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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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her ihre Inspirationen zu beziehen, darauf verzichteten, das Räthsel der
Sphinx zu lösen und sich an diejenige Periode hielten, wo die Regierung,
durch keine Rücksichten eingeschränkt, sich keinerlei Zwang auferlegt hatte.

Auch die Landtagsrvahlen brachten darin keine Aenderung. Wenn die
Negierung jetzt genöthigt war, in erster Linie gegen die Demokratie Front
zu machen, so war das langsamere und bedächtigere Volk nicht im Stande,
diese Schwenkung mit derselben raschen Eleganz zu vollziehen, mit welcher
Herr v. Varnbüler wenige Wochen nach seinem Vag piceis den Bußgang
nach Nicolsburg ausgeführt hatte. Ueberdies lag es auf der Hand, daß die
Regierung, wenn sie jetzt die Polemik gegen die deutsche Partei einstellte und
ihr sogar einen Schritt entgegenkam, dies nicht deswegen that, weil sie
Neue empfand über ihre frühere Haltung, sondern einzig, um sich die starke
demokratische Opposition auf dem eigenen Landtag sern zu hallen. Wenn
die deutsche Partei in manchen Wahlbezirken den Candidaten der Regierung
unterstützte, that sie es nicht, um den Ministern ihr Vertrauen zu bezeugen,
sondern weil ihr im Augenblick derjenige immerhin der schlimmere Feind
schien, der die Verbindlichkeit der Verträge geradezu leugnete und auf die
Abschoffung der neuen Wehrversassung eingeschworen war. Selbstverständlich
rechnete sie nirgend auf Dank und sie erfuhr ihn zum G.nel auch nirgend.
Unter den Organen der Regierung, die in unserem meistregierten Lande
immer einen erheblichen Einfluß auf die politischen Wahlen ausgeübt hatten,
riß jetzt Disciplinlosigkeit, ja völlige Anarchie ein. Sie blieben da, wo nicht
ein Candidat der Regierung in Frage war, sondern die Volkspartei und die
deutsche Partei sich das Feld streitig machten, ohne Instruction und mußten
sich selbst helfen, die wahre Meinung ihrer Oberen zu errathen. Die Einen
riethen so, die Anderen so, die Meisten aber glaubten am vorsichtigsten zu
gehen, wenn sie sich an die alte Parole hielten und gegen die "Preußen"
waren. Noch bei dem jüngsten Wahlkampf im Bezirk Oehringen, wo die
Cindidaten der deutschen und der Volkspartei einander gegenüberstanden,
flüsterte der Beobachter, ohne zurechtgewiesen zu werden, den Beamten in's
Ohr. es scheine wohl, als ob die Regierung gegen die Wahl des Demokraten
sei, allein es scheine nur so, die Beamten möchten sich dadurch, nicht irre
machen lassen, sie dürften vollkommen sicher sein, daß sie sich nicht im Ge¬
ringsten mißliebig machten, wenn sie im Gegentheil gegen die Wahl eines
"Preußen" agitirlen. In der That, das sicherste war das jedenfalls, denn man
hat nie gehört, daß ein Beamter sich dadurch, daß er die Preußen allzulebhaft
bekämpfte, einen leisen Tadel aus dem Ministerhotel zugezogen hätte. An
Beispielen der entgegengesetzten Gattung aber hat es nicht gefehlt, besonders
im Departement des Herrn v. Golther. Und es ist Thatsache, daß diese ein¬
flußreiche Bevölkerungsclasse, die vor zwei Jahren vom "Beobachter" in


her ihre Inspirationen zu beziehen, darauf verzichteten, das Räthsel der
Sphinx zu lösen und sich an diejenige Periode hielten, wo die Regierung,
durch keine Rücksichten eingeschränkt, sich keinerlei Zwang auferlegt hatte.

Auch die Landtagsrvahlen brachten darin keine Aenderung. Wenn die
Negierung jetzt genöthigt war, in erster Linie gegen die Demokratie Front
zu machen, so war das langsamere und bedächtigere Volk nicht im Stande,
diese Schwenkung mit derselben raschen Eleganz zu vollziehen, mit welcher
Herr v. Varnbüler wenige Wochen nach seinem Vag piceis den Bußgang
nach Nicolsburg ausgeführt hatte. Ueberdies lag es auf der Hand, daß die
Regierung, wenn sie jetzt die Polemik gegen die deutsche Partei einstellte und
ihr sogar einen Schritt entgegenkam, dies nicht deswegen that, weil sie
Neue empfand über ihre frühere Haltung, sondern einzig, um sich die starke
demokratische Opposition auf dem eigenen Landtag sern zu hallen. Wenn
die deutsche Partei in manchen Wahlbezirken den Candidaten der Regierung
unterstützte, that sie es nicht, um den Ministern ihr Vertrauen zu bezeugen,
sondern weil ihr im Augenblick derjenige immerhin der schlimmere Feind
schien, der die Verbindlichkeit der Verträge geradezu leugnete und auf die
Abschoffung der neuen Wehrversassung eingeschworen war. Selbstverständlich
rechnete sie nirgend auf Dank und sie erfuhr ihn zum G.nel auch nirgend.
Unter den Organen der Regierung, die in unserem meistregierten Lande
immer einen erheblichen Einfluß auf die politischen Wahlen ausgeübt hatten,
riß jetzt Disciplinlosigkeit, ja völlige Anarchie ein. Sie blieben da, wo nicht
ein Candidat der Regierung in Frage war, sondern die Volkspartei und die
deutsche Partei sich das Feld streitig machten, ohne Instruction und mußten
sich selbst helfen, die wahre Meinung ihrer Oberen zu errathen. Die Einen
riethen so, die Anderen so, die Meisten aber glaubten am vorsichtigsten zu
gehen, wenn sie sich an die alte Parole hielten und gegen die „Preußen"
waren. Noch bei dem jüngsten Wahlkampf im Bezirk Oehringen, wo die
Cindidaten der deutschen und der Volkspartei einander gegenüberstanden,
flüsterte der Beobachter, ohne zurechtgewiesen zu werden, den Beamten in's
Ohr. es scheine wohl, als ob die Regierung gegen die Wahl des Demokraten
sei, allein es scheine nur so, die Beamten möchten sich dadurch, nicht irre
machen lassen, sie dürften vollkommen sicher sein, daß sie sich nicht im Ge¬
ringsten mißliebig machten, wenn sie im Gegentheil gegen die Wahl eines
„Preußen" agitirlen. In der That, das sicherste war das jedenfalls, denn man
hat nie gehört, daß ein Beamter sich dadurch, daß er die Preußen allzulebhaft
bekämpfte, einen leisen Tadel aus dem Ministerhotel zugezogen hätte. An
Beispielen der entgegengesetzten Gattung aber hat es nicht gefehlt, besonders
im Departement des Herrn v. Golther. Und es ist Thatsache, daß diese ein¬
flußreiche Bevölkerungsclasse, die vor zwei Jahren vom „Beobachter" in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/268>, abgerufen am 24.08.2024.