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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Instinkt zum Liebling erkoren und Alles, was zu einem ganz corrupten
Muttersöhnchen gehört, findet sich auch in ihm. Aber eine unverwüstliche
Naturkraft, eine grenzenlose Arbeitsfähigkeit und ein ebenso grenzenloses Be¬
dürfniß nach Arbeit -- alles Züge, die ihm mit seinen Brüdern gemeinsam
waren, -- konnte auch durch den Einfluß eines solchen Weibes nicht ausgetilgt
werden. Trotz eines höchst desultorischer Bildungsganges und einer Studien-
zeit, die ganz mit der bekannten, der Gegenwart unbegreiflichen wüsten Bru¬
talität und Schlemmerei des damaligen accidemischen Treibens überschwemmt
war, verschaffte er sich doch durch glänzende Begabung und periodischen Fleiß
in seinem juristischen Fache ein ebenso ausgebreitetes wie gründliches Wissen,
was verbunden mit seinem natürlichen Scharfsinn und unvergleichlichen Ge¬
wandtheit in praktischen Dingen selbst seinem strengsten und competentesten
Beurtheiler, seinem ältesten Bruder, aufrichtige Anerkennung abnöthigte. Er
erkannte ihn auf seinem eigensten Felde, der Publicistik, als seines Gleichen
an. ja er subordinirte sich in gewissem Sinne seinem Alles durchdringenden
Scharfsinn. Mit solchen Gaben und Kenntnissen wurde Erasmus. kaum
dreißig Jahre alt und, obgleich geborener Frankfurter, noch nicht einmal in
das Bürgerrecht ausgenommen, in den Rath-Senat gewählt, nachdem er vor¬
her als Advocat und Agent Proben seiner Talente gegeben hatte. Seine
Gönner, die diesen unerhörten Schritt wagten und durchführten, wußten
recht wohl, daß sie einen unverbesserlichen Trunkenbold, einen Sclaven der
gemeinsten Ausschweifungen, einen jähzornigen Polterer in die höchste Ehren¬
stelle ihrer Vaterstadt einführten, aber daran nahmen sie und auch seine Geg¬
ner keinen Anstoß, oder die letzteren nur dann, wenn sie ihm damit schaden
zu können glaubten. Uebrigens war das allgemeine sittliche Gefühl nicht
blos unter den Senatoren, sondern auch im ganzen Volke schon so abge¬
stumpft, daß man überall die Antecedenzien des neuen Senators ruhig dis-
cutirte und ertrug. Auch als er in seiner neuen Würde das alte Leben nur
noch brutaler und wüster fortsetzte, als er täglich die pöbelhaftesten Excesse
aller Art beging, ließ man dies gleichsam als selbstverständlich hingehen. In
der That trieben es die meisten seiner Collegen nicht besser und er hatte
leichtes Spiel, alle Vorwürfe, die ihm von dieser Seite gemacht wurden, mit
noch ärgeren ob wahren oder falschen, darauf kam es ihm und dem Publicum
nicht an, zu übertäuben. Ja es gelang ihm sehr bald, sich eine furchtbare
Stellung zu schaffen, sodaß alle seine Collegen, wenn sie ihn auch tödtlich
haßten, vor ihm zitterten und geradezu Unglaubliches von ihm ertragen
mußten. Seine Schimpfreden und Blasphemien im Senate selbst, übersteigen,
wie sie hier urkundlich referirt werden, unsere heutigen Begriffe so gänzlich,
daß höchstens die Debatte unserer neuesten Arbeiterparlamente eine schwache
Analogie dazu bietet. Außerdem überhäufte er die einzelnen und das Corpus


Instinkt zum Liebling erkoren und Alles, was zu einem ganz corrupten
Muttersöhnchen gehört, findet sich auch in ihm. Aber eine unverwüstliche
Naturkraft, eine grenzenlose Arbeitsfähigkeit und ein ebenso grenzenloses Be¬
dürfniß nach Arbeit — alles Züge, die ihm mit seinen Brüdern gemeinsam
waren, — konnte auch durch den Einfluß eines solchen Weibes nicht ausgetilgt
werden. Trotz eines höchst desultorischer Bildungsganges und einer Studien-
zeit, die ganz mit der bekannten, der Gegenwart unbegreiflichen wüsten Bru¬
talität und Schlemmerei des damaligen accidemischen Treibens überschwemmt
war, verschaffte er sich doch durch glänzende Begabung und periodischen Fleiß
in seinem juristischen Fache ein ebenso ausgebreitetes wie gründliches Wissen,
was verbunden mit seinem natürlichen Scharfsinn und unvergleichlichen Ge¬
wandtheit in praktischen Dingen selbst seinem strengsten und competentesten
Beurtheiler, seinem ältesten Bruder, aufrichtige Anerkennung abnöthigte. Er
erkannte ihn auf seinem eigensten Felde, der Publicistik, als seines Gleichen
an. ja er subordinirte sich in gewissem Sinne seinem Alles durchdringenden
Scharfsinn. Mit solchen Gaben und Kenntnissen wurde Erasmus. kaum
dreißig Jahre alt und, obgleich geborener Frankfurter, noch nicht einmal in
das Bürgerrecht ausgenommen, in den Rath-Senat gewählt, nachdem er vor¬
her als Advocat und Agent Proben seiner Talente gegeben hatte. Seine
Gönner, die diesen unerhörten Schritt wagten und durchführten, wußten
recht wohl, daß sie einen unverbesserlichen Trunkenbold, einen Sclaven der
gemeinsten Ausschweifungen, einen jähzornigen Polterer in die höchste Ehren¬
stelle ihrer Vaterstadt einführten, aber daran nahmen sie und auch seine Geg¬
ner keinen Anstoß, oder die letzteren nur dann, wenn sie ihm damit schaden
zu können glaubten. Uebrigens war das allgemeine sittliche Gefühl nicht
blos unter den Senatoren, sondern auch im ganzen Volke schon so abge¬
stumpft, daß man überall die Antecedenzien des neuen Senators ruhig dis-
cutirte und ertrug. Auch als er in seiner neuen Würde das alte Leben nur
noch brutaler und wüster fortsetzte, als er täglich die pöbelhaftesten Excesse
aller Art beging, ließ man dies gleichsam als selbstverständlich hingehen. In
der That trieben es die meisten seiner Collegen nicht besser und er hatte
leichtes Spiel, alle Vorwürfe, die ihm von dieser Seite gemacht wurden, mit
noch ärgeren ob wahren oder falschen, darauf kam es ihm und dem Publicum
nicht an, zu übertäuben. Ja es gelang ihm sehr bald, sich eine furchtbare
Stellung zu schaffen, sodaß alle seine Collegen, wenn sie ihn auch tödtlich
haßten, vor ihm zitterten und geradezu Unglaubliches von ihm ertragen
mußten. Seine Schimpfreden und Blasphemien im Senate selbst, übersteigen,
wie sie hier urkundlich referirt werden, unsere heutigen Begriffe so gänzlich,
daß höchstens die Debatte unserer neuesten Arbeiterparlamente eine schwache
Analogie dazu bietet. Außerdem überhäufte er die einzelnen und das Corpus


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[0342] Instinkt zum Liebling erkoren und Alles, was zu einem ganz corrupten Muttersöhnchen gehört, findet sich auch in ihm. Aber eine unverwüstliche Naturkraft, eine grenzenlose Arbeitsfähigkeit und ein ebenso grenzenloses Be¬ dürfniß nach Arbeit — alles Züge, die ihm mit seinen Brüdern gemeinsam waren, — konnte auch durch den Einfluß eines solchen Weibes nicht ausgetilgt werden. Trotz eines höchst desultorischer Bildungsganges und einer Studien- zeit, die ganz mit der bekannten, der Gegenwart unbegreiflichen wüsten Bru¬ talität und Schlemmerei des damaligen accidemischen Treibens überschwemmt war, verschaffte er sich doch durch glänzende Begabung und periodischen Fleiß in seinem juristischen Fache ein ebenso ausgebreitetes wie gründliches Wissen, was verbunden mit seinem natürlichen Scharfsinn und unvergleichlichen Ge¬ wandtheit in praktischen Dingen selbst seinem strengsten und competentesten Beurtheiler, seinem ältesten Bruder, aufrichtige Anerkennung abnöthigte. Er erkannte ihn auf seinem eigensten Felde, der Publicistik, als seines Gleichen an. ja er subordinirte sich in gewissem Sinne seinem Alles durchdringenden Scharfsinn. Mit solchen Gaben und Kenntnissen wurde Erasmus. kaum dreißig Jahre alt und, obgleich geborener Frankfurter, noch nicht einmal in das Bürgerrecht ausgenommen, in den Rath-Senat gewählt, nachdem er vor¬ her als Advocat und Agent Proben seiner Talente gegeben hatte. Seine Gönner, die diesen unerhörten Schritt wagten und durchführten, wußten recht wohl, daß sie einen unverbesserlichen Trunkenbold, einen Sclaven der gemeinsten Ausschweifungen, einen jähzornigen Polterer in die höchste Ehren¬ stelle ihrer Vaterstadt einführten, aber daran nahmen sie und auch seine Geg¬ ner keinen Anstoß, oder die letzteren nur dann, wenn sie ihm damit schaden zu können glaubten. Uebrigens war das allgemeine sittliche Gefühl nicht blos unter den Senatoren, sondern auch im ganzen Volke schon so abge¬ stumpft, daß man überall die Antecedenzien des neuen Senators ruhig dis- cutirte und ertrug. Auch als er in seiner neuen Würde das alte Leben nur noch brutaler und wüster fortsetzte, als er täglich die pöbelhaftesten Excesse aller Art beging, ließ man dies gleichsam als selbstverständlich hingehen. In der That trieben es die meisten seiner Collegen nicht besser und er hatte leichtes Spiel, alle Vorwürfe, die ihm von dieser Seite gemacht wurden, mit noch ärgeren ob wahren oder falschen, darauf kam es ihm und dem Publicum nicht an, zu übertäuben. Ja es gelang ihm sehr bald, sich eine furchtbare Stellung zu schaffen, sodaß alle seine Collegen, wenn sie ihn auch tödtlich haßten, vor ihm zitterten und geradezu Unglaubliches von ihm ertragen mußten. Seine Schimpfreden und Blasphemien im Senate selbst, übersteigen, wie sie hier urkundlich referirt werden, unsere heutigen Begriffe so gänzlich, daß höchstens die Debatte unserer neuesten Arbeiterparlamente eine schwache Analogie dazu bietet. Außerdem überhäufte er die einzelnen und das Corpus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/342>, abgerufen am 24.08.2024.