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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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schlagnen Modus der Ermittelung für deutsche Verhältnisse unausführbar
halten. Er empfiehlt nämlich das englische System, welches das Einkommen
an seinen Quellen trifft, also die Grundrente gleich beim Pächter, die Zinsen,
Dividenden und sonstigen Capitalrenten bei der Auszahlung besteuert, muß
aber zugeben, daß man bei dem ganzen Gewerbestande keinen andern Aus¬
weg als den der Selbstschätzung gewußt habe. Für uns kommt nun in Be¬
tracht, daß in deutschen Verhältnissen die englische Besteurungsart der Grund¬
rente wie der Pachtsumme unmöglich sind, weil eben Verpachtung die Aus¬
nahme, Selbstbewirthschaftung die ganz überwiegende Regel ist. Es wäre nach
englischem System also in Deutschland nur die Steuer von der Capitalrente
leicht zu erheben. Wenn der Verfasser nun mit Recht die Einschätzung nach
Classen verwirft, wie sie in Preußen besteht und allgemein als ungenügend
empfunden wird, so wird es sich um so mehr empfehlen aus die Selbstschätzung
zurückzukommen, als dieselbe bereits in andern deutschen Staaten mit aus¬
gezeichnetem Erfolg eingeführt ist, nämlich in Sachsen-Weimar, den Hanse¬
städten und neuerlich auch in der Stadt Berlin. In Weimar ist sie aller-
dings ziemlich uneonsequent auf Gehalte, Zinsen und Dividenden beschränkt,
während das Einkommen aus Grundrente, Handels- und Fabrikbetrieb der
Abschätzung unterliegt. In Bremen herrscht die sehr patriarchalische Form,
daß nur der Procentsatz der Steuer festgesetzt wird und jeder sich nicht blos
selbst schätzt, sondern die Steuer, auf die er sich taxirt, selbst in die Steuer-
casse legt, so daß die Behörde die Gesammtsummen erhält, ohne die Beiträge
der Einzelnen zu kennen. So viel Ehre es der Rechtlichkeit der Bremischen
Bürger macht, daß ein solcher Modus gute Resultate gibt, so unmöglich wäre
doch seine Anwendung auf einen großen Staat. Dagegen scheinen uns die Ein¬
kommensteuergesetze von Hamburg und Lübeck im Wesentlichen allen verständigen
Anforderungen zu entsprechen. Ein Existenzminimum ist steuerfrei gelassen,
in Hamburg von 200 Thlr., in Lübeck von 120 Thlr., mit der Erreichung
dieser Beträge des Einkommens beginnt die Steuer nach geringen Sätzen, bis
sie 3 Proc. erreicht, in Lübeck schon bei 1200, in Hamburg erst bei 3320 Thlr.
Einnahme von mehr als 3 Proc. wird nicht erhoben. In Hamburg geht die
Selbstschätzung auf alles steuerbare Einkommen, in Lübeck hat man nach dem
Vorgange der italienischen Gesetzgebung sehr zweckmäßig die Selbstschätzung
erst mit 200 Thlr. Einnahme beginnen lassen, während die unter diesem
Satze bleibenden Einkommen abgeschätzt werden. Der Grund hierfür ist die
für die betreffenden Classen bestehende Schwierigkeit, ihr Einkommen anzugeben.
Kleine Leute führen gewöhnlich nicht Buch, die Berechnung ist daher für sie
schwierig, falls die Einnahmen nicht in festen Löhnen bestehen, und der
Steuerpflichtige ist geneigt, nach augenblicklichen Verlegenheiten sein Einkom¬
men zu niedrig zu veranschlagen, den mithineingehörenden Verdienst der nicht


Gttujbotm IV. 1869. 49

schlagnen Modus der Ermittelung für deutsche Verhältnisse unausführbar
halten. Er empfiehlt nämlich das englische System, welches das Einkommen
an seinen Quellen trifft, also die Grundrente gleich beim Pächter, die Zinsen,
Dividenden und sonstigen Capitalrenten bei der Auszahlung besteuert, muß
aber zugeben, daß man bei dem ganzen Gewerbestande keinen andern Aus¬
weg als den der Selbstschätzung gewußt habe. Für uns kommt nun in Be¬
tracht, daß in deutschen Verhältnissen die englische Besteurungsart der Grund¬
rente wie der Pachtsumme unmöglich sind, weil eben Verpachtung die Aus¬
nahme, Selbstbewirthschaftung die ganz überwiegende Regel ist. Es wäre nach
englischem System also in Deutschland nur die Steuer von der Capitalrente
leicht zu erheben. Wenn der Verfasser nun mit Recht die Einschätzung nach
Classen verwirft, wie sie in Preußen besteht und allgemein als ungenügend
empfunden wird, so wird es sich um so mehr empfehlen aus die Selbstschätzung
zurückzukommen, als dieselbe bereits in andern deutschen Staaten mit aus¬
gezeichnetem Erfolg eingeführt ist, nämlich in Sachsen-Weimar, den Hanse¬
städten und neuerlich auch in der Stadt Berlin. In Weimar ist sie aller-
dings ziemlich uneonsequent auf Gehalte, Zinsen und Dividenden beschränkt,
während das Einkommen aus Grundrente, Handels- und Fabrikbetrieb der
Abschätzung unterliegt. In Bremen herrscht die sehr patriarchalische Form,
daß nur der Procentsatz der Steuer festgesetzt wird und jeder sich nicht blos
selbst schätzt, sondern die Steuer, auf die er sich taxirt, selbst in die Steuer-
casse legt, so daß die Behörde die Gesammtsummen erhält, ohne die Beiträge
der Einzelnen zu kennen. So viel Ehre es der Rechtlichkeit der Bremischen
Bürger macht, daß ein solcher Modus gute Resultate gibt, so unmöglich wäre
doch seine Anwendung auf einen großen Staat. Dagegen scheinen uns die Ein¬
kommensteuergesetze von Hamburg und Lübeck im Wesentlichen allen verständigen
Anforderungen zu entsprechen. Ein Existenzminimum ist steuerfrei gelassen,
in Hamburg von 200 Thlr., in Lübeck von 120 Thlr., mit der Erreichung
dieser Beträge des Einkommens beginnt die Steuer nach geringen Sätzen, bis
sie 3 Proc. erreicht, in Lübeck schon bei 1200, in Hamburg erst bei 3320 Thlr.
Einnahme von mehr als 3 Proc. wird nicht erhoben. In Hamburg geht die
Selbstschätzung auf alles steuerbare Einkommen, in Lübeck hat man nach dem
Vorgange der italienischen Gesetzgebung sehr zweckmäßig die Selbstschätzung
erst mit 200 Thlr. Einnahme beginnen lassen, während die unter diesem
Satze bleibenden Einkommen abgeschätzt werden. Der Grund hierfür ist die
für die betreffenden Classen bestehende Schwierigkeit, ihr Einkommen anzugeben.
Kleine Leute führen gewöhnlich nicht Buch, die Berechnung ist daher für sie
schwierig, falls die Einnahmen nicht in festen Löhnen bestehen, und der
Steuerpflichtige ist geneigt, nach augenblicklichen Verlegenheiten sein Einkom¬
men zu niedrig zu veranschlagen, den mithineingehörenden Verdienst der nicht


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[0393] schlagnen Modus der Ermittelung für deutsche Verhältnisse unausführbar halten. Er empfiehlt nämlich das englische System, welches das Einkommen an seinen Quellen trifft, also die Grundrente gleich beim Pächter, die Zinsen, Dividenden und sonstigen Capitalrenten bei der Auszahlung besteuert, muß aber zugeben, daß man bei dem ganzen Gewerbestande keinen andern Aus¬ weg als den der Selbstschätzung gewußt habe. Für uns kommt nun in Be¬ tracht, daß in deutschen Verhältnissen die englische Besteurungsart der Grund¬ rente wie der Pachtsumme unmöglich sind, weil eben Verpachtung die Aus¬ nahme, Selbstbewirthschaftung die ganz überwiegende Regel ist. Es wäre nach englischem System also in Deutschland nur die Steuer von der Capitalrente leicht zu erheben. Wenn der Verfasser nun mit Recht die Einschätzung nach Classen verwirft, wie sie in Preußen besteht und allgemein als ungenügend empfunden wird, so wird es sich um so mehr empfehlen aus die Selbstschätzung zurückzukommen, als dieselbe bereits in andern deutschen Staaten mit aus¬ gezeichnetem Erfolg eingeführt ist, nämlich in Sachsen-Weimar, den Hanse¬ städten und neuerlich auch in der Stadt Berlin. In Weimar ist sie aller- dings ziemlich uneonsequent auf Gehalte, Zinsen und Dividenden beschränkt, während das Einkommen aus Grundrente, Handels- und Fabrikbetrieb der Abschätzung unterliegt. In Bremen herrscht die sehr patriarchalische Form, daß nur der Procentsatz der Steuer festgesetzt wird und jeder sich nicht blos selbst schätzt, sondern die Steuer, auf die er sich taxirt, selbst in die Steuer- casse legt, so daß die Behörde die Gesammtsummen erhält, ohne die Beiträge der Einzelnen zu kennen. So viel Ehre es der Rechtlichkeit der Bremischen Bürger macht, daß ein solcher Modus gute Resultate gibt, so unmöglich wäre doch seine Anwendung auf einen großen Staat. Dagegen scheinen uns die Ein¬ kommensteuergesetze von Hamburg und Lübeck im Wesentlichen allen verständigen Anforderungen zu entsprechen. Ein Existenzminimum ist steuerfrei gelassen, in Hamburg von 200 Thlr., in Lübeck von 120 Thlr., mit der Erreichung dieser Beträge des Einkommens beginnt die Steuer nach geringen Sätzen, bis sie 3 Proc. erreicht, in Lübeck schon bei 1200, in Hamburg erst bei 3320 Thlr. Einnahme von mehr als 3 Proc. wird nicht erhoben. In Hamburg geht die Selbstschätzung auf alles steuerbare Einkommen, in Lübeck hat man nach dem Vorgange der italienischen Gesetzgebung sehr zweckmäßig die Selbstschätzung erst mit 200 Thlr. Einnahme beginnen lassen, während die unter diesem Satze bleibenden Einkommen abgeschätzt werden. Der Grund hierfür ist die für die betreffenden Classen bestehende Schwierigkeit, ihr Einkommen anzugeben. Kleine Leute führen gewöhnlich nicht Buch, die Berechnung ist daher für sie schwierig, falls die Einnahmen nicht in festen Löhnen bestehen, und der Steuerpflichtige ist geneigt, nach augenblicklichen Verlegenheiten sein Einkom¬ men zu niedrig zu veranschlagen, den mithineingehörenden Verdienst der nicht Gttujbotm IV. 1869. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/393>, abgerufen am 24.08.2024.