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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Auch in Mecklenburg-Strelitz hat man bis vor wenigen Jahren von der
Vermehrung der Zahlungsfähigkeit durch Einführung eines einheitlichen
Papiergeldes sich frei zu erhalten gewußt. Erst das Project einer Eisenbahn
für die Verbindung der Residenzstadt Neustrelitz mit der übrigen Welt führte
zu diesem Auskunftsmittel, und wenn auch die Verwirklichung jenes Pro-
jectes noch nicht geglückt ist, so hat das Land in den umlaufenden "Rentei-
Cassenscheinen" wenigstens eine Erinnerung an das verfehlte Ziel seit einigen
Jahren täglich vor Augen.

Die Geschichte dieses Eisenbahnprojects ist lang und nicht ohne rührende
Momente. Dasselbe feiert in diesem Jahre bereits das fünfnndzwanzigjährige
Jubiläum seines Daseins. Denn schon auf dem Landtage von 1844 forderte
die Großherzogliche Regierung unter Hinweis auf eine Actiengesellschaft,
welche den Bau einer Eisenbahn Berlin-Neustrelitz-Stralsund beabsichtigte,
die Zustimmung der Stände zu einem Expropriattonsgesetz für diese Bahn.
Ein solches wurde damals auch wirklich vereinbart.

Aber die Actiengesellschaft verschwand wieder von der Bühne und es
dauerte lange, lange, bis sich für die Residenz Neustrelitz eine neue Aussicht
auf den Eintritt in das deutsche Eisenbahnnetz zeigte. In Mecklenburg-
Schwerin wurde in Anlehnung an die das Land durchschneidende, im
Jahre 1846 vollendete Berlin-Hamburger Bahn eine Bahn von Schwerin
nach Hagenow gebaut und am 1. Mai 1847 eröffnet. Ihr schlössen sich die
übrigen Strecken der "Mecklenburgischen Eisenbahn", Schwerin-Wismar am
12. Juli 1848. Kleinen-Rostock und Bützow-Güstrow am 13. Mai 1850 an.
Aber in der Residenz Neustrelitz mußte noch immer der Reisewagen aus dem
Schuppen gezogen und die Kraft von lebendigen Pferden benutzt werden,
wenn gereist werden sollte. Der Zustand wurde zwar etwas weniger un¬
erträglich, als endlich der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin eine Eisen¬
bahn von Güstrow bis in die strelitzische "Vorderstadt" Neubrandenburg
baute, welche am 15. November 1864 dem Verkehr übergeben ward, und als
diese dann in der Richtung auf Pasewalk weiter geführt und damit eine
Schienenstraße geschaffen wurde, welche das Strelitzer Land mit Berlin und
Stettin in Verbindung brachte. Aber für die Residenz war auch dadurch
noch wenig gesorgt, da ihre nächste Eisenbahnstation noch immer vier Meilen
entfernt lag und jede Reise von da noch immer zu Wagen angetreten und
geendigt werden mußte. Diesem Uebelstande, welcher die strelitzische Residenz
nun schon Jahrzehnte lang hinter die schwerinsche zurücksetzte, sollte und mußte
ein Ziel gesetzt werden.

Inzwischen war in Berlin ein Project aufgetaucht, welches den Bau
einer Eisenbahn von dort über Neustrelitz riach Stralsund zum Gegenstande
hatte. Eine Gesellschaft bildete sich im Jahre 1863 für diesen Zweck und


Auch in Mecklenburg-Strelitz hat man bis vor wenigen Jahren von der
Vermehrung der Zahlungsfähigkeit durch Einführung eines einheitlichen
Papiergeldes sich frei zu erhalten gewußt. Erst das Project einer Eisenbahn
für die Verbindung der Residenzstadt Neustrelitz mit der übrigen Welt führte
zu diesem Auskunftsmittel, und wenn auch die Verwirklichung jenes Pro-
jectes noch nicht geglückt ist, so hat das Land in den umlaufenden „Rentei-
Cassenscheinen" wenigstens eine Erinnerung an das verfehlte Ziel seit einigen
Jahren täglich vor Augen.

Die Geschichte dieses Eisenbahnprojects ist lang und nicht ohne rührende
Momente. Dasselbe feiert in diesem Jahre bereits das fünfnndzwanzigjährige
Jubiläum seines Daseins. Denn schon auf dem Landtage von 1844 forderte
die Großherzogliche Regierung unter Hinweis auf eine Actiengesellschaft,
welche den Bau einer Eisenbahn Berlin-Neustrelitz-Stralsund beabsichtigte,
die Zustimmung der Stände zu einem Expropriattonsgesetz für diese Bahn.
Ein solches wurde damals auch wirklich vereinbart.

Aber die Actiengesellschaft verschwand wieder von der Bühne und es
dauerte lange, lange, bis sich für die Residenz Neustrelitz eine neue Aussicht
auf den Eintritt in das deutsche Eisenbahnnetz zeigte. In Mecklenburg-
Schwerin wurde in Anlehnung an die das Land durchschneidende, im
Jahre 1846 vollendete Berlin-Hamburger Bahn eine Bahn von Schwerin
nach Hagenow gebaut und am 1. Mai 1847 eröffnet. Ihr schlössen sich die
übrigen Strecken der „Mecklenburgischen Eisenbahn", Schwerin-Wismar am
12. Juli 1848. Kleinen-Rostock und Bützow-Güstrow am 13. Mai 1850 an.
Aber in der Residenz Neustrelitz mußte noch immer der Reisewagen aus dem
Schuppen gezogen und die Kraft von lebendigen Pferden benutzt werden,
wenn gereist werden sollte. Der Zustand wurde zwar etwas weniger un¬
erträglich, als endlich der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin eine Eisen¬
bahn von Güstrow bis in die strelitzische „Vorderstadt" Neubrandenburg
baute, welche am 15. November 1864 dem Verkehr übergeben ward, und als
diese dann in der Richtung auf Pasewalk weiter geführt und damit eine
Schienenstraße geschaffen wurde, welche das Strelitzer Land mit Berlin und
Stettin in Verbindung brachte. Aber für die Residenz war auch dadurch
noch wenig gesorgt, da ihre nächste Eisenbahnstation noch immer vier Meilen
entfernt lag und jede Reise von da noch immer zu Wagen angetreten und
geendigt werden mußte. Diesem Uebelstande, welcher die strelitzische Residenz
nun schon Jahrzehnte lang hinter die schwerinsche zurücksetzte, sollte und mußte
ein Ziel gesetzt werden.

Inzwischen war in Berlin ein Project aufgetaucht, welches den Bau
einer Eisenbahn von dort über Neustrelitz riach Stralsund zum Gegenstande
hatte. Eine Gesellschaft bildete sich im Jahre 1863 für diesen Zweck und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/240>, abgerufen am 15.01.2025.