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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Leute spielten aber auch dann als Mitglieder des Raths die erste Rollein der
Regierung des städtischen Gemeinwesens, und so war dieses wie mit unsicht¬
baren Ketten in alle und jede Separatbeziehungen unzähliger Staaten und
Städchen verschlungen.

Und nicht blos in dieser, auch noch in anderer Weise stellte Frankfurt eine
wahre Hauptstadt vor. Ein eigentliches Hofleben nach französischem Zu¬
schnitte Ludwigs XIV. oder XV. konnte es hier nicht geben, aber inmitten
des eigenthümlich reichsbürgerlichen Typus der socialen Zustände bewegte
sich mit größter Ungenirtheit alles das. was anderwärts innerhalb der
Mauern einer fürstlichen Residenz um die Sonne des regierenden Herren
rotirte, als selbständige kleinere Sonnensysteme nebeneinander. Statt
eines Hofes mit seiner glänzenden Uniformität gab es hier ein halbes
Hundert oder mehr, jedes mit originellem Gepräge, im Wesen darin einander
gleich, daß von ihnen aus nur Miasmen auf den Volkskörper wie er eben
damals beschaffen war, ausströmten. Rechnet man dazu noch, daß das da¬
malige Frankfurt sowohl durch seine Messen wie durch seine ansäßige Kauf¬
mannschaft einen Welthandelsplatz ersten Ranges repräsentirte, wie wenigstens
in ganz Deutschland außer Hamburg -- und hier nur sehr beschränkt -- kein
zweiter zu finden war, so begreift sich leicht, daß nirgends so viel Geld um¬
gesetzt und verdient wurde, als hier und ebenso, daß weit und breit durch
dieses stärkste Medium alle Augen auf die Stadt gerichtet und alle materiellen
Interessen damit verwachsen waren.

Niemals hat Frankfurt in streng wissenschaftlichen Dingen Bedeutendes
geleistet, auch ist es nie das eigentliche literarische Centrum von Deutschland
gewesen, selbst dann nicht als der deutsche Buchhandel auf der Frankfurter
Messe seinen Mittelpunkt hatte. Weniger vielleicht die lästigen Uebergriffe
der kaiserlichen Censur, die der Frankfurter Rath weder beschränken wollte
noch konnte, als die natürliche Mißbeschaffenheit des Bodens vertrieben die
Bücher und die Buchführer nach dem Norden, nach Leipzig. Aber so weit
überhaupt das eigentliche Reich noch bis zum Ende des vorigen Jahr¬
hunderts an dem anderwärts sich vollziehenden Bildungsprocesse des deutschen
Volksgeistes sich betheiligt, so weit war wiederum Frankfurt der Hauptsitz
der größten Regsamkeit und der Knotenpunkt alles Lebens. Daß hier
Philipp Spener den Pietismus so zu sagen gegründet hat. ist kein Zufall,
ebensowenig, daß die Richtung, die er selbst und seine Genossen und Nach-
folger ihm vorzeichneten, hier nicht gedeihen konnte. Dafür war nur in den
uniformeren und reguläreren Flächen des Nordostens die rechte Stätte.
Aber was ursprünglich der Kern der ganzen pietistischen Phase war, die
religiöse Emancipation der Subjektivität, das hat hier in Frankfurt gezündet
und von hier aus seine Funken auf das ganze Reich verstreut. Hier war


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Leute spielten aber auch dann als Mitglieder des Raths die erste Rollein der
Regierung des städtischen Gemeinwesens, und so war dieses wie mit unsicht¬
baren Ketten in alle und jede Separatbeziehungen unzähliger Staaten und
Städchen verschlungen.

Und nicht blos in dieser, auch noch in anderer Weise stellte Frankfurt eine
wahre Hauptstadt vor. Ein eigentliches Hofleben nach französischem Zu¬
schnitte Ludwigs XIV. oder XV. konnte es hier nicht geben, aber inmitten
des eigenthümlich reichsbürgerlichen Typus der socialen Zustände bewegte
sich mit größter Ungenirtheit alles das. was anderwärts innerhalb der
Mauern einer fürstlichen Residenz um die Sonne des regierenden Herren
rotirte, als selbständige kleinere Sonnensysteme nebeneinander. Statt
eines Hofes mit seiner glänzenden Uniformität gab es hier ein halbes
Hundert oder mehr, jedes mit originellem Gepräge, im Wesen darin einander
gleich, daß von ihnen aus nur Miasmen auf den Volkskörper wie er eben
damals beschaffen war, ausströmten. Rechnet man dazu noch, daß das da¬
malige Frankfurt sowohl durch seine Messen wie durch seine ansäßige Kauf¬
mannschaft einen Welthandelsplatz ersten Ranges repräsentirte, wie wenigstens
in ganz Deutschland außer Hamburg — und hier nur sehr beschränkt — kein
zweiter zu finden war, so begreift sich leicht, daß nirgends so viel Geld um¬
gesetzt und verdient wurde, als hier und ebenso, daß weit und breit durch
dieses stärkste Medium alle Augen auf die Stadt gerichtet und alle materiellen
Interessen damit verwachsen waren.

Niemals hat Frankfurt in streng wissenschaftlichen Dingen Bedeutendes
geleistet, auch ist es nie das eigentliche literarische Centrum von Deutschland
gewesen, selbst dann nicht als der deutsche Buchhandel auf der Frankfurter
Messe seinen Mittelpunkt hatte. Weniger vielleicht die lästigen Uebergriffe
der kaiserlichen Censur, die der Frankfurter Rath weder beschränken wollte
noch konnte, als die natürliche Mißbeschaffenheit des Bodens vertrieben die
Bücher und die Buchführer nach dem Norden, nach Leipzig. Aber so weit
überhaupt das eigentliche Reich noch bis zum Ende des vorigen Jahr¬
hunderts an dem anderwärts sich vollziehenden Bildungsprocesse des deutschen
Volksgeistes sich betheiligt, so weit war wiederum Frankfurt der Hauptsitz
der größten Regsamkeit und der Knotenpunkt alles Lebens. Daß hier
Philipp Spener den Pietismus so zu sagen gegründet hat. ist kein Zufall,
ebensowenig, daß die Richtung, die er selbst und seine Genossen und Nach-
folger ihm vorzeichneten, hier nicht gedeihen konnte. Dafür war nur in den
uniformeren und reguläreren Flächen des Nordostens die rechte Stätte.
Aber was ursprünglich der Kern der ganzen pietistischen Phase war, die
religiöse Emancipation der Subjektivität, das hat hier in Frankfurt gezündet
und von hier aus seine Funken auf das ganze Reich verstreut. Hier war


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[0339] Leute spielten aber auch dann als Mitglieder des Raths die erste Rollein der Regierung des städtischen Gemeinwesens, und so war dieses wie mit unsicht¬ baren Ketten in alle und jede Separatbeziehungen unzähliger Staaten und Städchen verschlungen. Und nicht blos in dieser, auch noch in anderer Weise stellte Frankfurt eine wahre Hauptstadt vor. Ein eigentliches Hofleben nach französischem Zu¬ schnitte Ludwigs XIV. oder XV. konnte es hier nicht geben, aber inmitten des eigenthümlich reichsbürgerlichen Typus der socialen Zustände bewegte sich mit größter Ungenirtheit alles das. was anderwärts innerhalb der Mauern einer fürstlichen Residenz um die Sonne des regierenden Herren rotirte, als selbständige kleinere Sonnensysteme nebeneinander. Statt eines Hofes mit seiner glänzenden Uniformität gab es hier ein halbes Hundert oder mehr, jedes mit originellem Gepräge, im Wesen darin einander gleich, daß von ihnen aus nur Miasmen auf den Volkskörper wie er eben damals beschaffen war, ausströmten. Rechnet man dazu noch, daß das da¬ malige Frankfurt sowohl durch seine Messen wie durch seine ansäßige Kauf¬ mannschaft einen Welthandelsplatz ersten Ranges repräsentirte, wie wenigstens in ganz Deutschland außer Hamburg — und hier nur sehr beschränkt — kein zweiter zu finden war, so begreift sich leicht, daß nirgends so viel Geld um¬ gesetzt und verdient wurde, als hier und ebenso, daß weit und breit durch dieses stärkste Medium alle Augen auf die Stadt gerichtet und alle materiellen Interessen damit verwachsen waren. Niemals hat Frankfurt in streng wissenschaftlichen Dingen Bedeutendes geleistet, auch ist es nie das eigentliche literarische Centrum von Deutschland gewesen, selbst dann nicht als der deutsche Buchhandel auf der Frankfurter Messe seinen Mittelpunkt hatte. Weniger vielleicht die lästigen Uebergriffe der kaiserlichen Censur, die der Frankfurter Rath weder beschränken wollte noch konnte, als die natürliche Mißbeschaffenheit des Bodens vertrieben die Bücher und die Buchführer nach dem Norden, nach Leipzig. Aber so weit überhaupt das eigentliche Reich noch bis zum Ende des vorigen Jahr¬ hunderts an dem anderwärts sich vollziehenden Bildungsprocesse des deutschen Volksgeistes sich betheiligt, so weit war wiederum Frankfurt der Hauptsitz der größten Regsamkeit und der Knotenpunkt alles Lebens. Daß hier Philipp Spener den Pietismus so zu sagen gegründet hat. ist kein Zufall, ebensowenig, daß die Richtung, die er selbst und seine Genossen und Nach- folger ihm vorzeichneten, hier nicht gedeihen konnte. Dafür war nur in den uniformeren und reguläreren Flächen des Nordostens die rechte Stätte. Aber was ursprünglich der Kern der ganzen pietistischen Phase war, die religiöse Emancipation der Subjektivität, das hat hier in Frankfurt gezündet und von hier aus seine Funken auf das ganze Reich verstreut. Hier war 42 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/339>, abgerufen am 02.10.2024.