Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.gibt es (von der Armee ganz abgesehen), eine große Anzahl von Franzosen, Mit ihrer Gegnerin verglichen, erscheint die kaiserliche Partei immer Bezeichnend für die Unklarheit und Unsicherheit der Lage ist es, daß gibt es (von der Armee ganz abgesehen), eine große Anzahl von Franzosen, Mit ihrer Gegnerin verglichen, erscheint die kaiserliche Partei immer Bezeichnend für die Unklarheit und Unsicherheit der Lage ist es, daß <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0437" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/122192"/> <p xml:id="ID_1234" prev="#ID_1233"> gibt es (von der Armee ganz abgesehen), eine große Anzahl von Franzosen,<lb/> auf welche das zweite Kaiserthum mit Sicherheit rechnen kann, wenn es sich<lb/> um die Alternative „Ordnung oder Freiheit" handelt. Wird man dieser<lb/> Alternative aus dem Wege zu gehen wissen? Schon die Unsaßbarkeit des<lb/> Programms der radicalen Opposition, die Spaltung der Linken in eine<lb/> stets wachsende Zahl von Fractionen und die practische Unerfahrenheit grade<lb/> der Führer, welche bei den Massen das größte Ansehen genießen, haben<lb/> dafür gesorgt, daß die besitzenden Classen nur wenig Vertrauen zu einer<lb/> wirklich freiheitlichen Entwickelung hegen können und Ruhestörungen fürchten<lb/> müssen. Das heutige Corps le'gislatif macht den Eindruck, politisch kaum<lb/> reifer zu sein, als die Versammlung, welche der großen Revolution vorher¬<lb/> ging. Von dem längst verbrauchten Thiers abgesehen, zählt die linke Seite<lb/> dieses Körpers nicht einen einzigen Staatsmann, der sich auch nur selbst Er¬<lb/> fahrung in großen Geschäften zuschreiben könnte. Jener Mangel an Talen¬<lb/> ten und Capacitäten, der die vielbeklagte Folge des Systems ist, das sich<lb/> heute zu einem parlamentarischen erweitern will, ist nie so offenkundig ge¬<lb/> wesen, wie in der gegenwärtigen Krisis. Was werden soll, wenn das Kaiser¬<lb/> thum zusammenstürzt, weiß Frankreich eben so wenig wie vor zwei Jahren<lb/> und noch nie hat eine politische Bewegung einen so rein negativen Charakter<lb/> getragen wie die gegenwärtige.</p><lb/> <p xml:id="ID_1235"> Mit ihrer Gegnerin verglichen, erscheint die kaiserliche Partei immer<lb/> noch als die stärkere, denn sie zählt wenigstens einen Mann in ihren Reihen,<lb/> — den Kaiser selbst. Aber die Bürgschaft für die Ordnung, welche derselbe über¬<lb/> nommen hat, ist noch keine Bürgschaft für die Bildung einer lebensfähigen<lb/> Regierung, einer Regierung, welche ihren vor sieben Monaten übernomme¬<lb/> nen konstitutionellen Verpflichtungen nachzukommen im Stande wäre. Daß<lb/> das gegenwärtige Cabinet der Lage nicht gewachsen sei, ist in Compiögne<lb/> noch früher anerkannt worden, als in Paris. Wer wird die provisorischen<lb/> Minister zu ersetzen willens und fähig sein? Der Mangel an Personen ist<lb/> so groß, daß ein und derselbe Mann für die Leitung des Cabinets und für<lb/> die Führung der Regierungspartei in Aussicht genommen worden ist, —<lb/> ein Mann, dessen Charakter noch nicht erprobt ist und über dessen Fähigkeiten<lb/> die Meinungen weit auseinander gehen. Ollivier's Zukunft ist von dessen<lb/> Verhältnissen zu den ehemaligen Genossen abhängig; übernimmt er vorzeitig<lb/> die Leitung eines Cabinets, das mit der Majorität nicht fertig zu werden<lb/> vermag, so ist er auch als Deputirter verbraucht und dem Kaiserthum ist<lb/> eine Stütze entrissen, die sich kaum ersetzen lassen würde. Von den Namen,<lb/> die sonst genannt werden, ist kaum einer, der auch nur innerhalb Frank¬<lb/> reichs einen bestimmten Klang hätte und Vertrauen einzuflößen vermöchte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1236" next="#ID_1237"> Bezeichnend für die Unklarheit und Unsicherheit der Lage ist es, daß</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0437]
gibt es (von der Armee ganz abgesehen), eine große Anzahl von Franzosen,
auf welche das zweite Kaiserthum mit Sicherheit rechnen kann, wenn es sich
um die Alternative „Ordnung oder Freiheit" handelt. Wird man dieser
Alternative aus dem Wege zu gehen wissen? Schon die Unsaßbarkeit des
Programms der radicalen Opposition, die Spaltung der Linken in eine
stets wachsende Zahl von Fractionen und die practische Unerfahrenheit grade
der Führer, welche bei den Massen das größte Ansehen genießen, haben
dafür gesorgt, daß die besitzenden Classen nur wenig Vertrauen zu einer
wirklich freiheitlichen Entwickelung hegen können und Ruhestörungen fürchten
müssen. Das heutige Corps le'gislatif macht den Eindruck, politisch kaum
reifer zu sein, als die Versammlung, welche der großen Revolution vorher¬
ging. Von dem längst verbrauchten Thiers abgesehen, zählt die linke Seite
dieses Körpers nicht einen einzigen Staatsmann, der sich auch nur selbst Er¬
fahrung in großen Geschäften zuschreiben könnte. Jener Mangel an Talen¬
ten und Capacitäten, der die vielbeklagte Folge des Systems ist, das sich
heute zu einem parlamentarischen erweitern will, ist nie so offenkundig ge¬
wesen, wie in der gegenwärtigen Krisis. Was werden soll, wenn das Kaiser¬
thum zusammenstürzt, weiß Frankreich eben so wenig wie vor zwei Jahren
und noch nie hat eine politische Bewegung einen so rein negativen Charakter
getragen wie die gegenwärtige.
Mit ihrer Gegnerin verglichen, erscheint die kaiserliche Partei immer
noch als die stärkere, denn sie zählt wenigstens einen Mann in ihren Reihen,
— den Kaiser selbst. Aber die Bürgschaft für die Ordnung, welche derselbe über¬
nommen hat, ist noch keine Bürgschaft für die Bildung einer lebensfähigen
Regierung, einer Regierung, welche ihren vor sieben Monaten übernomme¬
nen konstitutionellen Verpflichtungen nachzukommen im Stande wäre. Daß
das gegenwärtige Cabinet der Lage nicht gewachsen sei, ist in Compiögne
noch früher anerkannt worden, als in Paris. Wer wird die provisorischen
Minister zu ersetzen willens und fähig sein? Der Mangel an Personen ist
so groß, daß ein und derselbe Mann für die Leitung des Cabinets und für
die Führung der Regierungspartei in Aussicht genommen worden ist, —
ein Mann, dessen Charakter noch nicht erprobt ist und über dessen Fähigkeiten
die Meinungen weit auseinander gehen. Ollivier's Zukunft ist von dessen
Verhältnissen zu den ehemaligen Genossen abhängig; übernimmt er vorzeitig
die Leitung eines Cabinets, das mit der Majorität nicht fertig zu werden
vermag, so ist er auch als Deputirter verbraucht und dem Kaiserthum ist
eine Stütze entrissen, die sich kaum ersetzen lassen würde. Von den Namen,
die sonst genannt werden, ist kaum einer, der auch nur innerhalb Frank¬
reichs einen bestimmten Klang hätte und Vertrauen einzuflößen vermöchte.
Bezeichnend für die Unklarheit und Unsicherheit der Lage ist es, daß
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