Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

war den Aufgaben der Selbstverwaltung und den communalen Aufgaben gedient.
Die Bezirke, deren Abgrenzung durch die seltsame lange und schmale Gestalt des
Landes außerordentlich erschwert ist, erschienen durchweg -- im Durchschnitt haben
die S9 Bezirke 30 Gemeinden und 24000 Einwohner -- zu klein, um den Auf-
wand für größere gemeinnützige Unternehmungen öffentlichen Charakters auf¬
zubringen. So entstand die in ihrer Art wohl neue, eigenthümliche, von
staatsmännischer Erfindungsgabe zeugende Idee mehrere (3--8) Bezirke "auf
Grundlage gemeinsamer Interessen" zu einem Kreis zu vereinigen und diesen
Kreisen -- 11 an Zahl -- die Jnteressenpflege (Selbstverwaltung) aus¬
schließlich zuzutheilen. Die Selbstverwaltung sollte sich aus sich selbst
entwickeln, die Bürger sollten unbehindert von der Bureaukratie schaffen und
gestalten, sie sollten gleichsam kleine Selbstverwaltungsstaaten im Staate
bilden und in diesen die öffentlichen Aufgaben erfüllen, die der Staat nicht
übernehmen will, die Gemeinde nicht übernehmen kann. Wir verweilen
nicht länger bei der Idee selbst, die unverkennbar süddeutschem Sinn ent¬
sprungen, und bemerken nur, daß ihre Verwirklichung richtig in Angriff ge¬
nommen ist, unter der Ungunst der letzten Jahre aber wesentliche Beein¬
trächtigung erfahren hat und noch nicht sich absehen läßt, wie der geistreiche
Versuch endlich ausfällt.

Die Kreisexecution legt die badische Gesetzgebung in die Hand des
Kreisausschusses, dessen Mitgliederzahl in der Regel aus fünf Mitgliedern
besteht, durch Beschluß der Kreisversammlung aber mit Zustimmung der
Regierung abweichend festgesetzt werden kann und, soviel bekannt, bisher in
einem Fall erhöht worden ist. Die Kreisvertretung ist die Kreisversammlung,
deren Bildung und Zusammensetzung näher in's Auge zu fassen sind. Be¬
trachten wir vorerst die Elemente, die sich dem badischen Gesetzgeber für
diesen Zweck boten.

Größere Verwaltungskreise gab es bereits vor der Organisation von
1864. Unmittelbar vor derselben war das Großherzogthum in vier Re¬
gierungsbezirke, denen Kreisregierungen vorgesetzt waren, getheilt. Vor dieser
Eintheilung bestand eine größere Zahl von Kreisen. Die eine wie die andere
Eintheilung war aber bloß administrativer Natur und verband sich nicht
mit ständischen Einrichtungen. An diesen, an korporativen Institutionen
fehlte es ebenso wie an feudalen Kasten. Als die Neichsunmittelbaren im
Großherzogthum aufgingen, bewahrten sie für sich sehr beschränkte Vorrechte.
Das dem französischen Muster nachgebildete büreaukratische Regierungssystem
nivellirte das Land und ließ bis 1864 nur einen Sonderverband im Staate
bestehen, die Gemeinde. Auch diese wurde jedoch in nivellirender Weise
geordnet. Die Gemeindereform (Anfang 1831) brachte allen Gemeinden
eine sehr schätzenswerthe Selbstverwaltung, aber andererseits, soweit dies


Grenzboten IV. 18L9. 40

war den Aufgaben der Selbstverwaltung und den communalen Aufgaben gedient.
Die Bezirke, deren Abgrenzung durch die seltsame lange und schmale Gestalt des
Landes außerordentlich erschwert ist, erschienen durchweg — im Durchschnitt haben
die S9 Bezirke 30 Gemeinden und 24000 Einwohner — zu klein, um den Auf-
wand für größere gemeinnützige Unternehmungen öffentlichen Charakters auf¬
zubringen. So entstand die in ihrer Art wohl neue, eigenthümliche, von
staatsmännischer Erfindungsgabe zeugende Idee mehrere (3—8) Bezirke „auf
Grundlage gemeinsamer Interessen" zu einem Kreis zu vereinigen und diesen
Kreisen — 11 an Zahl — die Jnteressenpflege (Selbstverwaltung) aus¬
schließlich zuzutheilen. Die Selbstverwaltung sollte sich aus sich selbst
entwickeln, die Bürger sollten unbehindert von der Bureaukratie schaffen und
gestalten, sie sollten gleichsam kleine Selbstverwaltungsstaaten im Staate
bilden und in diesen die öffentlichen Aufgaben erfüllen, die der Staat nicht
übernehmen will, die Gemeinde nicht übernehmen kann. Wir verweilen
nicht länger bei der Idee selbst, die unverkennbar süddeutschem Sinn ent¬
sprungen, und bemerken nur, daß ihre Verwirklichung richtig in Angriff ge¬
nommen ist, unter der Ungunst der letzten Jahre aber wesentliche Beein¬
trächtigung erfahren hat und noch nicht sich absehen läßt, wie der geistreiche
Versuch endlich ausfällt.

Die Kreisexecution legt die badische Gesetzgebung in die Hand des
Kreisausschusses, dessen Mitgliederzahl in der Regel aus fünf Mitgliedern
besteht, durch Beschluß der Kreisversammlung aber mit Zustimmung der
Regierung abweichend festgesetzt werden kann und, soviel bekannt, bisher in
einem Fall erhöht worden ist. Die Kreisvertretung ist die Kreisversammlung,
deren Bildung und Zusammensetzung näher in's Auge zu fassen sind. Be¬
trachten wir vorerst die Elemente, die sich dem badischen Gesetzgeber für
diesen Zweck boten.

Größere Verwaltungskreise gab es bereits vor der Organisation von
1864. Unmittelbar vor derselben war das Großherzogthum in vier Re¬
gierungsbezirke, denen Kreisregierungen vorgesetzt waren, getheilt. Vor dieser
Eintheilung bestand eine größere Zahl von Kreisen. Die eine wie die andere
Eintheilung war aber bloß administrativer Natur und verband sich nicht
mit ständischen Einrichtungen. An diesen, an korporativen Institutionen
fehlte es ebenso wie an feudalen Kasten. Als die Neichsunmittelbaren im
Großherzogthum aufgingen, bewahrten sie für sich sehr beschränkte Vorrechte.
Das dem französischen Muster nachgebildete büreaukratische Regierungssystem
nivellirte das Land und ließ bis 1864 nur einen Sonderverband im Staate
bestehen, die Gemeinde. Auch diese wurde jedoch in nivellirender Weise
geordnet. Die Gemeindereform (Anfang 1831) brachte allen Gemeinden
eine sehr schätzenswerthe Selbstverwaltung, aber andererseits, soweit dies


Grenzboten IV. 18L9. 40
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0321" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/122076"/>
          <p xml:id="ID_892" prev="#ID_891"> war den Aufgaben der Selbstverwaltung und den communalen Aufgaben gedient.<lb/>
Die Bezirke, deren Abgrenzung durch die seltsame lange und schmale Gestalt des<lb/>
Landes außerordentlich erschwert ist, erschienen durchweg &#x2014; im Durchschnitt haben<lb/>
die S9 Bezirke 30 Gemeinden und 24000 Einwohner &#x2014; zu klein, um den Auf-<lb/>
wand für größere gemeinnützige Unternehmungen öffentlichen Charakters auf¬<lb/>
zubringen. So entstand die in ihrer Art wohl neue, eigenthümliche, von<lb/>
staatsmännischer Erfindungsgabe zeugende Idee mehrere (3&#x2014;8) Bezirke &#x201E;auf<lb/>
Grundlage gemeinsamer Interessen" zu einem Kreis zu vereinigen und diesen<lb/>
Kreisen &#x2014; 11 an Zahl &#x2014; die Jnteressenpflege (Selbstverwaltung) aus¬<lb/>
schließlich zuzutheilen. Die Selbstverwaltung sollte sich aus sich selbst<lb/>
entwickeln, die Bürger sollten unbehindert von der Bureaukratie schaffen und<lb/>
gestalten, sie sollten gleichsam kleine Selbstverwaltungsstaaten im Staate<lb/>
bilden und in diesen die öffentlichen Aufgaben erfüllen, die der Staat nicht<lb/>
übernehmen will, die Gemeinde nicht übernehmen kann. Wir verweilen<lb/>
nicht länger bei der Idee selbst, die unverkennbar süddeutschem Sinn ent¬<lb/>
sprungen, und bemerken nur, daß ihre Verwirklichung richtig in Angriff ge¬<lb/>
nommen ist, unter der Ungunst der letzten Jahre aber wesentliche Beein¬<lb/>
trächtigung erfahren hat und noch nicht sich absehen läßt, wie der geistreiche<lb/>
Versuch endlich ausfällt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_893"> Die Kreisexecution legt die badische Gesetzgebung in die Hand des<lb/>
Kreisausschusses, dessen Mitgliederzahl in der Regel aus fünf Mitgliedern<lb/>
besteht, durch Beschluß der Kreisversammlung aber mit Zustimmung der<lb/>
Regierung abweichend festgesetzt werden kann und, soviel bekannt, bisher in<lb/>
einem Fall erhöht worden ist. Die Kreisvertretung ist die Kreisversammlung,<lb/>
deren Bildung und Zusammensetzung näher in's Auge zu fassen sind. Be¬<lb/>
trachten wir vorerst die Elemente, die sich dem badischen Gesetzgeber für<lb/>
diesen Zweck boten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_894" next="#ID_895"> Größere Verwaltungskreise gab es bereits vor der Organisation von<lb/>
1864. Unmittelbar vor derselben war das Großherzogthum in vier Re¬<lb/>
gierungsbezirke, denen Kreisregierungen vorgesetzt waren, getheilt. Vor dieser<lb/>
Eintheilung bestand eine größere Zahl von Kreisen. Die eine wie die andere<lb/>
Eintheilung war aber bloß administrativer Natur und verband sich nicht<lb/>
mit ständischen Einrichtungen. An diesen, an korporativen Institutionen<lb/>
fehlte es ebenso wie an feudalen Kasten. Als die Neichsunmittelbaren im<lb/>
Großherzogthum aufgingen, bewahrten sie für sich sehr beschränkte Vorrechte.<lb/>
Das dem französischen Muster nachgebildete büreaukratische Regierungssystem<lb/>
nivellirte das Land und ließ bis 1864 nur einen Sonderverband im Staate<lb/>
bestehen, die Gemeinde. Auch diese wurde jedoch in nivellirender Weise<lb/>
geordnet. Die Gemeindereform (Anfang 1831) brachte allen Gemeinden<lb/>
eine sehr schätzenswerthe Selbstverwaltung, aber andererseits, soweit dies</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 18L9. 40</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0321] war den Aufgaben der Selbstverwaltung und den communalen Aufgaben gedient. Die Bezirke, deren Abgrenzung durch die seltsame lange und schmale Gestalt des Landes außerordentlich erschwert ist, erschienen durchweg — im Durchschnitt haben die S9 Bezirke 30 Gemeinden und 24000 Einwohner — zu klein, um den Auf- wand für größere gemeinnützige Unternehmungen öffentlichen Charakters auf¬ zubringen. So entstand die in ihrer Art wohl neue, eigenthümliche, von staatsmännischer Erfindungsgabe zeugende Idee mehrere (3—8) Bezirke „auf Grundlage gemeinsamer Interessen" zu einem Kreis zu vereinigen und diesen Kreisen — 11 an Zahl — die Jnteressenpflege (Selbstverwaltung) aus¬ schließlich zuzutheilen. Die Selbstverwaltung sollte sich aus sich selbst entwickeln, die Bürger sollten unbehindert von der Bureaukratie schaffen und gestalten, sie sollten gleichsam kleine Selbstverwaltungsstaaten im Staate bilden und in diesen die öffentlichen Aufgaben erfüllen, die der Staat nicht übernehmen will, die Gemeinde nicht übernehmen kann. Wir verweilen nicht länger bei der Idee selbst, die unverkennbar süddeutschem Sinn ent¬ sprungen, und bemerken nur, daß ihre Verwirklichung richtig in Angriff ge¬ nommen ist, unter der Ungunst der letzten Jahre aber wesentliche Beein¬ trächtigung erfahren hat und noch nicht sich absehen läßt, wie der geistreiche Versuch endlich ausfällt. Die Kreisexecution legt die badische Gesetzgebung in die Hand des Kreisausschusses, dessen Mitgliederzahl in der Regel aus fünf Mitgliedern besteht, durch Beschluß der Kreisversammlung aber mit Zustimmung der Regierung abweichend festgesetzt werden kann und, soviel bekannt, bisher in einem Fall erhöht worden ist. Die Kreisvertretung ist die Kreisversammlung, deren Bildung und Zusammensetzung näher in's Auge zu fassen sind. Be¬ trachten wir vorerst die Elemente, die sich dem badischen Gesetzgeber für diesen Zweck boten. Größere Verwaltungskreise gab es bereits vor der Organisation von 1864. Unmittelbar vor derselben war das Großherzogthum in vier Re¬ gierungsbezirke, denen Kreisregierungen vorgesetzt waren, getheilt. Vor dieser Eintheilung bestand eine größere Zahl von Kreisen. Die eine wie die andere Eintheilung war aber bloß administrativer Natur und verband sich nicht mit ständischen Einrichtungen. An diesen, an korporativen Institutionen fehlte es ebenso wie an feudalen Kasten. Als die Neichsunmittelbaren im Großherzogthum aufgingen, bewahrten sie für sich sehr beschränkte Vorrechte. Das dem französischen Muster nachgebildete büreaukratische Regierungssystem nivellirte das Land und ließ bis 1864 nur einen Sonderverband im Staate bestehen, die Gemeinde. Auch diese wurde jedoch in nivellirender Weise geordnet. Die Gemeindereform (Anfang 1831) brachte allen Gemeinden eine sehr schätzenswerthe Selbstverwaltung, aber andererseits, soweit dies Grenzboten IV. 18L9. 40

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/321
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/321>, abgerufen am 22.07.2024.