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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Zeit in Rußland weilende Patriarch von Serbien hat gegen diese Maßregel
soeben im Namen "aller Serben" protestirt), die Magyaren setzt man in den
Stand, den Grenzern zu Klagen über Beleidigung ihrer Nationalität Ver¬
anlassung zu geben und die Aufhetzung der serbischen Bewohner von Bocca
ti Cattaro besorgt man gar durch ungeschickte k. k. Beamte. -- Die Geschichte
des Aufstandes im südlichen Dalmatien gehört zu den merkwürdigsten Ca¬
piteln in der Leidens- und Sündenchronik des modernen Oestreich. In den¬
selben Jahren, da man den Besitz Venetiens mit Anstrengung aller Kräfte
zu behaupten suchte und fortwährende Klagen über die italienische Propaganda
in Welschtirol laut wurden, hat es geschehen können, daß der von Serben
bewohnte südlichste Theil Dalmatiens durch k. k. Beamte nicht etwa germa-
nisirt -- sondern italienisirt und dadurch systematisch gegen die Wiener Re¬
gierung aufgereizt wurde. Und auf diesem unterminirten Boden versuchte
man dann das neue Militärgesetz in denselben strengen Formen durchzufüh¬
ren, wie in Wien oder Linz. Gegen den Aufstand, der die Folge dieses
Vorgehens war, werden erst Maßregeln ergriffen, als derselbe in hellen
Flammen steht und die Herzen der Montenegriner für den Gedanken eines
gemeinsamen Kreuzzugs gegen die Slavenunterdrücker erwärmt sind. -- Ver¬
glichen mit dieser langen Reihe von Fehlern kommen die Mißgriffe, welche
den Übeln Ausgang eines mühseligen Winterfeldzuges in unwirthbaren, dem
Generalstabe so gut wie unbekanntem Gebirgsterrain verschuldet haben, kaum
mehr in Betracht. Daß man die Aufnahme neuer energischer Operationen
bis zur Rückkehr des Kaisers verschoben und das Publicum an den Ge¬
danken eines Aufschubs derselben bis zum Frühjahr gewöhnt hat, steht offen¬
bar mit der Scheu der Minister vor weiteren Verwickelungen im Zusammen¬
hang; wollte man von der türkischen Bereitwilligkeit zu gemeinsamen Opera¬
tionen Gebrauch machen und wäre man ganz sicher, daß dieselben ohne Fol¬
gen blieben, so hätte es nicht erst dieser Vertagung bedurft.

Während das östreichische Fiasko am adriatischen Meere aufs neue die
Gefahren bloslegte, von denen der Kaiserstaat umgeben ist, auch wenn er
mit seinen Nachbarn in Frieden lebt, hat der Reichskanzler Graf Beust an
den Ufern des Nil orientalische Zukunftspolitik getrieben und Zeit übrig gehabt,
um seine Rückreise über Italien zu nehmen und die östreichischen Sympathien
Victor Emanuels zu stärken. Seine Rückkehr in die Hofburg soll den gali-
zischen Polen die gewünschten autonomistischen Concessionen, den Böhmen
die Entscheidung über Krieg oder Frieden, den constitutionellen Deutsch-
Oestreichern die Lösung des Streits über die Wahlreform bringen. In der
östlichen Hälfte der Monarchie regieren die Landesminister ohne nach dem
Beirath des Vertreters der Gesammtstaatsidee zu fragen, dem sie so vielfach


Grenzboten IV. 1869. 5S

Zeit in Rußland weilende Patriarch von Serbien hat gegen diese Maßregel
soeben im Namen „aller Serben" protestirt), die Magyaren setzt man in den
Stand, den Grenzern zu Klagen über Beleidigung ihrer Nationalität Ver¬
anlassung zu geben und die Aufhetzung der serbischen Bewohner von Bocca
ti Cattaro besorgt man gar durch ungeschickte k. k. Beamte. — Die Geschichte
des Aufstandes im südlichen Dalmatien gehört zu den merkwürdigsten Ca¬
piteln in der Leidens- und Sündenchronik des modernen Oestreich. In den¬
selben Jahren, da man den Besitz Venetiens mit Anstrengung aller Kräfte
zu behaupten suchte und fortwährende Klagen über die italienische Propaganda
in Welschtirol laut wurden, hat es geschehen können, daß der von Serben
bewohnte südlichste Theil Dalmatiens durch k. k. Beamte nicht etwa germa-
nisirt — sondern italienisirt und dadurch systematisch gegen die Wiener Re¬
gierung aufgereizt wurde. Und auf diesem unterminirten Boden versuchte
man dann das neue Militärgesetz in denselben strengen Formen durchzufüh¬
ren, wie in Wien oder Linz. Gegen den Aufstand, der die Folge dieses
Vorgehens war, werden erst Maßregeln ergriffen, als derselbe in hellen
Flammen steht und die Herzen der Montenegriner für den Gedanken eines
gemeinsamen Kreuzzugs gegen die Slavenunterdrücker erwärmt sind. — Ver¬
glichen mit dieser langen Reihe von Fehlern kommen die Mißgriffe, welche
den Übeln Ausgang eines mühseligen Winterfeldzuges in unwirthbaren, dem
Generalstabe so gut wie unbekanntem Gebirgsterrain verschuldet haben, kaum
mehr in Betracht. Daß man die Aufnahme neuer energischer Operationen
bis zur Rückkehr des Kaisers verschoben und das Publicum an den Ge¬
danken eines Aufschubs derselben bis zum Frühjahr gewöhnt hat, steht offen¬
bar mit der Scheu der Minister vor weiteren Verwickelungen im Zusammen¬
hang; wollte man von der türkischen Bereitwilligkeit zu gemeinsamen Opera¬
tionen Gebrauch machen und wäre man ganz sicher, daß dieselben ohne Fol¬
gen blieben, so hätte es nicht erst dieser Vertagung bedurft.

Während das östreichische Fiasko am adriatischen Meere aufs neue die
Gefahren bloslegte, von denen der Kaiserstaat umgeben ist, auch wenn er
mit seinen Nachbarn in Frieden lebt, hat der Reichskanzler Graf Beust an
den Ufern des Nil orientalische Zukunftspolitik getrieben und Zeit übrig gehabt,
um seine Rückreise über Italien zu nehmen und die östreichischen Sympathien
Victor Emanuels zu stärken. Seine Rückkehr in die Hofburg soll den gali-
zischen Polen die gewünschten autonomistischen Concessionen, den Böhmen
die Entscheidung über Krieg oder Frieden, den constitutionellen Deutsch-
Oestreichern die Lösung des Streits über die Wahlreform bringen. In der
östlichen Hälfte der Monarchie regieren die Landesminister ohne nach dem
Beirath des Vertreters der Gesammtstaatsidee zu fragen, dem sie so vielfach


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[0441] Zeit in Rußland weilende Patriarch von Serbien hat gegen diese Maßregel soeben im Namen „aller Serben" protestirt), die Magyaren setzt man in den Stand, den Grenzern zu Klagen über Beleidigung ihrer Nationalität Ver¬ anlassung zu geben und die Aufhetzung der serbischen Bewohner von Bocca ti Cattaro besorgt man gar durch ungeschickte k. k. Beamte. — Die Geschichte des Aufstandes im südlichen Dalmatien gehört zu den merkwürdigsten Ca¬ piteln in der Leidens- und Sündenchronik des modernen Oestreich. In den¬ selben Jahren, da man den Besitz Venetiens mit Anstrengung aller Kräfte zu behaupten suchte und fortwährende Klagen über die italienische Propaganda in Welschtirol laut wurden, hat es geschehen können, daß der von Serben bewohnte südlichste Theil Dalmatiens durch k. k. Beamte nicht etwa germa- nisirt — sondern italienisirt und dadurch systematisch gegen die Wiener Re¬ gierung aufgereizt wurde. Und auf diesem unterminirten Boden versuchte man dann das neue Militärgesetz in denselben strengen Formen durchzufüh¬ ren, wie in Wien oder Linz. Gegen den Aufstand, der die Folge dieses Vorgehens war, werden erst Maßregeln ergriffen, als derselbe in hellen Flammen steht und die Herzen der Montenegriner für den Gedanken eines gemeinsamen Kreuzzugs gegen die Slavenunterdrücker erwärmt sind. — Ver¬ glichen mit dieser langen Reihe von Fehlern kommen die Mißgriffe, welche den Übeln Ausgang eines mühseligen Winterfeldzuges in unwirthbaren, dem Generalstabe so gut wie unbekanntem Gebirgsterrain verschuldet haben, kaum mehr in Betracht. Daß man die Aufnahme neuer energischer Operationen bis zur Rückkehr des Kaisers verschoben und das Publicum an den Ge¬ danken eines Aufschubs derselben bis zum Frühjahr gewöhnt hat, steht offen¬ bar mit der Scheu der Minister vor weiteren Verwickelungen im Zusammen¬ hang; wollte man von der türkischen Bereitwilligkeit zu gemeinsamen Opera¬ tionen Gebrauch machen und wäre man ganz sicher, daß dieselben ohne Fol¬ gen blieben, so hätte es nicht erst dieser Vertagung bedurft. Während das östreichische Fiasko am adriatischen Meere aufs neue die Gefahren bloslegte, von denen der Kaiserstaat umgeben ist, auch wenn er mit seinen Nachbarn in Frieden lebt, hat der Reichskanzler Graf Beust an den Ufern des Nil orientalische Zukunftspolitik getrieben und Zeit übrig gehabt, um seine Rückreise über Italien zu nehmen und die östreichischen Sympathien Victor Emanuels zu stärken. Seine Rückkehr in die Hofburg soll den gali- zischen Polen die gewünschten autonomistischen Concessionen, den Böhmen die Entscheidung über Krieg oder Frieden, den constitutionellen Deutsch- Oestreichern die Lösung des Streits über die Wahlreform bringen. In der östlichen Hälfte der Monarchie regieren die Landesminister ohne nach dem Beirath des Vertreters der Gesammtstaatsidee zu fragen, dem sie so vielfach Grenzboten IV. 1869. 5S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/441>, abgerufen am 22.07.2024.