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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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auffallende Geschicklichkeit und Rührigkeit von der antinationalen Seite wird
man dafür verantwortlich machen dürfen. Denn diesen Agitationen der
Parteien ist doch nur ein verhältnißmäßig kleiner Bruchtheil der Bevölkerung
zugänglich. Die Menge gehorcht dem Gesetz der Schwere, und so liegt denn
der Grund vielmehr in der natürlichen Trägheit der großen Masse, die durch
keine äußeren Ereignisse zu Entschluß und Selbstbestimmung genöthigt, es
am bequemsten findet, sich an die Situation zu halten, wie sie bei dem letzten
entscheidenden Zusammenstoß der Parteien -- und das waren eben die Zoll-
parlamentswahlen -- sich gestaltet hat. Damals hat das jetzt lebende Geschlecht
seine politische Stellung genommen, und dabei wird es zunächst bleiben.
Der Schwabe wäre mit Unrecht um seines harten Kopfes willen berühmt,
wenn schon nach einer Frist von ein oder zwei Jahren, ohne daß ein großer
Anstoß von außen seinen Gleichmuth erschütterte, eine erhebliche Aenderung
seines Sinnes zu constatiren wäre. Das läßt er sich schon gar nicht nach¬
sagen. Er hat damals im Frühjahr 1868 die Sache gründlich genommen,
und jetzt bleibt's dabei.

Was seitdem an politischer Action im eigenen Lande sich abspielte, trug
zu sehr den Charakter der Halbheit und Zweideutigkeit, um die Situation
zu verändern. Man wußte niemals recht, wie man daran war; heute blies
der Wind ein wenig von dieser, morgen ein wenig von jener Seite, daraus
war nicht klug zu werden, und wie der Muster'sche Student, um dem ver-
wirrrenden Anblick der tanzenden Häuser und des schiefgezogenen Mond¬
gesichts zu entgehen, sich kurz zu dem Entschluß resolvirt: "Da geh
ich lieber in's Wirthshaus zurück", so glaubte das schwäbische Volk,
beirrt durch die rasch wechselnden Nuancen der officiellen Politik,
jedesmal am sichersten zu gehen, wenn es zurückkehrte zu jener klaren For-
mulirung der Parteigegensätze, die ihm am tiefsten in's Gedächtniß geprägt
war. Damals hatte es geheißen: "Es darf kein Preuße gewählt werden";
das war verständlich. Damals hatte das Volk gesehen, wie die Regierung
mit den Männern der Demokratie einträchtig Arm in Arm wandelte, so daß
man im Zweifel sein konnte, wo denn eigentlich der Sitz der Regierung sich
befinde, in den Ministerien oder im Redactionslocal des "Beobachters". Das
hatte ja auch der zugleich höchst unterwürfigen und auf ihren eingebil¬
deten Freiheitssinn nicht wenig stolzen Eigenart dieses Volksstammes unend¬
lich geschmeichelt, daß man jetzt zugleich höchst loyal und zugleich ein feuriger
Bewunderer des "Beobachters" sein konnte. War doch selbst der Hos nahe
daran, eine Hauptstütze in dem einst so gefürchteten Blatte zu finden, das
jetzt die Güte des Königs und die Schönheit der Königin so be¬
weglich zu preisen wußte. Der Revisor und der Registrator brauchten
das gefährliche Blatt, an dem sie sich bisher heimlich ergötzt, nicht


auffallende Geschicklichkeit und Rührigkeit von der antinationalen Seite wird
man dafür verantwortlich machen dürfen. Denn diesen Agitationen der
Parteien ist doch nur ein verhältnißmäßig kleiner Bruchtheil der Bevölkerung
zugänglich. Die Menge gehorcht dem Gesetz der Schwere, und so liegt denn
der Grund vielmehr in der natürlichen Trägheit der großen Masse, die durch
keine äußeren Ereignisse zu Entschluß und Selbstbestimmung genöthigt, es
am bequemsten findet, sich an die Situation zu halten, wie sie bei dem letzten
entscheidenden Zusammenstoß der Parteien — und das waren eben die Zoll-
parlamentswahlen — sich gestaltet hat. Damals hat das jetzt lebende Geschlecht
seine politische Stellung genommen, und dabei wird es zunächst bleiben.
Der Schwabe wäre mit Unrecht um seines harten Kopfes willen berühmt,
wenn schon nach einer Frist von ein oder zwei Jahren, ohne daß ein großer
Anstoß von außen seinen Gleichmuth erschütterte, eine erhebliche Aenderung
seines Sinnes zu constatiren wäre. Das läßt er sich schon gar nicht nach¬
sagen. Er hat damals im Frühjahr 1868 die Sache gründlich genommen,
und jetzt bleibt's dabei.

Was seitdem an politischer Action im eigenen Lande sich abspielte, trug
zu sehr den Charakter der Halbheit und Zweideutigkeit, um die Situation
zu verändern. Man wußte niemals recht, wie man daran war; heute blies
der Wind ein wenig von dieser, morgen ein wenig von jener Seite, daraus
war nicht klug zu werden, und wie der Muster'sche Student, um dem ver-
wirrrenden Anblick der tanzenden Häuser und des schiefgezogenen Mond¬
gesichts zu entgehen, sich kurz zu dem Entschluß resolvirt: „Da geh
ich lieber in's Wirthshaus zurück", so glaubte das schwäbische Volk,
beirrt durch die rasch wechselnden Nuancen der officiellen Politik,
jedesmal am sichersten zu gehen, wenn es zurückkehrte zu jener klaren For-
mulirung der Parteigegensätze, die ihm am tiefsten in's Gedächtniß geprägt
war. Damals hatte es geheißen: „Es darf kein Preuße gewählt werden";
das war verständlich. Damals hatte das Volk gesehen, wie die Regierung
mit den Männern der Demokratie einträchtig Arm in Arm wandelte, so daß
man im Zweifel sein konnte, wo denn eigentlich der Sitz der Regierung sich
befinde, in den Ministerien oder im Redactionslocal des „Beobachters". Das
hatte ja auch der zugleich höchst unterwürfigen und auf ihren eingebil¬
deten Freiheitssinn nicht wenig stolzen Eigenart dieses Volksstammes unend¬
lich geschmeichelt, daß man jetzt zugleich höchst loyal und zugleich ein feuriger
Bewunderer des „Beobachters" sein konnte. War doch selbst der Hos nahe
daran, eine Hauptstütze in dem einst so gefürchteten Blatte zu finden, das
jetzt die Güte des Königs und die Schönheit der Königin so be¬
weglich zu preisen wußte. Der Revisor und der Registrator brauchten
das gefährliche Blatt, an dem sie sich bisher heimlich ergötzt, nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/266>, abgerufen am 24.08.2024.