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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Die ganze Reorganisation der badischen inneren Verwaltung, wie sie seit 1804
ins Leben gerufen und durchgeführt ist, ruht auf anderer Grundlage als die
preußische ruhen wird und ruhen muß. Die verschiedene Größe der Länder,
von denen das eine bei weitem nicht die Größe des größten Regierungs¬
bezirks des andern erreicht (Baden hat 272, dagegen der Regierungsbezirk
Königsberg 408 Quadratmeilen), zeichnet dem Organisator hier und dort
vollkommen verschiedene Maße vor. Dieser Gegensatz macht sich jedoch
gerade in Bezug auf die Kreisvertretung am mindesten fühlbar. Bei
ihr handelt es sich, eine lebensfähige Körperschaft, eine wirkliche, keine soge¬
nannte, keine Scheinvertretung zu schaffen; bei ihr kommen im Wesentlichen
überall die gleichen Gesichtspunkte allgemein politischer Natur in Frage; bei
ihr tritt der Gegensatz der Zustände hervor, und es ist zu betonen, daß dieser
Gegensatz wirklich hervortritt. Aus ihm ließe sich sogar die Unvergleichbar¬
keit des badischen und des zukünftigen preußischen Vertretungssystems fol¬
gern, wenn die genauere Betrachtung nicht lehrte, wie der badische Gesetzgeber
von seinem frei organisirenden Standpunkt aus Ideen verwirklicht hat, die
den auf dem Grundsatz geschichtlicher Fortentwickelung basirenden preußischen
Reformisten viel näher stehen, als von vornherein anzunehmen ist. Doch
wir wollen der Darstellung nicht vorgreifen und beginnen mit einigen all¬
gemeinen Bemerkungen über die badische Verwaltungsorganisation, von der
das bekannte vortreffliche Buch Welzel's (Verwaltungsgesetz. Karlsruhe 1864)
ausführlich handelt.

Die Reorganisation der innern Verwaltung ging aus der freien Initiative
des Ministeriums der neuen Aera (Stahel-Lamey- Roggenbach) hervor, nach¬
dem ein 1848 aufgestellter und genehmigter Plan in Folge der über das
Land hereinbrechenden Ereignisse bloßer Plan geblieben war. Einführung
der Selbstverwaltung und der Verwaltungsrechtspflege hieß das Programm,
das zu Grunde gelegt wurde. In Ansehung der ersteren ergab sich aber
dadurch eine besondere Schwierigkeit, daß die Bezirksverfassung unberührt
gelassen, die Bildung großer Kreise nach Art der preußischen vermieden
werden sollte, um die tausendfältigen Beziehungen und Gewohnheiten, die
sich mit einer eingeleblen Bezirksverfnssung verbinden, nicht unliebsam zu
stören. Man wählte den Ausweg, die Bezirksverwaltung zu einer "gemischten"
Verwaltung umzugestalten und setzte dem Bezirksbeamten (Gerichte) einen
vom Ministerium des Innern auf Vorschlag der Kreisversammlung (Kreistag)
ernannten Bezirksrath zur Seite, dem Verwaltung"- und verwaltungsgericht¬
liche Befugnisse beigelegt wurden und dessen einzelne Mitglieder (Bezirksräthe)
zugleich eine bestimmte Verwaltungsexecution für ihre Dienstbezirke übertragen
bekamen. Allein sosehr die Verwaltung" - Aufgaben staatlicher Natur mit
dieser Einrichtung, die rasch zu frischem Leben gedieh, gefördert waren, so wenig


Die ganze Reorganisation der badischen inneren Verwaltung, wie sie seit 1804
ins Leben gerufen und durchgeführt ist, ruht auf anderer Grundlage als die
preußische ruhen wird und ruhen muß. Die verschiedene Größe der Länder,
von denen das eine bei weitem nicht die Größe des größten Regierungs¬
bezirks des andern erreicht (Baden hat 272, dagegen der Regierungsbezirk
Königsberg 408 Quadratmeilen), zeichnet dem Organisator hier und dort
vollkommen verschiedene Maße vor. Dieser Gegensatz macht sich jedoch
gerade in Bezug auf die Kreisvertretung am mindesten fühlbar. Bei
ihr handelt es sich, eine lebensfähige Körperschaft, eine wirkliche, keine soge¬
nannte, keine Scheinvertretung zu schaffen; bei ihr kommen im Wesentlichen
überall die gleichen Gesichtspunkte allgemein politischer Natur in Frage; bei
ihr tritt der Gegensatz der Zustände hervor, und es ist zu betonen, daß dieser
Gegensatz wirklich hervortritt. Aus ihm ließe sich sogar die Unvergleichbar¬
keit des badischen und des zukünftigen preußischen Vertretungssystems fol¬
gern, wenn die genauere Betrachtung nicht lehrte, wie der badische Gesetzgeber
von seinem frei organisirenden Standpunkt aus Ideen verwirklicht hat, die
den auf dem Grundsatz geschichtlicher Fortentwickelung basirenden preußischen
Reformisten viel näher stehen, als von vornherein anzunehmen ist. Doch
wir wollen der Darstellung nicht vorgreifen und beginnen mit einigen all¬
gemeinen Bemerkungen über die badische Verwaltungsorganisation, von der
das bekannte vortreffliche Buch Welzel's (Verwaltungsgesetz. Karlsruhe 1864)
ausführlich handelt.

Die Reorganisation der innern Verwaltung ging aus der freien Initiative
des Ministeriums der neuen Aera (Stahel-Lamey- Roggenbach) hervor, nach¬
dem ein 1848 aufgestellter und genehmigter Plan in Folge der über das
Land hereinbrechenden Ereignisse bloßer Plan geblieben war. Einführung
der Selbstverwaltung und der Verwaltungsrechtspflege hieß das Programm,
das zu Grunde gelegt wurde. In Ansehung der ersteren ergab sich aber
dadurch eine besondere Schwierigkeit, daß die Bezirksverfassung unberührt
gelassen, die Bildung großer Kreise nach Art der preußischen vermieden
werden sollte, um die tausendfältigen Beziehungen und Gewohnheiten, die
sich mit einer eingeleblen Bezirksverfnssung verbinden, nicht unliebsam zu
stören. Man wählte den Ausweg, die Bezirksverwaltung zu einer „gemischten"
Verwaltung umzugestalten und setzte dem Bezirksbeamten (Gerichte) einen
vom Ministerium des Innern auf Vorschlag der Kreisversammlung (Kreistag)
ernannten Bezirksrath zur Seite, dem Verwaltung«- und verwaltungsgericht¬
liche Befugnisse beigelegt wurden und dessen einzelne Mitglieder (Bezirksräthe)
zugleich eine bestimmte Verwaltungsexecution für ihre Dienstbezirke übertragen
bekamen. Allein sosehr die Verwaltung« - Aufgaben staatlicher Natur mit
dieser Einrichtung, die rasch zu frischem Leben gedieh, gefördert waren, so wenig


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[0320] Die ganze Reorganisation der badischen inneren Verwaltung, wie sie seit 1804 ins Leben gerufen und durchgeführt ist, ruht auf anderer Grundlage als die preußische ruhen wird und ruhen muß. Die verschiedene Größe der Länder, von denen das eine bei weitem nicht die Größe des größten Regierungs¬ bezirks des andern erreicht (Baden hat 272, dagegen der Regierungsbezirk Königsberg 408 Quadratmeilen), zeichnet dem Organisator hier und dort vollkommen verschiedene Maße vor. Dieser Gegensatz macht sich jedoch gerade in Bezug auf die Kreisvertretung am mindesten fühlbar. Bei ihr handelt es sich, eine lebensfähige Körperschaft, eine wirkliche, keine soge¬ nannte, keine Scheinvertretung zu schaffen; bei ihr kommen im Wesentlichen überall die gleichen Gesichtspunkte allgemein politischer Natur in Frage; bei ihr tritt der Gegensatz der Zustände hervor, und es ist zu betonen, daß dieser Gegensatz wirklich hervortritt. Aus ihm ließe sich sogar die Unvergleichbar¬ keit des badischen und des zukünftigen preußischen Vertretungssystems fol¬ gern, wenn die genauere Betrachtung nicht lehrte, wie der badische Gesetzgeber von seinem frei organisirenden Standpunkt aus Ideen verwirklicht hat, die den auf dem Grundsatz geschichtlicher Fortentwickelung basirenden preußischen Reformisten viel näher stehen, als von vornherein anzunehmen ist. Doch wir wollen der Darstellung nicht vorgreifen und beginnen mit einigen all¬ gemeinen Bemerkungen über die badische Verwaltungsorganisation, von der das bekannte vortreffliche Buch Welzel's (Verwaltungsgesetz. Karlsruhe 1864) ausführlich handelt. Die Reorganisation der innern Verwaltung ging aus der freien Initiative des Ministeriums der neuen Aera (Stahel-Lamey- Roggenbach) hervor, nach¬ dem ein 1848 aufgestellter und genehmigter Plan in Folge der über das Land hereinbrechenden Ereignisse bloßer Plan geblieben war. Einführung der Selbstverwaltung und der Verwaltungsrechtspflege hieß das Programm, das zu Grunde gelegt wurde. In Ansehung der ersteren ergab sich aber dadurch eine besondere Schwierigkeit, daß die Bezirksverfassung unberührt gelassen, die Bildung großer Kreise nach Art der preußischen vermieden werden sollte, um die tausendfältigen Beziehungen und Gewohnheiten, die sich mit einer eingeleblen Bezirksverfnssung verbinden, nicht unliebsam zu stören. Man wählte den Ausweg, die Bezirksverwaltung zu einer „gemischten" Verwaltung umzugestalten und setzte dem Bezirksbeamten (Gerichte) einen vom Ministerium des Innern auf Vorschlag der Kreisversammlung (Kreistag) ernannten Bezirksrath zur Seite, dem Verwaltung«- und verwaltungsgericht¬ liche Befugnisse beigelegt wurden und dessen einzelne Mitglieder (Bezirksräthe) zugleich eine bestimmte Verwaltungsexecution für ihre Dienstbezirke übertragen bekamen. Allein sosehr die Verwaltung« - Aufgaben staatlicher Natur mit dieser Einrichtung, die rasch zu frischem Leben gedieh, gefördert waren, so wenig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/320>, abgerufen am 22.07.2024.