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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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"Bei seiner Rückkehr aus dem Ural wurde Humboldt in einer feierlichen
Sitzung der bei der Universität bestehenden naturforschenden Gesellschaft em¬
pfangen; zu dieser Gesellschaft gehörten verschiedene Senateure, Gouverneure:c.
-- kurz Leute, die sich niemals mit Naturwissenschaften oder überhaupt mit
Wissenschaften beschäftigt hatten. Der Ruhm Humboldt's, des Geheimraths
Sr. Majestät von Preußen, dem der Kaiser den Annenstern unter ausdrück¬
lichen Nachlaß der Gebühren sür Decoration und Diplom verliehen hatte,
war auch zu ihnen gedrungen und sie beschlossen, sich vor dem Mann in den
Staub zu werfen, der den Chimborasso bestiegen und in Sanssouci gewohnt
hatte.

Die Sache wurde sehr ernst genommen. Der General-Gouverneur, die
Militär- und Civilwürdenträger erschienen mit großen Ordensbändern ge¬
schmückt in Gallaurnform. die Professoren schritten, kriegerisch mit ihren Degen
ausgeschmückt und die Dreimaster unter dem Arm einher. Humboldt, der
nichts davon geahnt hatte, erschien im blauen Frack mit goldenen Knöpfen
und war natürlich höchst bestürzt. Von der Treppe bis zudem Saal, in wel¬
chem die Naturforscher sich versammelten, waren Sitze angebracht; hier stand
der Rector, dort der Decem, links ein Professor, der sich am Anfang seiner
Laufbahn befand, rechts ein Veteran, der seine Carriere geschlossen hatte und
wahrscheinlich darum sehr langsam sprach -- Jeder hielt ihm eine Bewill-
kommnungsrede, bald deutsch, bald lateinisch, bald französisch und Alles das
in den abscheulichen Löchern von Corridoren, in denen man sich nicht eine
Minute lang aushalten konnte, ohne sich für Monate zu erkälten. Humboldt
hörte all' diese Haranguen mit entblößtem Haupte an und beantwortete jede
derselben -- ich glaub' all die wilden farbigen und halbfarbigen Völker,
unter denen er sich aufgehalten, haben ihm nicht so viel Unannehmlichkeiten
verursacht, wie die Feierlichkeiten dieses Moskaner Empfangs.

Als Humboldt in den Saal trat und daselbst Platz nahm, mußte sich
Alles erheben. Der Curator der Universität, Pissarew, hielt es sür noth¬
wendig, eine Art von Tagesbefehl über die Verdienste Sr. Excellenz des
großen Reisenden in russischer Sprache zu verlesen. Dann verlas Sergey
Glinka mit seiner heiseren Soldatenstimme von 1812 sein Gedicht, das mit
den pathetischen Worten


Humbolät, ?r0in6tQ6e as nos ^ours!

anfing.

Und Humboldt hatte doch die Absicht gehabt, seine Beobachtungen über
die Magnetnadel zu discutiren, seine im Ural gemachten meteorologischen
Untersuchungen mit denen der Moskaner Gelehrten auszutauschen! Statt
dessen mußte er ein Geflecht aus den Allerhöchsten Haaren Peters des Großen
in Augenschein nehmen, das der Rector ihm zeigte. Nur mit genauer Noth


„Bei seiner Rückkehr aus dem Ural wurde Humboldt in einer feierlichen
Sitzung der bei der Universität bestehenden naturforschenden Gesellschaft em¬
pfangen; zu dieser Gesellschaft gehörten verschiedene Senateure, Gouverneure:c.
— kurz Leute, die sich niemals mit Naturwissenschaften oder überhaupt mit
Wissenschaften beschäftigt hatten. Der Ruhm Humboldt's, des Geheimraths
Sr. Majestät von Preußen, dem der Kaiser den Annenstern unter ausdrück¬
lichen Nachlaß der Gebühren sür Decoration und Diplom verliehen hatte,
war auch zu ihnen gedrungen und sie beschlossen, sich vor dem Mann in den
Staub zu werfen, der den Chimborasso bestiegen und in Sanssouci gewohnt
hatte.

Die Sache wurde sehr ernst genommen. Der General-Gouverneur, die
Militär- und Civilwürdenträger erschienen mit großen Ordensbändern ge¬
schmückt in Gallaurnform. die Professoren schritten, kriegerisch mit ihren Degen
ausgeschmückt und die Dreimaster unter dem Arm einher. Humboldt, der
nichts davon geahnt hatte, erschien im blauen Frack mit goldenen Knöpfen
und war natürlich höchst bestürzt. Von der Treppe bis zudem Saal, in wel¬
chem die Naturforscher sich versammelten, waren Sitze angebracht; hier stand
der Rector, dort der Decem, links ein Professor, der sich am Anfang seiner
Laufbahn befand, rechts ein Veteran, der seine Carriere geschlossen hatte und
wahrscheinlich darum sehr langsam sprach — Jeder hielt ihm eine Bewill-
kommnungsrede, bald deutsch, bald lateinisch, bald französisch und Alles das
in den abscheulichen Löchern von Corridoren, in denen man sich nicht eine
Minute lang aushalten konnte, ohne sich für Monate zu erkälten. Humboldt
hörte all' diese Haranguen mit entblößtem Haupte an und beantwortete jede
derselben — ich glaub' all die wilden farbigen und halbfarbigen Völker,
unter denen er sich aufgehalten, haben ihm nicht so viel Unannehmlichkeiten
verursacht, wie die Feierlichkeiten dieses Moskaner Empfangs.

Als Humboldt in den Saal trat und daselbst Platz nahm, mußte sich
Alles erheben. Der Curator der Universität, Pissarew, hielt es sür noth¬
wendig, eine Art von Tagesbefehl über die Verdienste Sr. Excellenz des
großen Reisenden in russischer Sprache zu verlesen. Dann verlas Sergey
Glinka mit seiner heiseren Soldatenstimme von 1812 sein Gedicht, das mit
den pathetischen Worten


Humbolät, ?r0in6tQ6e as nos ^ours!

anfing.

Und Humboldt hatte doch die Absicht gehabt, seine Beobachtungen über
die Magnetnadel zu discutiren, seine im Ural gemachten meteorologischen
Untersuchungen mit denen der Moskaner Gelehrten auszutauschen! Statt
dessen mußte er ein Geflecht aus den Allerhöchsten Haaren Peters des Großen
in Augenschein nehmen, das der Rector ihm zeigte. Nur mit genauer Noth


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[0238] „Bei seiner Rückkehr aus dem Ural wurde Humboldt in einer feierlichen Sitzung der bei der Universität bestehenden naturforschenden Gesellschaft em¬ pfangen; zu dieser Gesellschaft gehörten verschiedene Senateure, Gouverneure:c. — kurz Leute, die sich niemals mit Naturwissenschaften oder überhaupt mit Wissenschaften beschäftigt hatten. Der Ruhm Humboldt's, des Geheimraths Sr. Majestät von Preußen, dem der Kaiser den Annenstern unter ausdrück¬ lichen Nachlaß der Gebühren sür Decoration und Diplom verliehen hatte, war auch zu ihnen gedrungen und sie beschlossen, sich vor dem Mann in den Staub zu werfen, der den Chimborasso bestiegen und in Sanssouci gewohnt hatte. Die Sache wurde sehr ernst genommen. Der General-Gouverneur, die Militär- und Civilwürdenträger erschienen mit großen Ordensbändern ge¬ schmückt in Gallaurnform. die Professoren schritten, kriegerisch mit ihren Degen ausgeschmückt und die Dreimaster unter dem Arm einher. Humboldt, der nichts davon geahnt hatte, erschien im blauen Frack mit goldenen Knöpfen und war natürlich höchst bestürzt. Von der Treppe bis zudem Saal, in wel¬ chem die Naturforscher sich versammelten, waren Sitze angebracht; hier stand der Rector, dort der Decem, links ein Professor, der sich am Anfang seiner Laufbahn befand, rechts ein Veteran, der seine Carriere geschlossen hatte und wahrscheinlich darum sehr langsam sprach — Jeder hielt ihm eine Bewill- kommnungsrede, bald deutsch, bald lateinisch, bald französisch und Alles das in den abscheulichen Löchern von Corridoren, in denen man sich nicht eine Minute lang aushalten konnte, ohne sich für Monate zu erkälten. Humboldt hörte all' diese Haranguen mit entblößtem Haupte an und beantwortete jede derselben — ich glaub' all die wilden farbigen und halbfarbigen Völker, unter denen er sich aufgehalten, haben ihm nicht so viel Unannehmlichkeiten verursacht, wie die Feierlichkeiten dieses Moskaner Empfangs. Als Humboldt in den Saal trat und daselbst Platz nahm, mußte sich Alles erheben. Der Curator der Universität, Pissarew, hielt es sür noth¬ wendig, eine Art von Tagesbefehl über die Verdienste Sr. Excellenz des großen Reisenden in russischer Sprache zu verlesen. Dann verlas Sergey Glinka mit seiner heiseren Soldatenstimme von 1812 sein Gedicht, das mit den pathetischen Worten Humbolät, ?r0in6tQ6e as nos ^ours! anfing. Und Humboldt hatte doch die Absicht gehabt, seine Beobachtungen über die Magnetnadel zu discutiren, seine im Ural gemachten meteorologischen Untersuchungen mit denen der Moskaner Gelehrten auszutauschen! Statt dessen mußte er ein Geflecht aus den Allerhöchsten Haaren Peters des Großen in Augenschein nehmen, das der Rector ihm zeigte. Nur mit genauer Noth

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/238>, abgerufen am 22.07.2024.