaubte, und daß die Nichtanerkennung derselben ein Hauptmotiv für seine Feindschaft und seine Intriguen gegen den letzten Biron bildete. Herr von X., dem wir jetzt das Wort lassen, befand sich damals (es war im Oktober 1794) gleichfalls in Petersburg, wo er im Auftrage des Herzogs agirte. Die bürgerliche Union, geschlagen aber nicht vernichtet, rechnete noch immer auf ihren Beschützer Howen, welcher ihr einen vollständigen Erfolg versprochen hatte, sobald das Geschick Curlands zur Entscheidung gekommen sein würde. Obgleich die Union ihm fortwährend bedeutende Geldsummen sandte, vermochten diese seinen unersättlichen Bedürfnissen nicht zu genügen. Er hatte in Petersburg auf Obligationen des Herzogs für 50.000 Rubel Schulden gemacht, und da der Herzog diese nicht anerkannte, befand sich Howen in der größten Verlegenheit. Um sich aus dieser zu befreien, verließ er plötzlich Petersburg und ging nach Riga (diese Hauptstadt Livlands. das bereits seit 1710 unter russischer Botmäßigkeit stand, liegt bekanntlich nur wenige Meilen von Mirau und der curländischen Grenze entfernt). Nach Mitau beschied Howen seine Creaturen aus dem Adel wie aus dem Bürgerstande und legte dem Lande auf heimlichen Versammlungen nachstehenden Vorschlag vor. Die Ritterschaft von Curland und Semgallen solle erklären: „Da Polen die mit Curland abgeschlossenen Verträge verletzt und außerdem seine politische Existenz faktisch und rechtlich eingebüßt habe, höre auch seine Lehnshoheit über das Herzogthum auf und sei es nothwendig, sofort eine Deputation nach Petersburg abzusenden, um Jhro Majestät die Kaiserin von Rußland zu bitten, daß sie diese Provinz in ihre Botmäßigkeit aufnehmen und der¬ selben gleichzeitig einen obersten Gerichtshof und einige andere Rechte zugestehe....." Dieser Vorschlag war an und für sich ohne Sinn, aber Howen kannte seine Leute. Dem Einen versprach er Aemter in dem künftigen Gerichts¬ hof, dem Anderen die pachtweise Verleihung von Gütern, die Bürger wurden mit dem Versprechen der Anerkennung ihrer Privilegien geködert, und als die Edelleute in ihre Kirchspiele zurückgekehrt waren, wurde das ganze Land mit dem Geschrei nach Einberufung eines Landtages erfüllt, dessen Ausgabe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/45>, abgerufen am 22.07.2024.