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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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des Staates sei über den Einzelnen, nicht neben ihnen als bevorzugter Ge¬
sellschafter, der seine Dividende zuerst bekomme. Dieser Auffassung gegenüber,
welche noch in der Vergeltungstheorie wurzelt, betont er die Nichtigkeit des
persönlichen Steuersystems, welches lediglich nach der Steuersähigkeit ver¬
fahre; die Steuer habe sich an den ganzen Menschen in der Einheit seiner
wirthschaftlichen Einkünfte und Verwendungszwecke zu halten. Zu besteuern
sei daher das Einkommen jeder Person, abzüglich der auf demselben
ruhenden Schuldzinsen und des Existenzminimums. Von diesem richti¬
gen Standpunkte aus widerlegt der Verfasser die Einwürfe des Geg¬
ners, zeigt im Einzelnen die Verkehrtheit der Factorensteuern, namentlich
der Grundsteuer, der Gewerbesteuer, der Lohnsteuer und vertheidigt sein
System der Einkommensteuer und der Verbrauchssteuern. So sehr man ihm
nun principiell hierin beistimmen muß, so kommt dabei doch wieder ein Punkt
zum Vorschein, wo seine Kritik sich zu leicht über die Schwierigkeiten der
concreten Verhältnisse hinwegsetzt, nämlich bei der Grundsteuer. Hätten wir
es mit einem jungfräulichen Boden, einem neu zu gründenden Staate zu
thun, so würden auch wir die Grundsteuer einfach verwerfen. Wir haben
es aber im Leben mit Staaten zu thun, in denen die Grundsteuer seit langer
Zeit besteht. Selbst in England, dessen Gesetzgebung der Verfasser mit Recht
als Muster aufstellt, ist dies noch der Fall, denn seit 1798, wo Pitt die
Grundsteuer ablöslich machte, ist noch nicht die Hälfte abgelöst und außerdem
ruhte fast alle Loealsteuer in Großbritannien auf dem Grundbesitz, ein Um¬
stand, über den der Verfasser nicht mit der bloßen Behauptung hätte weggehen
dürfen, daß diese Besteuerung gänzlich im Argen liege. Am wenigsten ist
der Tadel gegen die preußische Grundsteuerausgleichung der neusten Zeit
gerechtfertigt, sie war vielmehr ein Werk der Nothwendigkeit und Gerechtig¬
keit. Hätte man statt sich diesem mühseligen Werke zu unterziehen die ganze
Grundsteuer aufgehoben, so hätte man den bisher Steuerpflichtigen einfach
ein Geschenk im Werthe der capitalisirten Steuer gemacht. Alles was der
Verfasser principiell ganz richtig gegen die Grundsteuer anführt, ändert nichts
an dem Umstände, daß eine lang bestehende Grundsteuer als Reallast zu
Gunsten des Gemeinwesens anzusehen ist, als ein Theil der Bodenrenke, den
der Staat sich vorbehalten. Alle welche Land gekauft haben, seitdem die
Steuer besteht, haben es ihr unterworfen gekauft. Sie zahlten deshalb
weniger, ebenso wie Jemand ein Gut, auf welchem Zehnten oder Gulden
ruhen, wohlfeiler erstehen würde, als wenn es lastenfrei wäre; freilich wäre
es durchaus falsch, diese Eigenschaft der Grundsteuer als Reallast bis zu dem
Punkte zu urgiren, wie die Feudalen thaten, welche bisher befreit waren und
behaupteten, daß es deshalb ganz gleichgiltig sei, ob die Grundsteuer in
einem richtigen und überall gleichem Verhältniß zum Reinertrage der Güter


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des Staates sei über den Einzelnen, nicht neben ihnen als bevorzugter Ge¬
sellschafter, der seine Dividende zuerst bekomme. Dieser Auffassung gegenüber,
welche noch in der Vergeltungstheorie wurzelt, betont er die Nichtigkeit des
persönlichen Steuersystems, welches lediglich nach der Steuersähigkeit ver¬
fahre; die Steuer habe sich an den ganzen Menschen in der Einheit seiner
wirthschaftlichen Einkünfte und Verwendungszwecke zu halten. Zu besteuern
sei daher das Einkommen jeder Person, abzüglich der auf demselben
ruhenden Schuldzinsen und des Existenzminimums. Von diesem richti¬
gen Standpunkte aus widerlegt der Verfasser die Einwürfe des Geg¬
ners, zeigt im Einzelnen die Verkehrtheit der Factorensteuern, namentlich
der Grundsteuer, der Gewerbesteuer, der Lohnsteuer und vertheidigt sein
System der Einkommensteuer und der Verbrauchssteuern. So sehr man ihm
nun principiell hierin beistimmen muß, so kommt dabei doch wieder ein Punkt
zum Vorschein, wo seine Kritik sich zu leicht über die Schwierigkeiten der
concreten Verhältnisse hinwegsetzt, nämlich bei der Grundsteuer. Hätten wir
es mit einem jungfräulichen Boden, einem neu zu gründenden Staate zu
thun, so würden auch wir die Grundsteuer einfach verwerfen. Wir haben
es aber im Leben mit Staaten zu thun, in denen die Grundsteuer seit langer
Zeit besteht. Selbst in England, dessen Gesetzgebung der Verfasser mit Recht
als Muster aufstellt, ist dies noch der Fall, denn seit 1798, wo Pitt die
Grundsteuer ablöslich machte, ist noch nicht die Hälfte abgelöst und außerdem
ruhte fast alle Loealsteuer in Großbritannien auf dem Grundbesitz, ein Um¬
stand, über den der Verfasser nicht mit der bloßen Behauptung hätte weggehen
dürfen, daß diese Besteuerung gänzlich im Argen liege. Am wenigsten ist
der Tadel gegen die preußische Grundsteuerausgleichung der neusten Zeit
gerechtfertigt, sie war vielmehr ein Werk der Nothwendigkeit und Gerechtig¬
keit. Hätte man statt sich diesem mühseligen Werke zu unterziehen die ganze
Grundsteuer aufgehoben, so hätte man den bisher Steuerpflichtigen einfach
ein Geschenk im Werthe der capitalisirten Steuer gemacht. Alles was der
Verfasser principiell ganz richtig gegen die Grundsteuer anführt, ändert nichts
an dem Umstände, daß eine lang bestehende Grundsteuer als Reallast zu
Gunsten des Gemeinwesens anzusehen ist, als ein Theil der Bodenrenke, den
der Staat sich vorbehalten. Alle welche Land gekauft haben, seitdem die
Steuer besteht, haben es ihr unterworfen gekauft. Sie zahlten deshalb
weniger, ebenso wie Jemand ein Gut, auf welchem Zehnten oder Gulden
ruhen, wohlfeiler erstehen würde, als wenn es lastenfrei wäre; freilich wäre
es durchaus falsch, diese Eigenschaft der Grundsteuer als Reallast bis zu dem
Punkte zu urgiren, wie die Feudalen thaten, welche bisher befreit waren und
behaupteten, daß es deshalb ganz gleichgiltig sei, ob die Grundsteuer in
einem richtigen und überall gleichem Verhältniß zum Reinertrage der Güter


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[0387] des Staates sei über den Einzelnen, nicht neben ihnen als bevorzugter Ge¬ sellschafter, der seine Dividende zuerst bekomme. Dieser Auffassung gegenüber, welche noch in der Vergeltungstheorie wurzelt, betont er die Nichtigkeit des persönlichen Steuersystems, welches lediglich nach der Steuersähigkeit ver¬ fahre; die Steuer habe sich an den ganzen Menschen in der Einheit seiner wirthschaftlichen Einkünfte und Verwendungszwecke zu halten. Zu besteuern sei daher das Einkommen jeder Person, abzüglich der auf demselben ruhenden Schuldzinsen und des Existenzminimums. Von diesem richti¬ gen Standpunkte aus widerlegt der Verfasser die Einwürfe des Geg¬ ners, zeigt im Einzelnen die Verkehrtheit der Factorensteuern, namentlich der Grundsteuer, der Gewerbesteuer, der Lohnsteuer und vertheidigt sein System der Einkommensteuer und der Verbrauchssteuern. So sehr man ihm nun principiell hierin beistimmen muß, so kommt dabei doch wieder ein Punkt zum Vorschein, wo seine Kritik sich zu leicht über die Schwierigkeiten der concreten Verhältnisse hinwegsetzt, nämlich bei der Grundsteuer. Hätten wir es mit einem jungfräulichen Boden, einem neu zu gründenden Staate zu thun, so würden auch wir die Grundsteuer einfach verwerfen. Wir haben es aber im Leben mit Staaten zu thun, in denen die Grundsteuer seit langer Zeit besteht. Selbst in England, dessen Gesetzgebung der Verfasser mit Recht als Muster aufstellt, ist dies noch der Fall, denn seit 1798, wo Pitt die Grundsteuer ablöslich machte, ist noch nicht die Hälfte abgelöst und außerdem ruhte fast alle Loealsteuer in Großbritannien auf dem Grundbesitz, ein Um¬ stand, über den der Verfasser nicht mit der bloßen Behauptung hätte weggehen dürfen, daß diese Besteuerung gänzlich im Argen liege. Am wenigsten ist der Tadel gegen die preußische Grundsteuerausgleichung der neusten Zeit gerechtfertigt, sie war vielmehr ein Werk der Nothwendigkeit und Gerechtig¬ keit. Hätte man statt sich diesem mühseligen Werke zu unterziehen die ganze Grundsteuer aufgehoben, so hätte man den bisher Steuerpflichtigen einfach ein Geschenk im Werthe der capitalisirten Steuer gemacht. Alles was der Verfasser principiell ganz richtig gegen die Grundsteuer anführt, ändert nichts an dem Umstände, daß eine lang bestehende Grundsteuer als Reallast zu Gunsten des Gemeinwesens anzusehen ist, als ein Theil der Bodenrenke, den der Staat sich vorbehalten. Alle welche Land gekauft haben, seitdem die Steuer besteht, haben es ihr unterworfen gekauft. Sie zahlten deshalb weniger, ebenso wie Jemand ein Gut, auf welchem Zehnten oder Gulden ruhen, wohlfeiler erstehen würde, als wenn es lastenfrei wäre; freilich wäre es durchaus falsch, diese Eigenschaft der Grundsteuer als Reallast bis zu dem Punkte zu urgiren, wie die Feudalen thaten, welche bisher befreit waren und behaupteten, daß es deshalb ganz gleichgiltig sei, ob die Grundsteuer in einem richtigen und überall gleichem Verhältniß zum Reinertrage der Güter 48*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/387>, abgerufen am 24.08.2024.