Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.1868 einen Vortrag über "den alten und den neuen Glauben an Christus." Dies war der Mann, und dies der Vortrag, welchen die Orthodoxen sich 1868 einen Vortrag über „den alten und den neuen Glauben an Christus." Dies war der Mann, und dies der Vortrag, welchen die Orthodoxen sich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0400" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/122155"/> <p xml:id="ID_1110" prev="#ID_1109"> 1868 einen Vortrag über „den alten und den neuen Glauben an Christus."<lb/> Er entwickelte darin die Verschiedenheiten der alten überlieferten, in der Kirche<lb/> noch geltenden Anschauung von dem Stifter der christlichen Religion und der<lb/> aus der kritisch-historischen Wissenschaft hervorgegangenen neuen. Seinerseits<lb/> bekannte er sich, wie man denken kann, zu dieser letzteren. Der eigentliche<lb/> Inhalt der Rede war also nicht besonders neu, selbst für leidlich unter¬<lb/> richtete Laien nicht. Desto packender war die Form: eine äußerst klare, ge¬<lb/> meinverständliche Ausdrucksweise, belebt durch glänzende und schlagende Anti¬<lb/> thesen, ein Vortrag von ungewöhnlicher Gewalt, ausgehend von einer merk¬<lb/> würdig unscheinbaren Persönlichkeit. Man hätte sagen können: es sei David<lb/> Strauß auf die Tribüne oder die Kanzel verpflanzt, wenn nicht der lange<lb/> Aufenthalt des Redners in Frankreich ihm einen starken Hauch französischen<lb/> Stils und Geistes verliehen hätte. Eher ließe sich demzufolge an Renan<lb/> denken, aber von diesem unterschied ihn — wie nicht minder allerdings von<lb/> Strauß — die Inbrunst und Fülle echter Religiosität.</p><lb/> <p xml:id="ID_1111" next="#ID_1112"> Dies war der Mann, und dies der Vortrag, welchen die Orthodoxen sich<lb/> ersahen, um den Rechtszustand der Bremer Kirche in ihrem Sinne auf die Probe<lb/> zu stellen. Die Erregung in ihrem Lager über die unbekümmert frohe Zu¬<lb/> versicht, mit welcher der Protestantenverein und dessen energischer Sprecher<lb/> ihre Botschaft allem Volk, auch der altgläubigen Herde verkündigten, war<lb/> schon früher handgreiflich hervorgetreten. Einer der zu ihnen haltenden<lb/> reichen Kaufleute hatte öffentlich einen Preis ausgeschrieben, für die beste<lb/> Widerlegung der Lehren von vier namentlich benannten Predigern, und das<lb/> Urtheil dem Berliner Oberkirchenrath zugeschoben, der es indessen doch<lb/> nicht recht geheuer fand, diesem schmeichelhaften Zutrauen zu entsprechen, wo¬<lb/> mit denn der Schlag überhaupt ins Wasser ging. Aber nun traten Schwalb's<lb/> Amtsbruder selbst hervor, ein Viertel Hundert an der Zahl, aus Stadt und<lb/> Land, und denuncirten ihn öffentlich dem Senat als absetzungswerthen Ketzer.<lb/> Und da der Senat auf diese Zeitungs-Anzeige hin nicht alsbald seine ver¬<lb/> meintliche Schuldigkeit that, wurde ein winziges Häuflein von Mitgliedern<lb/> der Martini-Gemeinde, an welcher Schwalb als alleiniger Prediger stand,<lb/> zusammengebracht, um den Senat direct zum Einschreiten aufzufordern- Das<lb/> rief denn natürlich auch die große Mehrheit der Gemeinde ins Feuer, die<lb/> an ihrem geisterfüllten Prediger mit immer wachsender Liebe und Verehrung<lb/> hing. Sie deckte ihm mit dem Schilde ihrer erklärten Anhänglichkeit und<lb/> Uebereinstimmung. Zugleich stellten sich die andern Geistlichen, welche Schwalb's<lb/> Anschauungen theilten und zum Theil schon viel länger öffentlich bekannt<lb/> hatten, auf die Seite des angegriffenen Collegen. mit dessen Lehrfreiheit und<lb/> Stellung unverkennbar auch die ihrige bedroht war. Aus Elberfeld, wo zahl¬<lb/> reiche kirchlichgesinnte Liberale einen Pastor von freierer Richtung seit vielen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0400]
1868 einen Vortrag über „den alten und den neuen Glauben an Christus."
Er entwickelte darin die Verschiedenheiten der alten überlieferten, in der Kirche
noch geltenden Anschauung von dem Stifter der christlichen Religion und der
aus der kritisch-historischen Wissenschaft hervorgegangenen neuen. Seinerseits
bekannte er sich, wie man denken kann, zu dieser letzteren. Der eigentliche
Inhalt der Rede war also nicht besonders neu, selbst für leidlich unter¬
richtete Laien nicht. Desto packender war die Form: eine äußerst klare, ge¬
meinverständliche Ausdrucksweise, belebt durch glänzende und schlagende Anti¬
thesen, ein Vortrag von ungewöhnlicher Gewalt, ausgehend von einer merk¬
würdig unscheinbaren Persönlichkeit. Man hätte sagen können: es sei David
Strauß auf die Tribüne oder die Kanzel verpflanzt, wenn nicht der lange
Aufenthalt des Redners in Frankreich ihm einen starken Hauch französischen
Stils und Geistes verliehen hätte. Eher ließe sich demzufolge an Renan
denken, aber von diesem unterschied ihn — wie nicht minder allerdings von
Strauß — die Inbrunst und Fülle echter Religiosität.
Dies war der Mann, und dies der Vortrag, welchen die Orthodoxen sich
ersahen, um den Rechtszustand der Bremer Kirche in ihrem Sinne auf die Probe
zu stellen. Die Erregung in ihrem Lager über die unbekümmert frohe Zu¬
versicht, mit welcher der Protestantenverein und dessen energischer Sprecher
ihre Botschaft allem Volk, auch der altgläubigen Herde verkündigten, war
schon früher handgreiflich hervorgetreten. Einer der zu ihnen haltenden
reichen Kaufleute hatte öffentlich einen Preis ausgeschrieben, für die beste
Widerlegung der Lehren von vier namentlich benannten Predigern, und das
Urtheil dem Berliner Oberkirchenrath zugeschoben, der es indessen doch
nicht recht geheuer fand, diesem schmeichelhaften Zutrauen zu entsprechen, wo¬
mit denn der Schlag überhaupt ins Wasser ging. Aber nun traten Schwalb's
Amtsbruder selbst hervor, ein Viertel Hundert an der Zahl, aus Stadt und
Land, und denuncirten ihn öffentlich dem Senat als absetzungswerthen Ketzer.
Und da der Senat auf diese Zeitungs-Anzeige hin nicht alsbald seine ver¬
meintliche Schuldigkeit that, wurde ein winziges Häuflein von Mitgliedern
der Martini-Gemeinde, an welcher Schwalb als alleiniger Prediger stand,
zusammengebracht, um den Senat direct zum Einschreiten aufzufordern- Das
rief denn natürlich auch die große Mehrheit der Gemeinde ins Feuer, die
an ihrem geisterfüllten Prediger mit immer wachsender Liebe und Verehrung
hing. Sie deckte ihm mit dem Schilde ihrer erklärten Anhänglichkeit und
Uebereinstimmung. Zugleich stellten sich die andern Geistlichen, welche Schwalb's
Anschauungen theilten und zum Theil schon viel länger öffentlich bekannt
hatten, auf die Seite des angegriffenen Collegen. mit dessen Lehrfreiheit und
Stellung unverkennbar auch die ihrige bedroht war. Aus Elberfeld, wo zahl¬
reiche kirchlichgesinnte Liberale einen Pastor von freierer Richtung seit vielen
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