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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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bewies, die mit der maßlosen Leidenschaftlichkeit, die dieser Kirchenfürst
sonst bewiesen, seltsam contrastirt -- das will in dem heutigen Frankreich
etwas sagen. Auch hier haben die Kreise, welche religiösen Interessen nicht
ganz abgestorben sind, in der bedingungslosen Unterwürfigkeit unter das
ausschließliche Kirchenthum der herrschenden Partei bisher die einzige Rettung
zu finden geglaubt.

In Spanien beginnt sich das Geschick zu vollziehen, das diesem Lande
schon beim Beginn des Sommers mit Sicherheit vorhergesagt werden konnte.
Der erste Versuch, den die Regierung und deren parlamentarischer Anhang
machten, um die zwölf Monate lang verzögerte Frage nach der Besetzung
des Throns zum Austrag zu bringen und die decretirte monarchische Form
des Staates endlich zur Wahrheit werden zu lassen, ist von den Republika¬
nern mit einem Aufstande beantwortet worden, der durch eine über die
größeren Städte verzweigte Liga längst verbreitet gewesen war und dem vor¬
zubeugen, weder der Regent noch sein Cabinet den Muth gehabt hatten.
Den Aufstand haben die Generale, welche Jsabella der Zweiten traurige
Erbschaft antraten, mit Hilfe der Armee niederzuwerfen vermocht, die Her¬
stellung einer dauernden Ordnung der Dinge wird ihnen ebenso wenig mög¬
lich sein, wie ihren Soldaten. Die republikanische Partei in den Cortes
war beim Beginn der Emeute, die in Valencia zu einer förmlichen Straßen¬
schlacht geführt hat, aus der gesetzgebenden Versammlung geschieden, siebzehn
ihrer bekanntesten Führer hatten sich an die Spitze der Erhebung gestellt,
welche die Minorität im Namen der Volkssouveränität gegen die Herrschaft
der parlamentarischen Mehrheit versuchte. Dadurch ist die Versammlung der
Cortes zu einem Rumpfparlament geworden, welches den Gegnern zu Ver¬
weigerung des Gehorsams gegen seine Beschlüsse Vorwand leiht und außer¬
dem unter dem Druck des Mißtrauens gegen die eigene Autorität steht. --
Die Revolution ist für den Augenblick geschlagen, aber sie kann und wird
wieder auf die Füße kommen; die republikanischen Flüchtlinge haben an der
portugiesischen Grenze, in den Gebirgsschluchten des Südens und in Gibraltar
Schlupfwinkel gefunden und wenn der erste Eifer der Verfolgung nachgelassen
hat, werden sie aus demselben hervortreten, um das Werk der Zerstörung
von Neuem aufzunehmen.

Die mit Abneigung gemischte Gleichgiltigkeit, welche die Spanier gegen¬
über der Throncandidatur des unmündigen Prinzen Thomas Albert von Genua
bewiesen, hat der Regentschaft die Freude an dieser neuen Entdeckungso rasch
und so vollständig verdorben, daß dieselbe allen gemachten Erfahrungen
zum Trotz aufs Neue den Versuch gemacht hat, einen der beiden portugie¬
sischen Könige -- Vater oder Sohn -- zur Annahme der spanischen Krone


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bewies, die mit der maßlosen Leidenschaftlichkeit, die dieser Kirchenfürst
sonst bewiesen, seltsam contrastirt — das will in dem heutigen Frankreich
etwas sagen. Auch hier haben die Kreise, welche religiösen Interessen nicht
ganz abgestorben sind, in der bedingungslosen Unterwürfigkeit unter das
ausschließliche Kirchenthum der herrschenden Partei bisher die einzige Rettung
zu finden geglaubt.

In Spanien beginnt sich das Geschick zu vollziehen, das diesem Lande
schon beim Beginn des Sommers mit Sicherheit vorhergesagt werden konnte.
Der erste Versuch, den die Regierung und deren parlamentarischer Anhang
machten, um die zwölf Monate lang verzögerte Frage nach der Besetzung
des Throns zum Austrag zu bringen und die decretirte monarchische Form
des Staates endlich zur Wahrheit werden zu lassen, ist von den Republika¬
nern mit einem Aufstande beantwortet worden, der durch eine über die
größeren Städte verzweigte Liga längst verbreitet gewesen war und dem vor¬
zubeugen, weder der Regent noch sein Cabinet den Muth gehabt hatten.
Den Aufstand haben die Generale, welche Jsabella der Zweiten traurige
Erbschaft antraten, mit Hilfe der Armee niederzuwerfen vermocht, die Her¬
stellung einer dauernden Ordnung der Dinge wird ihnen ebenso wenig mög¬
lich sein, wie ihren Soldaten. Die republikanische Partei in den Cortes
war beim Beginn der Emeute, die in Valencia zu einer förmlichen Straßen¬
schlacht geführt hat, aus der gesetzgebenden Versammlung geschieden, siebzehn
ihrer bekanntesten Führer hatten sich an die Spitze der Erhebung gestellt,
welche die Minorität im Namen der Volkssouveränität gegen die Herrschaft
der parlamentarischen Mehrheit versuchte. Dadurch ist die Versammlung der
Cortes zu einem Rumpfparlament geworden, welches den Gegnern zu Ver¬
weigerung des Gehorsams gegen seine Beschlüsse Vorwand leiht und außer¬
dem unter dem Druck des Mißtrauens gegen die eigene Autorität steht. —
Die Revolution ist für den Augenblick geschlagen, aber sie kann und wird
wieder auf die Füße kommen; die republikanischen Flüchtlinge haben an der
portugiesischen Grenze, in den Gebirgsschluchten des Südens und in Gibraltar
Schlupfwinkel gefunden und wenn der erste Eifer der Verfolgung nachgelassen
hat, werden sie aus demselben hervortreten, um das Werk der Zerstörung
von Neuem aufzunehmen.

Die mit Abneigung gemischte Gleichgiltigkeit, welche die Spanier gegen¬
über der Throncandidatur des unmündigen Prinzen Thomas Albert von Genua
bewiesen, hat der Regentschaft die Freude an dieser neuen Entdeckungso rasch
und so vollständig verdorben, daß dieselbe allen gemachten Erfahrungen
zum Trotz aufs Neue den Versuch gemacht hat, einen der beiden portugie¬
sischen Könige — Vater oder Sohn — zur Annahme der spanischen Krone


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[0203] bewies, die mit der maßlosen Leidenschaftlichkeit, die dieser Kirchenfürst sonst bewiesen, seltsam contrastirt — das will in dem heutigen Frankreich etwas sagen. Auch hier haben die Kreise, welche religiösen Interessen nicht ganz abgestorben sind, in der bedingungslosen Unterwürfigkeit unter das ausschließliche Kirchenthum der herrschenden Partei bisher die einzige Rettung zu finden geglaubt. In Spanien beginnt sich das Geschick zu vollziehen, das diesem Lande schon beim Beginn des Sommers mit Sicherheit vorhergesagt werden konnte. Der erste Versuch, den die Regierung und deren parlamentarischer Anhang machten, um die zwölf Monate lang verzögerte Frage nach der Besetzung des Throns zum Austrag zu bringen und die decretirte monarchische Form des Staates endlich zur Wahrheit werden zu lassen, ist von den Republika¬ nern mit einem Aufstande beantwortet worden, der durch eine über die größeren Städte verzweigte Liga längst verbreitet gewesen war und dem vor¬ zubeugen, weder der Regent noch sein Cabinet den Muth gehabt hatten. Den Aufstand haben die Generale, welche Jsabella der Zweiten traurige Erbschaft antraten, mit Hilfe der Armee niederzuwerfen vermocht, die Her¬ stellung einer dauernden Ordnung der Dinge wird ihnen ebenso wenig mög¬ lich sein, wie ihren Soldaten. Die republikanische Partei in den Cortes war beim Beginn der Emeute, die in Valencia zu einer förmlichen Straßen¬ schlacht geführt hat, aus der gesetzgebenden Versammlung geschieden, siebzehn ihrer bekanntesten Führer hatten sich an die Spitze der Erhebung gestellt, welche die Minorität im Namen der Volkssouveränität gegen die Herrschaft der parlamentarischen Mehrheit versuchte. Dadurch ist die Versammlung der Cortes zu einem Rumpfparlament geworden, welches den Gegnern zu Ver¬ weigerung des Gehorsams gegen seine Beschlüsse Vorwand leiht und außer¬ dem unter dem Druck des Mißtrauens gegen die eigene Autorität steht. — Die Revolution ist für den Augenblick geschlagen, aber sie kann und wird wieder auf die Füße kommen; die republikanischen Flüchtlinge haben an der portugiesischen Grenze, in den Gebirgsschluchten des Südens und in Gibraltar Schlupfwinkel gefunden und wenn der erste Eifer der Verfolgung nachgelassen hat, werden sie aus demselben hervortreten, um das Werk der Zerstörung von Neuem aufzunehmen. Die mit Abneigung gemischte Gleichgiltigkeit, welche die Spanier gegen¬ über der Throncandidatur des unmündigen Prinzen Thomas Albert von Genua bewiesen, hat der Regentschaft die Freude an dieser neuen Entdeckungso rasch und so vollständig verdorben, daß dieselbe allen gemachten Erfahrungen zum Trotz aufs Neue den Versuch gemacht hat, einen der beiden portugie¬ sischen Könige — Vater oder Sohn — zur Annahme der spanischen Krone 25"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/203>, abgerufen am 22.07.2024.