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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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von 4,193.914 Thaler in 1403 Policen mit einer jährlichen Prämieneinnahme
von 150.083 Thaler und besaß am Schlüsse des Jahres 1861 bei einer lau¬
fenden Versicherungssumme von 48,332,833 Thaler durch ihre unverantwort¬
lich leichtsinnige Verwaltung nur eine Reserve von 973.573 Thaler.
Jene Gesellschaft hatte Ende 1861 ein Alter von über 22 Jahren und man
kann hiernach wohl annähernd sich über die Geringfügigkeit des Reserve¬
capitals ein Bild machen. Die Gothaische Bank hatte nach 24jährigem Be¬
stehen bei einer Versicherungssumme von 28.078,400 Thaler eine Prämien-
Reserve von 5,603.093 Thaler; nach diesem Maßstabe hätte die "Albert" auf
die oben angegebene Versicherungssumme eine Prämienreserve von 9.662.116
Thaler haben müssen, es fehlten ihr also baare 8.688,543 Thaler, oder viel¬
mehr das Deficit ist so überwiegend, daß man sagen darf: sie hatte so gut.
wie gar keine Reserve. Eine Bilanz ist aber nur dann als solide und redlich
zu betrachten, wenn die Activa die Passiva decken, im gegebenen Falle also,
wenn bei der Liquidation der Gesellschaft die Uebernahme aller aus den
laufenden Versicherungen resultirenden Verbindlichkeiten gegen Uebertragung
der Prämienres erv e zu bewirken ist. Fragt man nun, welche Verwendung
jene in einzelnen Fällen wahrhaft colossalen Summen, die an Reserve vor¬
handen sein sollten, etwa gefunden haben, so können dieselben nur entweder
als fictive Gewinnste an die Versicherten. Actionäre und Verwalter vertheilt
oder zur Bestreitung eines übertriebenen Verwaltungsaufwandes vergeudet
worden sein. Letztere Verwendung kann man als die vorherrschende
betrachten.

Die Albert-Affaire hat trotz all' ihres Jammers wenigstens das Gute
für sich, daß sie dem Wesen der Lebensversicherung die öffentliche Aufmerk¬
samkeit in einer Weise zugewendet, wie sie sich derselben vielleicht seit ihrem
Bestehen nicht zu erfreuen hatte. Lebensversicherung ist jetzt ein stehender Ar¬
tikel in der Presse und wird es zweifelsohne bleiben, auch wenn die Albert-
Krisis schon zu den vergessenen Dingen gehören wird, denn man sieht
die hohe Wichtigkeit solcher Geschäfte, denen das ganze Wohl und Wehe so
vieler Menschen anvertraut ist. allenthalben ein.

Eine größere Sicherheit erblickt man auch immer allgemeiner darin, daß
der Staat eine strengere Oberaufsicht führe; die geringste Forderung wäre
eine den Lebensversicherungsgesellschaften aufzuerlegende Verpflichtung, jährlich
einen eingehenden, von den Behörden zu controlirenden Bericht mit genauer
Berechnung der Prämien-Reserve, über den Stand des Unternehmens zu
veröffentlichen. Eine gewisse Garantie wäre vielleicht auch darin zu finden,
daß die ausländischen Gesellschaften einen Theil ihres Actiencapitals in
Staatspapieren, je nach der Höhe der aufgenommenen Versicherungen,


von 4,193.914 Thaler in 1403 Policen mit einer jährlichen Prämieneinnahme
von 150.083 Thaler und besaß am Schlüsse des Jahres 1861 bei einer lau¬
fenden Versicherungssumme von 48,332,833 Thaler durch ihre unverantwort¬
lich leichtsinnige Verwaltung nur eine Reserve von 973.573 Thaler.
Jene Gesellschaft hatte Ende 1861 ein Alter von über 22 Jahren und man
kann hiernach wohl annähernd sich über die Geringfügigkeit des Reserve¬
capitals ein Bild machen. Die Gothaische Bank hatte nach 24jährigem Be¬
stehen bei einer Versicherungssumme von 28.078,400 Thaler eine Prämien-
Reserve von 5,603.093 Thaler; nach diesem Maßstabe hätte die „Albert" auf
die oben angegebene Versicherungssumme eine Prämienreserve von 9.662.116
Thaler haben müssen, es fehlten ihr also baare 8.688,543 Thaler, oder viel¬
mehr das Deficit ist so überwiegend, daß man sagen darf: sie hatte so gut.
wie gar keine Reserve. Eine Bilanz ist aber nur dann als solide und redlich
zu betrachten, wenn die Activa die Passiva decken, im gegebenen Falle also,
wenn bei der Liquidation der Gesellschaft die Uebernahme aller aus den
laufenden Versicherungen resultirenden Verbindlichkeiten gegen Uebertragung
der Prämienres erv e zu bewirken ist. Fragt man nun, welche Verwendung
jene in einzelnen Fällen wahrhaft colossalen Summen, die an Reserve vor¬
handen sein sollten, etwa gefunden haben, so können dieselben nur entweder
als fictive Gewinnste an die Versicherten. Actionäre und Verwalter vertheilt
oder zur Bestreitung eines übertriebenen Verwaltungsaufwandes vergeudet
worden sein. Letztere Verwendung kann man als die vorherrschende
betrachten.

Die Albert-Affaire hat trotz all' ihres Jammers wenigstens das Gute
für sich, daß sie dem Wesen der Lebensversicherung die öffentliche Aufmerk¬
samkeit in einer Weise zugewendet, wie sie sich derselben vielleicht seit ihrem
Bestehen nicht zu erfreuen hatte. Lebensversicherung ist jetzt ein stehender Ar¬
tikel in der Presse und wird es zweifelsohne bleiben, auch wenn die Albert-
Krisis schon zu den vergessenen Dingen gehören wird, denn man sieht
die hohe Wichtigkeit solcher Geschäfte, denen das ganze Wohl und Wehe so
vieler Menschen anvertraut ist. allenthalben ein.

Eine größere Sicherheit erblickt man auch immer allgemeiner darin, daß
der Staat eine strengere Oberaufsicht führe; die geringste Forderung wäre
eine den Lebensversicherungsgesellschaften aufzuerlegende Verpflichtung, jährlich
einen eingehenden, von den Behörden zu controlirenden Bericht mit genauer
Berechnung der Prämien-Reserve, über den Stand des Unternehmens zu
veröffentlichen. Eine gewisse Garantie wäre vielleicht auch darin zu finden,
daß die ausländischen Gesellschaften einen Theil ihres Actiencapitals in
Staatspapieren, je nach der Höhe der aufgenommenen Versicherungen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/358>, abgerufen am 15.01.2025.