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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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die Errichtung des Handelsgerichts als rechtsbeständig nicht angesehen werden
könne. Wolle man sich dieses auch aus practischen Gründen gefallen lassen,
so müsse man doch gegen das Princip protestiren, da auch in andern Rich¬
tungen unverkennbar die Tendenz zu Tage trete, die bundesstaatliche Kom¬
petenz verfassungswidrig auf Kosten der Einzelstaaten zu erweitern. Als Bei¬
spiele wurden angeführt die Bestimmungen des Z. 13 der Gewerbeordnung
über das Gemeindebürgerrecht, die in der sächsischen Kammer vom dortigen
Ministerium abgegebne Erklärung, daß der Bundesrath ein Gesetz über die
Entschädigungspflicht der Eisenbahnen vorbereite, die Absicht der preußischen
Regierung, ein Bundesgesetz über Prämienanleihen beim Bunde zu befür¬
worten und der im Abgeordnetenhaus von Miquel und Laster gestellte An¬
trag, im Wege der Bundesgesetzgebung die Competenz des Bundes auf das
gesammte bürgerliche Recht auszudehnen u. f. w.

Aber Bürgermeister Pohle will sich nicht mit einem bloßen Protest be¬
gnügen, von dem er selbst sagt, daß er von keinem Effecte sein könne, wenn
er nicht von der Macht getragen werde, wenngleich es immerhin Wünschens¬
werther sei, wenn es einmal sein müsse, so doch wenigstens nicht ohne Kampf
unterzugehen. Sein Antrag geht vielmehr weiter und will ein für allemal der
Möglichkeit fernerer Competenzüberschreitungen des Bundes vorbeugen. Da
einmal die bis jetzt freilich noch schüchtern auftretenden Bestrebungen darin be¬
stehen, den Bundesstaat in einen Einheitsstaat zu verwandeln, sei es gewiß nur
gerechtfertigt, solchem Gebahren mit allen Mitteln entgegenzutreten, welche den
Verhältnissen des Landes entsprechen und nicht ganz aussichtslos sind. In
allen Bundesländern, selbst Preußen nicht ausgenommen, fühle man das Be¬
dürfniß, die staatliche Selbständigkeit gegen Uebergriffe der Bundesgewalt
sicher zu stellen. Eines der Mittel, wodurch ein solches Resultat herbeige¬
führt werden könnte, wäre nach Pohle die Errichtung eines Bundes¬
gerichts, welches über die Frage endgiltig zu befinden hätte, ob
im einzelnen Falle eine zur Bundessache gemachte Angelegen¬
heit zur Competenz des Bundes stehe oder nicht. Daß die Moda¬
litäten einer solchen Einrichtung ihre Schwierigkeiten haben können, wird
zugegeben; allein gehe man mit der Absicht an die Sache, die unleugbar für
die Einzelstaaten von dem Bunde drohende Gefahr zu beseitigen, so würden
diese Schwierigkeiten sich heben lassen, ohne die Aufgabe des Bundes zu
erschweren. Das Beispiel aller Bundesstaaten zeige, daß eine solche Ein¬
richtung nicht allein ausführbar, sondern auch nothwendig sei. Daß sie aber
nicht auf dem Wege der Bundesverfassungsänderung, sondern nur auf dem
Wege eines Staatsvertrages zwischen den einzelnen Staaten getroffen werden
könne, versteht sich nach der Pohle'schen Ansicht über die Tragweite des
§. 78 der Bundesverfassung von selbst, wird von ihm übrigens noch aus-


die Errichtung des Handelsgerichts als rechtsbeständig nicht angesehen werden
könne. Wolle man sich dieses auch aus practischen Gründen gefallen lassen,
so müsse man doch gegen das Princip protestiren, da auch in andern Rich¬
tungen unverkennbar die Tendenz zu Tage trete, die bundesstaatliche Kom¬
petenz verfassungswidrig auf Kosten der Einzelstaaten zu erweitern. Als Bei¬
spiele wurden angeführt die Bestimmungen des Z. 13 der Gewerbeordnung
über das Gemeindebürgerrecht, die in der sächsischen Kammer vom dortigen
Ministerium abgegebne Erklärung, daß der Bundesrath ein Gesetz über die
Entschädigungspflicht der Eisenbahnen vorbereite, die Absicht der preußischen
Regierung, ein Bundesgesetz über Prämienanleihen beim Bunde zu befür¬
worten und der im Abgeordnetenhaus von Miquel und Laster gestellte An¬
trag, im Wege der Bundesgesetzgebung die Competenz des Bundes auf das
gesammte bürgerliche Recht auszudehnen u. f. w.

Aber Bürgermeister Pohle will sich nicht mit einem bloßen Protest be¬
gnügen, von dem er selbst sagt, daß er von keinem Effecte sein könne, wenn
er nicht von der Macht getragen werde, wenngleich es immerhin Wünschens¬
werther sei, wenn es einmal sein müsse, so doch wenigstens nicht ohne Kampf
unterzugehen. Sein Antrag geht vielmehr weiter und will ein für allemal der
Möglichkeit fernerer Competenzüberschreitungen des Bundes vorbeugen. Da
einmal die bis jetzt freilich noch schüchtern auftretenden Bestrebungen darin be¬
stehen, den Bundesstaat in einen Einheitsstaat zu verwandeln, sei es gewiß nur
gerechtfertigt, solchem Gebahren mit allen Mitteln entgegenzutreten, welche den
Verhältnissen des Landes entsprechen und nicht ganz aussichtslos sind. In
allen Bundesländern, selbst Preußen nicht ausgenommen, fühle man das Be¬
dürfniß, die staatliche Selbständigkeit gegen Uebergriffe der Bundesgewalt
sicher zu stellen. Eines der Mittel, wodurch ein solches Resultat herbeige¬
führt werden könnte, wäre nach Pohle die Errichtung eines Bundes¬
gerichts, welches über die Frage endgiltig zu befinden hätte, ob
im einzelnen Falle eine zur Bundessache gemachte Angelegen¬
heit zur Competenz des Bundes stehe oder nicht. Daß die Moda¬
litäten einer solchen Einrichtung ihre Schwierigkeiten haben können, wird
zugegeben; allein gehe man mit der Absicht an die Sache, die unleugbar für
die Einzelstaaten von dem Bunde drohende Gefahr zu beseitigen, so würden
diese Schwierigkeiten sich heben lassen, ohne die Aufgabe des Bundes zu
erschweren. Das Beispiel aller Bundesstaaten zeige, daß eine solche Ein¬
richtung nicht allein ausführbar, sondern auch nothwendig sei. Daß sie aber
nicht auf dem Wege der Bundesverfassungsänderung, sondern nur auf dem
Wege eines Staatsvertrages zwischen den einzelnen Staaten getroffen werden
könne, versteht sich nach der Pohle'schen Ansicht über die Tragweite des
§. 78 der Bundesverfassung von selbst, wird von ihm übrigens noch aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/351>, abgerufen am 22.07.2024.