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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Also wiederum ein kritischer Spruch, der nur verstärkt und mit derberer
Betonung vorgetragen wird, damit er sich recht deutlich in seiner Abge¬
schmacktheit darstelle. Und wer hat diesen Spruch gethan?

Die Erklärer verweisen uns hier auf die Beurtheilung, die der Schiller-
sche Musenalmanach, zugleich mit denen, welche Voß und der Werneuchener
Pastor Schmidt herausgegeben, im dritten Stücke des Journals "Deutsch¬
land" erfahren hatte. Es ist allerdings nicht recht glaublich, daß Schiller den
Verfasser dieser Recension, die sich weder durch einsichtige, noch absonderlich
thörichte Bemerkungen unter den Kritiken gewöhnlichen Schlages hervorthut,
der satirischen Geißel gewürdigt haben soll. Indeß, da der Dichter einmal,
und zwar mit gutem Grunde, der Reichardt'schen Zeitschrift gram war, so
mag er immerhin einen, an sich unverfänglichen, Satz herausgegriffen und
ihn absichtlich in ungünstigem Sinne gedeutet haben, um diese Deutung dann,
epigrammatisch zugespitzt, in einem Xenion auszusprechen. Suchen wir also
nach.einem derartigen Sahe!

In jener Recension werden Goethe's venetianische Epigramme, die als
ein für sich bestehendes Ganzes am Schlüsse des Musen-Almanachs für 1796
erschienen, den derben, aus heimischem Boden entsprossenen Erzeugnissen des
märkischen Pastors vergleichend gegenübergestellt; und nach Angabe der Er¬
klärer soll der Kritiker zu Gunsten dieses letzteren die Entscheidung fällen.
Dieser in seiner blöden Beschränktheit verwegene Recensent werde demnach
durch jenes Epigramm verhöhnt, weil das ländliche Fabricae des behaglich in
der Platitüde schwelgenden Sängers ihm mehr zusage, als die zu genialischer
Freiheit geborene Poesie Goethe's, die, wie vom^Hauche italischer Lüste empor¬
gehoben . alle.vielgestaltigen und vielfarbigen Erscheinungen des Lebens in
leichtem Fluge umschwebt und berührt.

Man muß bekennen, daß, auf diese Weise ausgelegt, das Epigramm als
ein ziemlich mißrathenes erscheint. Es trifft nicht recht; ihm fehlt die rechte
Spitze, die Schiller doch sonst energisch genug hervorzutreiben verstand. Jedoch
selbst der meisterlichste Epigrammatist kann nicht immer in gleich glücklicher
Stimmung sein; diese leichten Dichtungen sind Geburten des Augenblicks,
und auch von der Gunst und Ungunst des Augenblicks abhängig;*) unter
so viel Distichen von durchdringender Schärfe darf daher auch wohl ein
stumpferes sich einschleichen.

Damit aber die erwähnte Auslegung nur irgendwie Statt finden könnte,
müßte der Recensent, auf den das Distichon zielen soll, entweder vernehmlich
aussprechen oder durch seine Worte errathen lassen, daß er Schmidt, als den
Würdigeren, des Kranzes werth halte, und daß er ihm, dem Sänger pater-



") "Sie wollen sich ihr ursprüngliches Recht als glückliche Einfälle nicht nehmen
lassen." Schiller an Goethe 22. Januar 1796.
Grenzboten IV. 186i>. 52

Also wiederum ein kritischer Spruch, der nur verstärkt und mit derberer
Betonung vorgetragen wird, damit er sich recht deutlich in seiner Abge¬
schmacktheit darstelle. Und wer hat diesen Spruch gethan?

Die Erklärer verweisen uns hier auf die Beurtheilung, die der Schiller-
sche Musenalmanach, zugleich mit denen, welche Voß und der Werneuchener
Pastor Schmidt herausgegeben, im dritten Stücke des Journals „Deutsch¬
land" erfahren hatte. Es ist allerdings nicht recht glaublich, daß Schiller den
Verfasser dieser Recension, die sich weder durch einsichtige, noch absonderlich
thörichte Bemerkungen unter den Kritiken gewöhnlichen Schlages hervorthut,
der satirischen Geißel gewürdigt haben soll. Indeß, da der Dichter einmal,
und zwar mit gutem Grunde, der Reichardt'schen Zeitschrift gram war, so
mag er immerhin einen, an sich unverfänglichen, Satz herausgegriffen und
ihn absichtlich in ungünstigem Sinne gedeutet haben, um diese Deutung dann,
epigrammatisch zugespitzt, in einem Xenion auszusprechen. Suchen wir also
nach.einem derartigen Sahe!

In jener Recension werden Goethe's venetianische Epigramme, die als
ein für sich bestehendes Ganzes am Schlüsse des Musen-Almanachs für 1796
erschienen, den derben, aus heimischem Boden entsprossenen Erzeugnissen des
märkischen Pastors vergleichend gegenübergestellt; und nach Angabe der Er¬
klärer soll der Kritiker zu Gunsten dieses letzteren die Entscheidung fällen.
Dieser in seiner blöden Beschränktheit verwegene Recensent werde demnach
durch jenes Epigramm verhöhnt, weil das ländliche Fabricae des behaglich in
der Platitüde schwelgenden Sängers ihm mehr zusage, als die zu genialischer
Freiheit geborene Poesie Goethe's, die, wie vom^Hauche italischer Lüste empor¬
gehoben . alle.vielgestaltigen und vielfarbigen Erscheinungen des Lebens in
leichtem Fluge umschwebt und berührt.

Man muß bekennen, daß, auf diese Weise ausgelegt, das Epigramm als
ein ziemlich mißrathenes erscheint. Es trifft nicht recht; ihm fehlt die rechte
Spitze, die Schiller doch sonst energisch genug hervorzutreiben verstand. Jedoch
selbst der meisterlichste Epigrammatist kann nicht immer in gleich glücklicher
Stimmung sein; diese leichten Dichtungen sind Geburten des Augenblicks,
und auch von der Gunst und Ungunst des Augenblicks abhängig;*) unter
so viel Distichen von durchdringender Schärfe darf daher auch wohl ein
stumpferes sich einschleichen.

Damit aber die erwähnte Auslegung nur irgendwie Statt finden könnte,
müßte der Recensent, auf den das Distichon zielen soll, entweder vernehmlich
aussprechen oder durch seine Worte errathen lassen, daß er Schmidt, als den
Würdigeren, des Kranzes werth halte, und daß er ihm, dem Sänger pater-



") „Sie wollen sich ihr ursprüngliches Recht als glückliche Einfälle nicht nehmen
lassen." Schiller an Goethe 22. Januar 1796.
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[0417] Also wiederum ein kritischer Spruch, der nur verstärkt und mit derberer Betonung vorgetragen wird, damit er sich recht deutlich in seiner Abge¬ schmacktheit darstelle. Und wer hat diesen Spruch gethan? Die Erklärer verweisen uns hier auf die Beurtheilung, die der Schiller- sche Musenalmanach, zugleich mit denen, welche Voß und der Werneuchener Pastor Schmidt herausgegeben, im dritten Stücke des Journals „Deutsch¬ land" erfahren hatte. Es ist allerdings nicht recht glaublich, daß Schiller den Verfasser dieser Recension, die sich weder durch einsichtige, noch absonderlich thörichte Bemerkungen unter den Kritiken gewöhnlichen Schlages hervorthut, der satirischen Geißel gewürdigt haben soll. Indeß, da der Dichter einmal, und zwar mit gutem Grunde, der Reichardt'schen Zeitschrift gram war, so mag er immerhin einen, an sich unverfänglichen, Satz herausgegriffen und ihn absichtlich in ungünstigem Sinne gedeutet haben, um diese Deutung dann, epigrammatisch zugespitzt, in einem Xenion auszusprechen. Suchen wir also nach.einem derartigen Sahe! In jener Recension werden Goethe's venetianische Epigramme, die als ein für sich bestehendes Ganzes am Schlüsse des Musen-Almanachs für 1796 erschienen, den derben, aus heimischem Boden entsprossenen Erzeugnissen des märkischen Pastors vergleichend gegenübergestellt; und nach Angabe der Er¬ klärer soll der Kritiker zu Gunsten dieses letzteren die Entscheidung fällen. Dieser in seiner blöden Beschränktheit verwegene Recensent werde demnach durch jenes Epigramm verhöhnt, weil das ländliche Fabricae des behaglich in der Platitüde schwelgenden Sängers ihm mehr zusage, als die zu genialischer Freiheit geborene Poesie Goethe's, die, wie vom^Hauche italischer Lüste empor¬ gehoben . alle.vielgestaltigen und vielfarbigen Erscheinungen des Lebens in leichtem Fluge umschwebt und berührt. Man muß bekennen, daß, auf diese Weise ausgelegt, das Epigramm als ein ziemlich mißrathenes erscheint. Es trifft nicht recht; ihm fehlt die rechte Spitze, die Schiller doch sonst energisch genug hervorzutreiben verstand. Jedoch selbst der meisterlichste Epigrammatist kann nicht immer in gleich glücklicher Stimmung sein; diese leichten Dichtungen sind Geburten des Augenblicks, und auch von der Gunst und Ungunst des Augenblicks abhängig;*) unter so viel Distichen von durchdringender Schärfe darf daher auch wohl ein stumpferes sich einschleichen. Damit aber die erwähnte Auslegung nur irgendwie Statt finden könnte, müßte der Recensent, auf den das Distichon zielen soll, entweder vernehmlich aussprechen oder durch seine Worte errathen lassen, daß er Schmidt, als den Würdigeren, des Kranzes werth halte, und daß er ihm, dem Sänger pater- ") „Sie wollen sich ihr ursprüngliches Recht als glückliche Einfälle nicht nehmen lassen." Schiller an Goethe 22. Januar 1796. Grenzboten IV. 186i>. 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/417>, abgerufen am 22.07.2024.