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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Dichterleben sich erwärmen; kam vollends sein Kunstsinn mit in das Spiel,
so durfte man überzeugt sein, daß er sich von jenem nicht mehr lossagen,
ihn vielmehr fortan stetig im Auge behalten werde. So ging es ihm mit
seinen Goethestudien. Als Jahr 1843 den Vortrag über "Iphigenia auf
Tauris" hielt, dachte er wohl selbst nicht daran, daß die Herausgabe der
Briefe Goethe's an Christian Gottlob von Voigt seine Goethearbeiten be¬
schließen werde. Goethe's Iphigenie stand mit Jahn's eigensten Gedanken¬
kreise in enger Beziehung. Ist doch, was der Kunst, der hellenischen Kunst
ihren eigenthümlichen Character gegeben hat und was Goethe's eigener dich¬
terischen Natur wesentlich war, das Maaß hier am reinsten abgespiegelt. Mit
großer Freiheit legte Jahr auseinander, was die moderne Weltanschauung
von der Antike scheidet, in welcher Weise antike Sagenstoffe noch in unserer
Kunst verwendet werden können, und wodurch es Goethe, dem auch sonst die
Palingenesie der antiken Mythen wie keinem Dichter gelang, zu Wege brachte,
daß sein so wesentlich auf moderne Anschauungsweise begründetes Drama
uns doch so ganz in das Alterthum zu versetzen scheine. Seitdem hielt er
treu zur Goethegemeinde. Er verfolgte nicht nur mit der größten Theilnahme
alle Goetheforschungen, sondern trug auch nach Kräften zur Verbreitung ge¬
diegener Goethekenntniß bei. Der Säcularfeier 1849 verdanken wir die
lebendige Schilderung Goethe's in Leipzig, den Briefwechsel Goethe's mit
Leipziger Freunden; Hirzel's, des lieben Freundes und bei allen Goethestudien
bewährten Genossen, Geburtstag 1855 gab Anlaß, die Briefe der Frau Rath
"an ihre lieben Enkeleins" bekannt zu machen und auch sonst bot sich mannig
fache Gelegenheit, Großes und Kleines aus verborgenen Goetheschätzen mit¬
zutheilen. Bekanntlich war Jahr ursprünglich auch mit der Herausgabe der
Briefe Goethe's an Friedrich August Wolf betraut gewesen. Für den er-
fahrenen und erprobten Goethekenner hatte denn auch die Aufgabe nichts
Befremdendes, Goethe auch in seinem amtlichen Verkehr uns vorzuführen.
Anfangs fürchtete er zwar, daß er sich in dem ihm allerdings fern liegenden
Gebiete nicht zurecht finden werde: seine gelehrte Geduld, seine Forscherlust
überwanden aber alle Schwierigkeiten und bald entdeckte er den lichten Punkt
und freute sich, durch die Veröffentlichung der Briefe Goethes an Voigt zeigen
zu können, daß auch durch Goethe's Geschäftsverkehr der Pulsschlag herzlicher
Empfindung geht und ihm warmes Leben verleiht. "Der gute edle Mensch
offenbart sich hier in neuen, eigentlich schönen Zügen."

Diese vielseitige Betriebsamkeit hätte ihn an sich von der Bollendung
seiner großen literarischen Pläne nicht abgehalten, die nothwendige Zeit dazu
hätte der Mann, der Leben und Arbeiten immer verwechselte, schon gesunden.
Er sagte aber selbst: "Bausteine kann ich in jeder Gemüthsverfassung herbei¬
schleppen, um den Bau selbst auszuführen, dazu athme und empfinde ich nicht


27"

Dichterleben sich erwärmen; kam vollends sein Kunstsinn mit in das Spiel,
so durfte man überzeugt sein, daß er sich von jenem nicht mehr lossagen,
ihn vielmehr fortan stetig im Auge behalten werde. So ging es ihm mit
seinen Goethestudien. Als Jahr 1843 den Vortrag über „Iphigenia auf
Tauris" hielt, dachte er wohl selbst nicht daran, daß die Herausgabe der
Briefe Goethe's an Christian Gottlob von Voigt seine Goethearbeiten be¬
schließen werde. Goethe's Iphigenie stand mit Jahn's eigensten Gedanken¬
kreise in enger Beziehung. Ist doch, was der Kunst, der hellenischen Kunst
ihren eigenthümlichen Character gegeben hat und was Goethe's eigener dich¬
terischen Natur wesentlich war, das Maaß hier am reinsten abgespiegelt. Mit
großer Freiheit legte Jahr auseinander, was die moderne Weltanschauung
von der Antike scheidet, in welcher Weise antike Sagenstoffe noch in unserer
Kunst verwendet werden können, und wodurch es Goethe, dem auch sonst die
Palingenesie der antiken Mythen wie keinem Dichter gelang, zu Wege brachte,
daß sein so wesentlich auf moderne Anschauungsweise begründetes Drama
uns doch so ganz in das Alterthum zu versetzen scheine. Seitdem hielt er
treu zur Goethegemeinde. Er verfolgte nicht nur mit der größten Theilnahme
alle Goetheforschungen, sondern trug auch nach Kräften zur Verbreitung ge¬
diegener Goethekenntniß bei. Der Säcularfeier 1849 verdanken wir die
lebendige Schilderung Goethe's in Leipzig, den Briefwechsel Goethe's mit
Leipziger Freunden; Hirzel's, des lieben Freundes und bei allen Goethestudien
bewährten Genossen, Geburtstag 1855 gab Anlaß, die Briefe der Frau Rath
„an ihre lieben Enkeleins" bekannt zu machen und auch sonst bot sich mannig
fache Gelegenheit, Großes und Kleines aus verborgenen Goetheschätzen mit¬
zutheilen. Bekanntlich war Jahr ursprünglich auch mit der Herausgabe der
Briefe Goethe's an Friedrich August Wolf betraut gewesen. Für den er-
fahrenen und erprobten Goethekenner hatte denn auch die Aufgabe nichts
Befremdendes, Goethe auch in seinem amtlichen Verkehr uns vorzuführen.
Anfangs fürchtete er zwar, daß er sich in dem ihm allerdings fern liegenden
Gebiete nicht zurecht finden werde: seine gelehrte Geduld, seine Forscherlust
überwanden aber alle Schwierigkeiten und bald entdeckte er den lichten Punkt
und freute sich, durch die Veröffentlichung der Briefe Goethes an Voigt zeigen
zu können, daß auch durch Goethe's Geschäftsverkehr der Pulsschlag herzlicher
Empfindung geht und ihm warmes Leben verleiht. „Der gute edle Mensch
offenbart sich hier in neuen, eigentlich schönen Zügen."

Diese vielseitige Betriebsamkeit hätte ihn an sich von der Bollendung
seiner großen literarischen Pläne nicht abgehalten, die nothwendige Zeit dazu
hätte der Mann, der Leben und Arbeiten immer verwechselte, schon gesunden.
Er sagte aber selbst: „Bausteine kann ich in jeder Gemüthsverfassung herbei¬
schleppen, um den Bau selbst auszuführen, dazu athme und empfinde ich nicht


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[0219] Dichterleben sich erwärmen; kam vollends sein Kunstsinn mit in das Spiel, so durfte man überzeugt sein, daß er sich von jenem nicht mehr lossagen, ihn vielmehr fortan stetig im Auge behalten werde. So ging es ihm mit seinen Goethestudien. Als Jahr 1843 den Vortrag über „Iphigenia auf Tauris" hielt, dachte er wohl selbst nicht daran, daß die Herausgabe der Briefe Goethe's an Christian Gottlob von Voigt seine Goethearbeiten be¬ schließen werde. Goethe's Iphigenie stand mit Jahn's eigensten Gedanken¬ kreise in enger Beziehung. Ist doch, was der Kunst, der hellenischen Kunst ihren eigenthümlichen Character gegeben hat und was Goethe's eigener dich¬ terischen Natur wesentlich war, das Maaß hier am reinsten abgespiegelt. Mit großer Freiheit legte Jahr auseinander, was die moderne Weltanschauung von der Antike scheidet, in welcher Weise antike Sagenstoffe noch in unserer Kunst verwendet werden können, und wodurch es Goethe, dem auch sonst die Palingenesie der antiken Mythen wie keinem Dichter gelang, zu Wege brachte, daß sein so wesentlich auf moderne Anschauungsweise begründetes Drama uns doch so ganz in das Alterthum zu versetzen scheine. Seitdem hielt er treu zur Goethegemeinde. Er verfolgte nicht nur mit der größten Theilnahme alle Goetheforschungen, sondern trug auch nach Kräften zur Verbreitung ge¬ diegener Goethekenntniß bei. Der Säcularfeier 1849 verdanken wir die lebendige Schilderung Goethe's in Leipzig, den Briefwechsel Goethe's mit Leipziger Freunden; Hirzel's, des lieben Freundes und bei allen Goethestudien bewährten Genossen, Geburtstag 1855 gab Anlaß, die Briefe der Frau Rath „an ihre lieben Enkeleins" bekannt zu machen und auch sonst bot sich mannig fache Gelegenheit, Großes und Kleines aus verborgenen Goetheschätzen mit¬ zutheilen. Bekanntlich war Jahr ursprünglich auch mit der Herausgabe der Briefe Goethe's an Friedrich August Wolf betraut gewesen. Für den er- fahrenen und erprobten Goethekenner hatte denn auch die Aufgabe nichts Befremdendes, Goethe auch in seinem amtlichen Verkehr uns vorzuführen. Anfangs fürchtete er zwar, daß er sich in dem ihm allerdings fern liegenden Gebiete nicht zurecht finden werde: seine gelehrte Geduld, seine Forscherlust überwanden aber alle Schwierigkeiten und bald entdeckte er den lichten Punkt und freute sich, durch die Veröffentlichung der Briefe Goethes an Voigt zeigen zu können, daß auch durch Goethe's Geschäftsverkehr der Pulsschlag herzlicher Empfindung geht und ihm warmes Leben verleiht. „Der gute edle Mensch offenbart sich hier in neuen, eigentlich schönen Zügen." Diese vielseitige Betriebsamkeit hätte ihn an sich von der Bollendung seiner großen literarischen Pläne nicht abgehalten, die nothwendige Zeit dazu hätte der Mann, der Leben und Arbeiten immer verwechselte, schon gesunden. Er sagte aber selbst: „Bausteine kann ich in jeder Gemüthsverfassung herbei¬ schleppen, um den Bau selbst auszuführen, dazu athme und empfinde ich nicht 27"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/219>, abgerufen am 22.07.2024.