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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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schick, ja er drängt in einem Act zuweilen so viel von Vorfällen zusammen,
daß dem Publicum ein starkes Springen über dazwischen liegende Zeiten und
Räume zugemuthet wird. Er wagt dies, weil ihm in den Scenen weislich
nicht die Vorführung der Begebenheiten Hauptsache ist, sondern die Schilde¬
rung der Reflexe, welche durch das Geschehende in die Seele der H?idem
fallen. An dem Siege Engelmanns über die Seeräuber kümmert den Dich¬
ter mit Recht nur die Wirkung, welche der Sieg auf die Häuptlinge und
die Gräfin ausübt; er führt nicht das Treffen vor, in welchem Adolph von
Oldenburg gefangen wird, nur die Gefangennahme nach der Schlacht, er
schildert die Noth auf dem Schloß Engelmanns nur durch die gemüthlichen
Stimmungen der Landsknechte u. s. w.

Das hilft die einzelnen Theilstücke der Handlung für die Aufführung
dramatisch beleben, aber es werden der Botenberichte doch zu viele. Die
Aufmerksamkeit wird zu oft mit den Ereignissen beschäftigt, welche hinter der
Scene vorgegangen sind. Und die Verbindung einzelner Momente zu einem
Ganzen wird nicht so fest und nothwendig, als man wünschen möchte; denn
die Scenen sind nicht alle unentbehrlich um die künstlerische Idee des Stückes
wirksam zu machen. Zu den besten Theilen des Dramas gehören alle die, >
, in welchen die Häuptlinge zusammen oder durch ihren schlechten Führer
Gerd von der Haide, charakterisirt sind. Aber grade diese Scenen sind nur
dazu da, um Zeit und Ort und die relative Berechtigung der Gräfin zu
expliciren und der eigentlichen Handlung zwei bis drei kleine Motive zu
geben. Die behaglich in drei Scenen ausgeführte Verschwörung gegen die
Gräfin verläuft ohne wesentliches Resultat für das Stück, die große Scene
der Volksgemeinde hat keine Folgen sür die späteren Acte, ja selbst der
Dolchstoß des Gerd von der Haide und die Beseitigung des Schuftes durch
Engelmann könnten ohne Schaden für das innere Leben der Hauptgestalten
ganz wegbleiben. Es resultnt bei all' diesen Theilstücken der Fabel nichts
für die eigentlich dramatische Handlung, welche auf dem Charakter der Haupt¬
heldin, und auf diesem allein ruht.

Allerdings enthalten die so entbehrlichen Theilstücke einige Motive. Aber
diese Stützen der Haupthandlung sind unbedeutend. Daß z. B. Herr Hero
Mauritz durch den Contrast zu dem schlechten Baueradel rühmlich eingeführt
wird, ist nur ein geringer Gewinn, da dieser würdige Vertreter des gesunden
Menschenverstandes in den kurzen Scenen, welche ihm vergönnt sind, allzu¬
sehr Nebenfigur bleibt und auch nicht den kleinsten Wirbel in der Seele seiner
Verwandten hervorzubringen versteht. Will man in einem Drama die Be¬
fangenheit des Helden durch eine gegenübergestellte Personification gesunden
Menschenverstandes erklären, so muß man auf die undankbare Rolle des guten
Rathgebers und seinen Kampf mit dem Helden besonderen Fleiß wenden, der


schick, ja er drängt in einem Act zuweilen so viel von Vorfällen zusammen,
daß dem Publicum ein starkes Springen über dazwischen liegende Zeiten und
Räume zugemuthet wird. Er wagt dies, weil ihm in den Scenen weislich
nicht die Vorführung der Begebenheiten Hauptsache ist, sondern die Schilde¬
rung der Reflexe, welche durch das Geschehende in die Seele der H?idem
fallen. An dem Siege Engelmanns über die Seeräuber kümmert den Dich¬
ter mit Recht nur die Wirkung, welche der Sieg auf die Häuptlinge und
die Gräfin ausübt; er führt nicht das Treffen vor, in welchem Adolph von
Oldenburg gefangen wird, nur die Gefangennahme nach der Schlacht, er
schildert die Noth auf dem Schloß Engelmanns nur durch die gemüthlichen
Stimmungen der Landsknechte u. s. w.

Das hilft die einzelnen Theilstücke der Handlung für die Aufführung
dramatisch beleben, aber es werden der Botenberichte doch zu viele. Die
Aufmerksamkeit wird zu oft mit den Ereignissen beschäftigt, welche hinter der
Scene vorgegangen sind. Und die Verbindung einzelner Momente zu einem
Ganzen wird nicht so fest und nothwendig, als man wünschen möchte; denn
die Scenen sind nicht alle unentbehrlich um die künstlerische Idee des Stückes
wirksam zu machen. Zu den besten Theilen des Dramas gehören alle die, >
, in welchen die Häuptlinge zusammen oder durch ihren schlechten Führer
Gerd von der Haide, charakterisirt sind. Aber grade diese Scenen sind nur
dazu da, um Zeit und Ort und die relative Berechtigung der Gräfin zu
expliciren und der eigentlichen Handlung zwei bis drei kleine Motive zu
geben. Die behaglich in drei Scenen ausgeführte Verschwörung gegen die
Gräfin verläuft ohne wesentliches Resultat für das Stück, die große Scene
der Volksgemeinde hat keine Folgen sür die späteren Acte, ja selbst der
Dolchstoß des Gerd von der Haide und die Beseitigung des Schuftes durch
Engelmann könnten ohne Schaden für das innere Leben der Hauptgestalten
ganz wegbleiben. Es resultnt bei all' diesen Theilstücken der Fabel nichts
für die eigentlich dramatische Handlung, welche auf dem Charakter der Haupt¬
heldin, und auf diesem allein ruht.

Allerdings enthalten die so entbehrlichen Theilstücke einige Motive. Aber
diese Stützen der Haupthandlung sind unbedeutend. Daß z. B. Herr Hero
Mauritz durch den Contrast zu dem schlechten Baueradel rühmlich eingeführt
wird, ist nur ein geringer Gewinn, da dieser würdige Vertreter des gesunden
Menschenverstandes in den kurzen Scenen, welche ihm vergönnt sind, allzu¬
sehr Nebenfigur bleibt und auch nicht den kleinsten Wirbel in der Seele seiner
Verwandten hervorzubringen versteht. Will man in einem Drama die Be¬
fangenheit des Helden durch eine gegenübergestellte Personification gesunden
Menschenverstandes erklären, so muß man auf die undankbare Rolle des guten
Rathgebers und seinen Kampf mit dem Helden besonderen Fleiß wenden, der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/39>, abgerufen am 22.07.2024.