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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Ganzes genommen, den Vergleich mit unserm deutschen Shakespeare oder
unserm deutschen Byron aus. Woran liegt das?

Die Antwort auf diese Frage ist, vereinzelt, zum Theil schon bei
Musterung der vorgeführten Proben gegeben worden. Von einer absoluten
technischen Unmöglichkeit, in englischer Form ein deutsches Vorbild würdig
nachzuschaffen, kann schwerlich die Rede sein. Zwar mag die größere Ge¬
drängtheit der Laute, die energischere Härte der englischen Sprache sich
häufig der Nachahmung des tonmalerischen Elementes hindernd in den Weg
stellen; dafür aber bietet das Englische dem Uebersetzer den Vortheil einer
knapperen Silbenzahl und schließt dadurch manche uns beim umgekehrten
Verfahren gebotene Zusammenziehung oder gar Streichung aus. Jedenfalls
hat der Engländer dem deutschen Originalgedicht gegenüber eine mechanisch
bequemere Stellung als der Deutsche im Angesicht der starren, fast flexions¬
losen, oft chinesisch einsilbigen Wörterphalanx englischer Verse. Was da¬
gegen nur zu oft den übersetzenden Engländern ihre Aufgabe erschwert und
vereitelt hat, ist das mangelhafte Verständniß unserer ureigenthümlichen
Sprache -- ^tdis er^ddLä, dut Zlorious DsutsLii', wie Currer Bell einmal
sagt. Es ist eine selbst in unseren "internationalen" Tagen gar seltene Er¬
scheinung bei Ausländern -- und seien es auch unsere nächsten, der Gc-
sammtfamilie abtrünnig gewordenen Anverwandten: Scandinaven, Nieder¬
länder, Angelsachsen, -- daß sie die verschlungenen Räthsel unserer Dichterrede
zu entwirren, die schönen Eigenheiten unserer Sänger nachzuempfinden, in
die reizvollen Geheimnisse ihrer Laute nicht nur, sondern auch aller durch
diese geweckten Stimmungen und Gefühle mit intuitivem Verständniß ein¬
zudringen befähigt sind. Während aber diese bloß receptive Begabung schon
den wenigsten Fremden uns gegenüber vergönnt scheint, kommt für den
mustergiltigen Uebersetzer als unumgängliches Erforderniß noch die dichterische
Reproductionskraft hinzu. Wer die fremden Verse noch so gründlich liest
und versteht, ist darum noch nicht von Gottes Gnaden berufen, seine eigenen
Verse an deren Stelle zu setzen, dergestalt, daß damit der höchstmögliche
Grad von Imitation, mit anderen Worten eine classische Uebersetzung
erreicht werde.

Bis zu diesem künstlerischen Standpunkt, auf welchem die besten unserer
deutschen Uebersetzer sich halten, sind unter den Engländern, wie wir gesehen
haben, nur ganz einzelne gelangt. Die übrige Legion besteht aus Schülern,
Handwerkern und Dilettanten; die überwiegende Mehrzahl leidet an Kälte
oder Steifheit, an ungebotenen Füllwörtern oder Streichungen, an geleimter
Composition und Verwässerung. Viele unter ihnen haben nicht einmal
die durchaus erforderliche Wiedergabe des Versmaaßes beachtet und gar
wenige sind sich der musikalischen, wenn auch in englischen Ohren nicht


Ganzes genommen, den Vergleich mit unserm deutschen Shakespeare oder
unserm deutschen Byron aus. Woran liegt das?

Die Antwort auf diese Frage ist, vereinzelt, zum Theil schon bei
Musterung der vorgeführten Proben gegeben worden. Von einer absoluten
technischen Unmöglichkeit, in englischer Form ein deutsches Vorbild würdig
nachzuschaffen, kann schwerlich die Rede sein. Zwar mag die größere Ge¬
drängtheit der Laute, die energischere Härte der englischen Sprache sich
häufig der Nachahmung des tonmalerischen Elementes hindernd in den Weg
stellen; dafür aber bietet das Englische dem Uebersetzer den Vortheil einer
knapperen Silbenzahl und schließt dadurch manche uns beim umgekehrten
Verfahren gebotene Zusammenziehung oder gar Streichung aus. Jedenfalls
hat der Engländer dem deutschen Originalgedicht gegenüber eine mechanisch
bequemere Stellung als der Deutsche im Angesicht der starren, fast flexions¬
losen, oft chinesisch einsilbigen Wörterphalanx englischer Verse. Was da¬
gegen nur zu oft den übersetzenden Engländern ihre Aufgabe erschwert und
vereitelt hat, ist das mangelhafte Verständniß unserer ureigenthümlichen
Sprache — ^tdis er^ddLä, dut Zlorious DsutsLii', wie Currer Bell einmal
sagt. Es ist eine selbst in unseren „internationalen" Tagen gar seltene Er¬
scheinung bei Ausländern — und seien es auch unsere nächsten, der Gc-
sammtfamilie abtrünnig gewordenen Anverwandten: Scandinaven, Nieder¬
länder, Angelsachsen, — daß sie die verschlungenen Räthsel unserer Dichterrede
zu entwirren, die schönen Eigenheiten unserer Sänger nachzuempfinden, in
die reizvollen Geheimnisse ihrer Laute nicht nur, sondern auch aller durch
diese geweckten Stimmungen und Gefühle mit intuitivem Verständniß ein¬
zudringen befähigt sind. Während aber diese bloß receptive Begabung schon
den wenigsten Fremden uns gegenüber vergönnt scheint, kommt für den
mustergiltigen Uebersetzer als unumgängliches Erforderniß noch die dichterische
Reproductionskraft hinzu. Wer die fremden Verse noch so gründlich liest
und versteht, ist darum noch nicht von Gottes Gnaden berufen, seine eigenen
Verse an deren Stelle zu setzen, dergestalt, daß damit der höchstmögliche
Grad von Imitation, mit anderen Worten eine classische Uebersetzung
erreicht werde.

Bis zu diesem künstlerischen Standpunkt, auf welchem die besten unserer
deutschen Uebersetzer sich halten, sind unter den Engländern, wie wir gesehen
haben, nur ganz einzelne gelangt. Die übrige Legion besteht aus Schülern,
Handwerkern und Dilettanten; die überwiegende Mehrzahl leidet an Kälte
oder Steifheit, an ungebotenen Füllwörtern oder Streichungen, an geleimter
Composition und Verwässerung. Viele unter ihnen haben nicht einmal
die durchaus erforderliche Wiedergabe des Versmaaßes beachtet und gar
wenige sind sich der musikalischen, wenn auch in englischen Ohren nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/318>, abgerufen am 22.07.2024.