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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Die gegenwärtige Münchener Ausstellung nun hätte als erste ihrer Art
in Deutschland entschieden ausgiebiger sein müssen, als sie in der That ist; wir
bescheiden uns jedoch sehr gern bei dem, was sie bietet, denn vom Standpunkte
der Kunstforschung kann man sich des Nutzens nur freuen, den die allgemeine
kunstgeschichtliche Kenntniß aus der Anschauung der Hauptwerke dieser Samm¬
lung ziehen muß. Schon der Vortheil allein, daß Holbeins bewunderungs¬
würdige Madonna auf einige Zeit aus der Dämmerung des Privatbesitzes
in das volle Licht einer öffentlichen Bilderschau versetzt worden ist, kann nicht
hoch genug angeschlagen werden. Jnstructiver freilich wäre es für das ver¬
gleichende Studium, wenn das Dresdener Gegenstück an der Seite des
Darmstädter stünde; dann würden die kritischen Streitpunkte, zu welchen die
beiden Gemälde Anlaß gegeben haben, eher ins Reine zu bringen sein, aber
es ist schon sehr viel werth, daß die competenten Leute Gelegenheit haben,
das Darmstädter Bild eingehend zu betrachten.

Höchst wichtig ist die Ausstellung ferner für die Erweiterung unserer
Kenntniß von demjenigen Entwickelungsstadium Albrecht Dürer's, wel¬
ches sein Aufenthalt in Venedig bezeichnet. Außerdem wird dem Deutschen
Publicum unseres Wissens hier zuerst der Anblick von Arbeiten des Vlam-
länders G^raro David zu Theil, eines Künstlers, dessen Name noch Geheim¬
niß war, als man seine besten Bilder schon längst classificirt und katalogisirt
hatte. Anderen Arbeiten holländischer Schule gegenüber werden wir in die
Lage versetzt, uns darüber zu entscheiden, ob Alles, was dem Van der Meer
zugeschrieben wird, von Einem Manne herrühren könne, oder ob nicht das¬
selbe Handzeichen auf verschiedene Meister hinweist.

Bezüglich Holbein's bietet uns die Ausstellung noch über anderweite
Entwickelungsstufen, als das Darmstädter Gemälde sie vertritt, lehrreichen
Forschungsstoff. In dem Epitaph des Bürgermeisters Schwarz von Augs¬
burg und der kleinen Madonna im Besitz des Herrn Pfarrer Schnitter-Hug
in Se. Gallen haben wir vielleicht die frühesten Beweisstücke seiner Kunst¬
thätigkeit vor uns, während sein vollendeterer Stil aus späterer Zeit an zwei
Bildnissen zu studiren ist, welche die Jahreszahlen 1533 und 1S41 tragen.
Daß wir mit den Bildern aus den Jahren der künstlerischen Reife Holbein's
vertrauter sind als mit seinen Jugendarbeiten, liegt nicht an der größeren
Zahl der ersteren, sondern daran, daß sie eine so große Anziehungskraft vor
jenen voraus haben. Jedenfalls aber ist es von großem Interesse, die Ent¬
wickelung des Mannes zu verfolgen. Als er die erste Unterweisung im
Handwerk der Familie erhielt, war Augsburg der Sitz einer Kunstweise, die
offenbar unter dem Einfluß der rheinischen und niederländischen stand: formal¬
religiös in der Auffassung mit starkem Zug zum Realismus und zwar zu
einem Realismus von ziemlich abstoßender Art. Mustert man das Schwarz'sche


Grenzboten IV. 1869. 3

Die gegenwärtige Münchener Ausstellung nun hätte als erste ihrer Art
in Deutschland entschieden ausgiebiger sein müssen, als sie in der That ist; wir
bescheiden uns jedoch sehr gern bei dem, was sie bietet, denn vom Standpunkte
der Kunstforschung kann man sich des Nutzens nur freuen, den die allgemeine
kunstgeschichtliche Kenntniß aus der Anschauung der Hauptwerke dieser Samm¬
lung ziehen muß. Schon der Vortheil allein, daß Holbeins bewunderungs¬
würdige Madonna auf einige Zeit aus der Dämmerung des Privatbesitzes
in das volle Licht einer öffentlichen Bilderschau versetzt worden ist, kann nicht
hoch genug angeschlagen werden. Jnstructiver freilich wäre es für das ver¬
gleichende Studium, wenn das Dresdener Gegenstück an der Seite des
Darmstädter stünde; dann würden die kritischen Streitpunkte, zu welchen die
beiden Gemälde Anlaß gegeben haben, eher ins Reine zu bringen sein, aber
es ist schon sehr viel werth, daß die competenten Leute Gelegenheit haben,
das Darmstädter Bild eingehend zu betrachten.

Höchst wichtig ist die Ausstellung ferner für die Erweiterung unserer
Kenntniß von demjenigen Entwickelungsstadium Albrecht Dürer's, wel¬
ches sein Aufenthalt in Venedig bezeichnet. Außerdem wird dem Deutschen
Publicum unseres Wissens hier zuerst der Anblick von Arbeiten des Vlam-
länders G^raro David zu Theil, eines Künstlers, dessen Name noch Geheim¬
niß war, als man seine besten Bilder schon längst classificirt und katalogisirt
hatte. Anderen Arbeiten holländischer Schule gegenüber werden wir in die
Lage versetzt, uns darüber zu entscheiden, ob Alles, was dem Van der Meer
zugeschrieben wird, von Einem Manne herrühren könne, oder ob nicht das¬
selbe Handzeichen auf verschiedene Meister hinweist.

Bezüglich Holbein's bietet uns die Ausstellung noch über anderweite
Entwickelungsstufen, als das Darmstädter Gemälde sie vertritt, lehrreichen
Forschungsstoff. In dem Epitaph des Bürgermeisters Schwarz von Augs¬
burg und der kleinen Madonna im Besitz des Herrn Pfarrer Schnitter-Hug
in Se. Gallen haben wir vielleicht die frühesten Beweisstücke seiner Kunst¬
thätigkeit vor uns, während sein vollendeterer Stil aus späterer Zeit an zwei
Bildnissen zu studiren ist, welche die Jahreszahlen 1533 und 1S41 tragen.
Daß wir mit den Bildern aus den Jahren der künstlerischen Reife Holbein's
vertrauter sind als mit seinen Jugendarbeiten, liegt nicht an der größeren
Zahl der ersteren, sondern daran, daß sie eine so große Anziehungskraft vor
jenen voraus haben. Jedenfalls aber ist es von großem Interesse, die Ent¬
wickelung des Mannes zu verfolgen. Als er die erste Unterweisung im
Handwerk der Familie erhielt, war Augsburg der Sitz einer Kunstweise, die
offenbar unter dem Einfluß der rheinischen und niederländischen stand: formal¬
religiös in der Auffassung mit starkem Zug zum Realismus und zwar zu
einem Realismus von ziemlich abstoßender Art. Mustert man das Schwarz'sche


Grenzboten IV. 1869. 3
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/25>, abgerufen am 22.07.2024.