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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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gelehrter Leute, welche alle Montage zusammenkommt, zu besuchen." Bald
schreibt er: "Ich verliere viel Zeit mit Besuchen, um mich bei den größten
Leuten zu unterrichten." Zum Theil boten diese Conversationen einen Ersatz
für das, was andere Länder in Literaturzeitungen besaßen. Dort, wo sich
so vieles Alterthümliche conservirt hat, schien auch das Persönliche, Unmittel¬
bare, Lebendige des gelehrten Verkehrs bewahrt werden zu sollen, -- wie im
Alterthum Gelehrte ihr Wissen mündlich überlieferten und man sich durch
Besuche und Reisen bildete. Die Nähe des geistlichen Hoff verbreitet in sei¬
nem ganzen Umkreis jene habituelle Vorsicht, Reservirtheit und Circum-
speetion; denn von was, das Schwarz auf Weiß dasteht, kann man sicher sein,
daß es nicht einmal compromittirt und uns um ein Avancement bringt?

Da traf man geistliche Herren, die sich ein halb Jahrhundert lang auf
dem Boden Rom's bewegt hatten, mit Betrachtungen über Alles, was über
und unter der Erde war; die in reichen Bibliotheken wie auf ihrem Studir-
zimmer verkehrten; die mit der Liebe zur eigenen Vorzeit und mit dem feinen
Blick des Welschen sich umgesehen hatten und das Gesehene ohne Gedächtni߬
verlust festgehalten; die um irgend ein Antiquitätenmuseum eine Unzahl von
Notizen und Combinationen gruppirt hatten. Und Viele von ihnen wußten
nichts von dem Ehrgeiz des Schriftstellers und von der Eifersucht des Eigen¬
thums; daher war ihre Mittheilung frei und freigebig; da Beschränkung auf
Fächer nicht Sitte war, so fand man in diesen lebendigen Encyclopädien die
Antwort fast auf Alles, wenn man nur recht zu fragen verstand, und da
man sich für die Zurückhaltung in der Oeffentlichkeit durch Ungebundenheit
im Freundeskreis entschädigte, so hatte die Freiheit in Meinungen und in
Worten etwas Ueberraschendes für Jemand, der aus dem deutschen Reich und
aus den Cirkeln deutscher Universitätszöpfe kam.

"Hier", schrieb Winckelmann den 29. Januar 1737, "bin ich kleiner ge¬
worden . . . Willst Du Menschen kennen lernen, hier ist der Ort; Köpfe
von unendlichem Talent, Menschen von hohen Gaben, Schönheiten von dem
hohen Charakter, wie sie die Griechen gebildet haben, und wer endlich die
rechten Wege findet, sieht Leute von Wahrheit, Redlichkeit und Großheit
zusammengesetzt."

Ein eigenthümlicher Zug gerade der römischen Gelehrten ist ihre Ab¬
neigung, die Ergebnisse ihrer Forschungen für die Oeffentlichkeit zu redi-
giren, ihren Namen gedruckt zu sehen. Allein manche, die sich nie dazu ent¬
schließen konnten, ihre Bemerkungen niederzuschreiben und herauszugeben,
fanden auf einmal Lust, Zeit und Fleiß, um für einen ehrgeizigeren Freund
Abhandlungen, ja ganze Bücher zu schreiben. So machte z, B. der Abade
Francesco Valefio die gelehrten Illustrationen zu der Sammlung der Gem¬
men mit Künstlernamen, die Philipp von Stosch herausgab, ohne daß dieser


gelehrter Leute, welche alle Montage zusammenkommt, zu besuchen." Bald
schreibt er: „Ich verliere viel Zeit mit Besuchen, um mich bei den größten
Leuten zu unterrichten." Zum Theil boten diese Conversationen einen Ersatz
für das, was andere Länder in Literaturzeitungen besaßen. Dort, wo sich
so vieles Alterthümliche conservirt hat, schien auch das Persönliche, Unmittel¬
bare, Lebendige des gelehrten Verkehrs bewahrt werden zu sollen, — wie im
Alterthum Gelehrte ihr Wissen mündlich überlieferten und man sich durch
Besuche und Reisen bildete. Die Nähe des geistlichen Hoff verbreitet in sei¬
nem ganzen Umkreis jene habituelle Vorsicht, Reservirtheit und Circum-
speetion; denn von was, das Schwarz auf Weiß dasteht, kann man sicher sein,
daß es nicht einmal compromittirt und uns um ein Avancement bringt?

Da traf man geistliche Herren, die sich ein halb Jahrhundert lang auf
dem Boden Rom's bewegt hatten, mit Betrachtungen über Alles, was über
und unter der Erde war; die in reichen Bibliotheken wie auf ihrem Studir-
zimmer verkehrten; die mit der Liebe zur eigenen Vorzeit und mit dem feinen
Blick des Welschen sich umgesehen hatten und das Gesehene ohne Gedächtni߬
verlust festgehalten; die um irgend ein Antiquitätenmuseum eine Unzahl von
Notizen und Combinationen gruppirt hatten. Und Viele von ihnen wußten
nichts von dem Ehrgeiz des Schriftstellers und von der Eifersucht des Eigen¬
thums; daher war ihre Mittheilung frei und freigebig; da Beschränkung auf
Fächer nicht Sitte war, so fand man in diesen lebendigen Encyclopädien die
Antwort fast auf Alles, wenn man nur recht zu fragen verstand, und da
man sich für die Zurückhaltung in der Oeffentlichkeit durch Ungebundenheit
im Freundeskreis entschädigte, so hatte die Freiheit in Meinungen und in
Worten etwas Ueberraschendes für Jemand, der aus dem deutschen Reich und
aus den Cirkeln deutscher Universitätszöpfe kam.

„Hier", schrieb Winckelmann den 29. Januar 1737, „bin ich kleiner ge¬
worden . . . Willst Du Menschen kennen lernen, hier ist der Ort; Köpfe
von unendlichem Talent, Menschen von hohen Gaben, Schönheiten von dem
hohen Charakter, wie sie die Griechen gebildet haben, und wer endlich die
rechten Wege findet, sieht Leute von Wahrheit, Redlichkeit und Großheit
zusammengesetzt."

Ein eigenthümlicher Zug gerade der römischen Gelehrten ist ihre Ab¬
neigung, die Ergebnisse ihrer Forschungen für die Oeffentlichkeit zu redi-
giren, ihren Namen gedruckt zu sehen. Allein manche, die sich nie dazu ent¬
schließen konnten, ihre Bemerkungen niederzuschreiben und herauszugeben,
fanden auf einmal Lust, Zeit und Fleiß, um für einen ehrgeizigeren Freund
Abhandlungen, ja ganze Bücher zu schreiben. So machte z, B. der Abade
Francesco Valefio die gelehrten Illustrationen zu der Sammlung der Gem¬
men mit Künstlernamen, die Philipp von Stosch herausgab, ohne daß dieser


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[0381] gelehrter Leute, welche alle Montage zusammenkommt, zu besuchen." Bald schreibt er: „Ich verliere viel Zeit mit Besuchen, um mich bei den größten Leuten zu unterrichten." Zum Theil boten diese Conversationen einen Ersatz für das, was andere Länder in Literaturzeitungen besaßen. Dort, wo sich so vieles Alterthümliche conservirt hat, schien auch das Persönliche, Unmittel¬ bare, Lebendige des gelehrten Verkehrs bewahrt werden zu sollen, — wie im Alterthum Gelehrte ihr Wissen mündlich überlieferten und man sich durch Besuche und Reisen bildete. Die Nähe des geistlichen Hoff verbreitet in sei¬ nem ganzen Umkreis jene habituelle Vorsicht, Reservirtheit und Circum- speetion; denn von was, das Schwarz auf Weiß dasteht, kann man sicher sein, daß es nicht einmal compromittirt und uns um ein Avancement bringt? Da traf man geistliche Herren, die sich ein halb Jahrhundert lang auf dem Boden Rom's bewegt hatten, mit Betrachtungen über Alles, was über und unter der Erde war; die in reichen Bibliotheken wie auf ihrem Studir- zimmer verkehrten; die mit der Liebe zur eigenen Vorzeit und mit dem feinen Blick des Welschen sich umgesehen hatten und das Gesehene ohne Gedächtni߬ verlust festgehalten; die um irgend ein Antiquitätenmuseum eine Unzahl von Notizen und Combinationen gruppirt hatten. Und Viele von ihnen wußten nichts von dem Ehrgeiz des Schriftstellers und von der Eifersucht des Eigen¬ thums; daher war ihre Mittheilung frei und freigebig; da Beschränkung auf Fächer nicht Sitte war, so fand man in diesen lebendigen Encyclopädien die Antwort fast auf Alles, wenn man nur recht zu fragen verstand, und da man sich für die Zurückhaltung in der Oeffentlichkeit durch Ungebundenheit im Freundeskreis entschädigte, so hatte die Freiheit in Meinungen und in Worten etwas Ueberraschendes für Jemand, der aus dem deutschen Reich und aus den Cirkeln deutscher Universitätszöpfe kam. „Hier", schrieb Winckelmann den 29. Januar 1737, „bin ich kleiner ge¬ worden . . . Willst Du Menschen kennen lernen, hier ist der Ort; Köpfe von unendlichem Talent, Menschen von hohen Gaben, Schönheiten von dem hohen Charakter, wie sie die Griechen gebildet haben, und wer endlich die rechten Wege findet, sieht Leute von Wahrheit, Redlichkeit und Großheit zusammengesetzt." Ein eigenthümlicher Zug gerade der römischen Gelehrten ist ihre Ab¬ neigung, die Ergebnisse ihrer Forschungen für die Oeffentlichkeit zu redi- giren, ihren Namen gedruckt zu sehen. Allein manche, die sich nie dazu ent¬ schließen konnten, ihre Bemerkungen niederzuschreiben und herauszugeben, fanden auf einmal Lust, Zeit und Fleiß, um für einen ehrgeizigeren Freund Abhandlungen, ja ganze Bücher zu schreiben. So machte z, B. der Abade Francesco Valefio die gelehrten Illustrationen zu der Sammlung der Gem¬ men mit Künstlernamen, die Philipp von Stosch herausgab, ohne daß dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/381>, abgerufen am 24.08.2024.