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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Die beste Empfehlung bei ihm war, als Komme ne 1<zttre8 zu gelten,
die größte Schmeichelei, ihn als einen solchen anzusehen, die größte Freude,
ihm Gelegenheit zu geben, Abschriften aus den Manuscripten seiner oder
der vaticanischen Bibliothek machen zu lassen. Als Barthe'lemy wegen der
Ernennung zum Correspondenten der ^.eaclemis an-s luseriMous bei ihm an¬
klopfte, versicherte er, diese Ehre schmeichle ihm mehr als alle seine Misera
von Rang und Titel. Als er Bibliothekar der Vaticana wurde, nach Qui-
rini's Tode, schien allen Philologen Europas das goldene Zeitalter der Colla-
tionen angebrochen zu sein.

Ein solcher Cardinal Scanderbeg hätte in Rom nicht lange leben können,
ohne die Gelegenheit jährlich ein paarmal aus der ca-IiAmosu, e malsaua
mareinm"., wie er es nannte, sich in die Berge zu retten. Seine Villa, die
bis auf jede Spur von den Mönchen vertilgt worden ist, lag im Bezirk der
Einsiedelei der Camaldulenser, zu deren Orden er gehörte. Der Blick be¬
herrscht die Campagna, Rom liegt gegenüber, im Mittelpunkt Rechts Monte
Porzio, links die Rufsinella und Mondragone. Die Villa bestand aus ein¬
zelnen Pavillons, welche im Gebüsch zerstreut lagen und durch Schlangen¬
wege zusammenhingen; diese mündeten in eine Hauptallee. Diese "Zellen"
waren bestimmt für die Gäste des Cardinals, der sich "Prior" und jene "Frati"
nannte. Der Name des zeitweiligen Gases stand an der Thür geschrieben.
Es gab da einen Badesaal, ein Gesellschaftszimmer, ein Refectorium, eine
Orangerie; zu den Seiten der Wege waren Alterthümer aufgestellt, meist
Cippen mit griechischen, römischen und christlichen Inschriften, darunter der
Grabstein einer griechischen Schauspielerin. Auch fand man hier an fünfhundert
solcher Steine, die von Büffeln auf die steile Höhe gezogen worden waren.
Das Wasser, welches dies "Eremo,, belebte, war dasselbe, welches die Villa
Cicero's in Tusculum gespeist hatte; der fast neunzigjährige Laienbruder und
Gärtner Fra Ginevro hatte die alte Wasserleitung entdeckt.

Winckelmann wurde zum erstenmal im Sommer 1757 nach Camaldoli
mitgenommen, -- "in eine der wollüstigen Gegenden, die über die Vor¬
stellung sind . ." "Man ist, schreibt er, mit einer Freiheit bei ihm, die
ihresgleichen nicht hat, man muß in der Mütze und im Camisol bei Tafel
erscheinen und die Conversation des Abends ist einer Judenschule ähnlich,
denn es will eine Predigerstimme sein, den Cardinal zu überschreien, und
dennoch ist es geschehen, daß er übermannt wurde." Ihm fiel die Freiheit
auf, während die, welche andere Villeggiaturen, z. B. die der Borghese's da
unten in Mondragone mitgemacht hatten, eine "stille fromme Einsiedelei"
fanden/ wo nach Madame du Boccage "der Friede, die Musen und die
Tugenden wohnten." Als diese Französin 1757 in Rom war, veranstaltete
die Eminenz ein Diner in den Räumen der vaticanischen Bibliothek; und


Die beste Empfehlung bei ihm war, als Komme ne 1<zttre8 zu gelten,
die größte Schmeichelei, ihn als einen solchen anzusehen, die größte Freude,
ihm Gelegenheit zu geben, Abschriften aus den Manuscripten seiner oder
der vaticanischen Bibliothek machen zu lassen. Als Barthe'lemy wegen der
Ernennung zum Correspondenten der ^.eaclemis an-s luseriMous bei ihm an¬
klopfte, versicherte er, diese Ehre schmeichle ihm mehr als alle seine Misera
von Rang und Titel. Als er Bibliothekar der Vaticana wurde, nach Qui-
rini's Tode, schien allen Philologen Europas das goldene Zeitalter der Colla-
tionen angebrochen zu sein.

Ein solcher Cardinal Scanderbeg hätte in Rom nicht lange leben können,
ohne die Gelegenheit jährlich ein paarmal aus der ca-IiAmosu, e malsaua
mareinm»., wie er es nannte, sich in die Berge zu retten. Seine Villa, die
bis auf jede Spur von den Mönchen vertilgt worden ist, lag im Bezirk der
Einsiedelei der Camaldulenser, zu deren Orden er gehörte. Der Blick be¬
herrscht die Campagna, Rom liegt gegenüber, im Mittelpunkt Rechts Monte
Porzio, links die Rufsinella und Mondragone. Die Villa bestand aus ein¬
zelnen Pavillons, welche im Gebüsch zerstreut lagen und durch Schlangen¬
wege zusammenhingen; diese mündeten in eine Hauptallee. Diese „Zellen"
waren bestimmt für die Gäste des Cardinals, der sich „Prior" und jene „Frati"
nannte. Der Name des zeitweiligen Gases stand an der Thür geschrieben.
Es gab da einen Badesaal, ein Gesellschaftszimmer, ein Refectorium, eine
Orangerie; zu den Seiten der Wege waren Alterthümer aufgestellt, meist
Cippen mit griechischen, römischen und christlichen Inschriften, darunter der
Grabstein einer griechischen Schauspielerin. Auch fand man hier an fünfhundert
solcher Steine, die von Büffeln auf die steile Höhe gezogen worden waren.
Das Wasser, welches dies „Eremo,, belebte, war dasselbe, welches die Villa
Cicero's in Tusculum gespeist hatte; der fast neunzigjährige Laienbruder und
Gärtner Fra Ginevro hatte die alte Wasserleitung entdeckt.

Winckelmann wurde zum erstenmal im Sommer 1757 nach Camaldoli
mitgenommen, — „in eine der wollüstigen Gegenden, die über die Vor¬
stellung sind . ." „Man ist, schreibt er, mit einer Freiheit bei ihm, die
ihresgleichen nicht hat, man muß in der Mütze und im Camisol bei Tafel
erscheinen und die Conversation des Abends ist einer Judenschule ähnlich,
denn es will eine Predigerstimme sein, den Cardinal zu überschreien, und
dennoch ist es geschehen, daß er übermannt wurde." Ihm fiel die Freiheit
auf, während die, welche andere Villeggiaturen, z. B. die der Borghese's da
unten in Mondragone mitgemacht hatten, eine „stille fromme Einsiedelei"
fanden/ wo nach Madame du Boccage „der Friede, die Musen und die
Tugenden wohnten." Als diese Französin 1757 in Rom war, veranstaltete
die Eminenz ein Diner in den Räumen der vaticanischen Bibliothek; und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/378>, abgerufen am 22.07.2024.