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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Bausch und Bogen als preußisch denuncirt wurde, seitdem ungleich zurück¬
haltender mit dem Ausdruck ihrer politischen Ansichten -- selbst im Privat¬
leben -- geworden, ist. Sie hat gelernt, vorsichtiger zu sein. Nun erntet
j'tzt die Regierung selbst die Früchte dieses Einschüchterungssystems. Sie
selbst trägt nun den Schaden, daß ihre Organe theils zurückhaltender, theils
einflußloser geworden sind.

Es wäre für eine würtenbergische Regierung sehr leicht gewesen, sich,
nachdem die vorläufige Stockung des nationellen Werks feststand, also vom
Spätjahr 1867 an, in eine ähnliche Stellung zum Lande zu versetzen, wie das
Ministerium Hohenlohe in Bayern unter weit ungünstigeren Verhältnissen sie ein¬
zunehmen wußte. Sie hätte es leicht gehabt, alle anständigen Elemente im Lande
um sich zu sammeln und damit einen starken Wall gegen die südbündlerische Demo¬
kratie aufzuwerfen. Man hätte ihr gerne nachgesehen, was sie im Jahr
1866 gesündigt hatte, wenn sie nicht muthwilligerweise zwei Jahre darauf,
zu einer Zeit da es die Versöhnung nach dem deutschen Krieg galt, die
Schuld verdoppelt hätte. Die große Mehrheit des Landes hätte sie hinter
sich gehabt und auf die deutsche Partei hätte sie ebenso zählen können, wie
das bayrische Ministerium auf die dortige Fortschrittspartei.

Es ist lächerlich zu sagen, daß die deutsche Partei in Würtemberg aus
einem Haufen extremer Fanatiker bestehe. Man pflegt doch sonst den Natio-
rialliberalen nicht diesen Vorwurf zu machen, und nur vor einer Versamm¬
lung, auf deren Unkenntnis; er zählte, konnte Herr v. Mittnacht eine Schil¬
derung entwerfen, wie er sie am 1. Mai 1868 vor dem Zollparlament zu
entwickeln über sich brachte. Ihr Programm und ihre Zielpunkte wird
freilich die deutsche Partei nicht verleugnen, aber sie wußte auch seit jenem
Zeitpunkt, daß die Erreichung ihres Ziels nicht von einer Ueberrumplung
auf dem Zollparlament, wie die geängsteten Gemüther meinten oder zu
meinen vorgaben, sondern durch eine langsame Arbeit in den einzelnen süd¬
deutschen Staaten zu erreichen sei, wobei es zunächst darauf ankomme, das
bis jetzt Erreichte zu befestigen und die Meinung des Landes dafür zu ge¬
winnen. Eine Regierung, die auch nur ein wenig weiter in die Zukunfc sah,
hätte sich mit diesem Standpunkt befreunden müssen, weil er allein der wür¬
dige war und weil er allein die Möglichkeit gewährte auch für die innere
Entwickelung des Landes eine zuverlässige Basis zu gewinnen. Als eine
willkommene Brücke hatte ihr jenes sehr gemäßigt nationale Programm
dienen können, zu welchem sich die "liberale", d. h. die ministerielle Partei
Zu Stuttgart im April 1867 bekannte. Dieses Programm war freilich zur
Zeit der Luxemburger Krisis aufgestellt worden, und es zeigte sich bald, daß
die eigenen Urheber, sobald der damals auf sie geübte Druck schwand, sich
beeilten das Programm zu verlassen. Eine sogenannte Mittelpartei mit selb"


Bausch und Bogen als preußisch denuncirt wurde, seitdem ungleich zurück¬
haltender mit dem Ausdruck ihrer politischen Ansichten — selbst im Privat¬
leben — geworden, ist. Sie hat gelernt, vorsichtiger zu sein. Nun erntet
j'tzt die Regierung selbst die Früchte dieses Einschüchterungssystems. Sie
selbst trägt nun den Schaden, daß ihre Organe theils zurückhaltender, theils
einflußloser geworden sind.

Es wäre für eine würtenbergische Regierung sehr leicht gewesen, sich,
nachdem die vorläufige Stockung des nationellen Werks feststand, also vom
Spätjahr 1867 an, in eine ähnliche Stellung zum Lande zu versetzen, wie das
Ministerium Hohenlohe in Bayern unter weit ungünstigeren Verhältnissen sie ein¬
zunehmen wußte. Sie hätte es leicht gehabt, alle anständigen Elemente im Lande
um sich zu sammeln und damit einen starken Wall gegen die südbündlerische Demo¬
kratie aufzuwerfen. Man hätte ihr gerne nachgesehen, was sie im Jahr
1866 gesündigt hatte, wenn sie nicht muthwilligerweise zwei Jahre darauf,
zu einer Zeit da es die Versöhnung nach dem deutschen Krieg galt, die
Schuld verdoppelt hätte. Die große Mehrheit des Landes hätte sie hinter
sich gehabt und auf die deutsche Partei hätte sie ebenso zählen können, wie
das bayrische Ministerium auf die dortige Fortschrittspartei.

Es ist lächerlich zu sagen, daß die deutsche Partei in Würtemberg aus
einem Haufen extremer Fanatiker bestehe. Man pflegt doch sonst den Natio-
rialliberalen nicht diesen Vorwurf zu machen, und nur vor einer Versamm¬
lung, auf deren Unkenntnis; er zählte, konnte Herr v. Mittnacht eine Schil¬
derung entwerfen, wie er sie am 1. Mai 1868 vor dem Zollparlament zu
entwickeln über sich brachte. Ihr Programm und ihre Zielpunkte wird
freilich die deutsche Partei nicht verleugnen, aber sie wußte auch seit jenem
Zeitpunkt, daß die Erreichung ihres Ziels nicht von einer Ueberrumplung
auf dem Zollparlament, wie die geängsteten Gemüther meinten oder zu
meinen vorgaben, sondern durch eine langsame Arbeit in den einzelnen süd¬
deutschen Staaten zu erreichen sei, wobei es zunächst darauf ankomme, das
bis jetzt Erreichte zu befestigen und die Meinung des Landes dafür zu ge¬
winnen. Eine Regierung, die auch nur ein wenig weiter in die Zukunfc sah,
hätte sich mit diesem Standpunkt befreunden müssen, weil er allein der wür¬
dige war und weil er allein die Möglichkeit gewährte auch für die innere
Entwickelung des Landes eine zuverlässige Basis zu gewinnen. Als eine
willkommene Brücke hatte ihr jenes sehr gemäßigt nationale Programm
dienen können, zu welchem sich die „liberale", d. h. die ministerielle Partei
Zu Stuttgart im April 1867 bekannte. Dieses Programm war freilich zur
Zeit der Luxemburger Krisis aufgestellt worden, und es zeigte sich bald, daß
die eigenen Urheber, sobald der damals auf sie geübte Druck schwand, sich
beeilten das Programm zu verlassen. Eine sogenannte Mittelpartei mit selb»


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[0269] Bausch und Bogen als preußisch denuncirt wurde, seitdem ungleich zurück¬ haltender mit dem Ausdruck ihrer politischen Ansichten — selbst im Privat¬ leben — geworden, ist. Sie hat gelernt, vorsichtiger zu sein. Nun erntet j'tzt die Regierung selbst die Früchte dieses Einschüchterungssystems. Sie selbst trägt nun den Schaden, daß ihre Organe theils zurückhaltender, theils einflußloser geworden sind. Es wäre für eine würtenbergische Regierung sehr leicht gewesen, sich, nachdem die vorläufige Stockung des nationellen Werks feststand, also vom Spätjahr 1867 an, in eine ähnliche Stellung zum Lande zu versetzen, wie das Ministerium Hohenlohe in Bayern unter weit ungünstigeren Verhältnissen sie ein¬ zunehmen wußte. Sie hätte es leicht gehabt, alle anständigen Elemente im Lande um sich zu sammeln und damit einen starken Wall gegen die südbündlerische Demo¬ kratie aufzuwerfen. Man hätte ihr gerne nachgesehen, was sie im Jahr 1866 gesündigt hatte, wenn sie nicht muthwilligerweise zwei Jahre darauf, zu einer Zeit da es die Versöhnung nach dem deutschen Krieg galt, die Schuld verdoppelt hätte. Die große Mehrheit des Landes hätte sie hinter sich gehabt und auf die deutsche Partei hätte sie ebenso zählen können, wie das bayrische Ministerium auf die dortige Fortschrittspartei. Es ist lächerlich zu sagen, daß die deutsche Partei in Würtemberg aus einem Haufen extremer Fanatiker bestehe. Man pflegt doch sonst den Natio- rialliberalen nicht diesen Vorwurf zu machen, und nur vor einer Versamm¬ lung, auf deren Unkenntnis; er zählte, konnte Herr v. Mittnacht eine Schil¬ derung entwerfen, wie er sie am 1. Mai 1868 vor dem Zollparlament zu entwickeln über sich brachte. Ihr Programm und ihre Zielpunkte wird freilich die deutsche Partei nicht verleugnen, aber sie wußte auch seit jenem Zeitpunkt, daß die Erreichung ihres Ziels nicht von einer Ueberrumplung auf dem Zollparlament, wie die geängsteten Gemüther meinten oder zu meinen vorgaben, sondern durch eine langsame Arbeit in den einzelnen süd¬ deutschen Staaten zu erreichen sei, wobei es zunächst darauf ankomme, das bis jetzt Erreichte zu befestigen und die Meinung des Landes dafür zu ge¬ winnen. Eine Regierung, die auch nur ein wenig weiter in die Zukunfc sah, hätte sich mit diesem Standpunkt befreunden müssen, weil er allein der wür¬ dige war und weil er allein die Möglichkeit gewährte auch für die innere Entwickelung des Landes eine zuverlässige Basis zu gewinnen. Als eine willkommene Brücke hatte ihr jenes sehr gemäßigt nationale Programm dienen können, zu welchem sich die „liberale", d. h. die ministerielle Partei Zu Stuttgart im April 1867 bekannte. Dieses Programm war freilich zur Zeit der Luxemburger Krisis aufgestellt worden, und es zeigte sich bald, daß die eigenen Urheber, sobald der damals auf sie geübte Druck schwand, sich beeilten das Programm zu verlassen. Eine sogenannte Mittelpartei mit selb»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/269>, abgerufen am 02.10.2024.