Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.verachteten Nachbarn mächtig geworden sieht und wo die alte Wohlhabenheit Wenn nun auch in Deutschland der traditionelle Reichthum der Holländer, Daß sich besonders die Conservativen vor Deutschland fürchten, liegt Grenzboten IV. 1869. 24
verachteten Nachbarn mächtig geworden sieht und wo die alte Wohlhabenheit Wenn nun auch in Deutschland der traditionelle Reichthum der Holländer, Daß sich besonders die Conservativen vor Deutschland fürchten, liegt Grenzboten IV. 1869. 24
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verachteten Nachbarn mächtig geworden sieht und wo die alte Wohlhabenheit
schwindet. Das beleidigt den alten Stolz. Man hat dem Ausländer so lange
von der fabelhaften Größe des holländischen Reichthums, von der Pracht
und Ergiebigkeit seiner Colonien vorgeredet, daß man fürchtet, seine Lüstern¬
heit nach denselben erregt zu haben. Wenn der Holländer früher nach Deutsch,
land kam. so nannte er die ihm dort entgegentretende Höflichkeit knech¬
tischen Sinn und Unterwürfigkeit, weil er zu Hause an Grobheit gewöhnt war.
Jetzt sieht er. daß er den Mangel an Bildung und die Rohheit seines Volkes
für Freiheitssinn hielt, und daß zuvorkommendes Wesen noch lange keine Unter¬
würfigkeit bedeutet. Die Hauptsache aber ist: man hat so lange eine reine
Kaufmannspolitik getrieben, daß man nicht begreift, wie andere Nationen
nach höheren Zielen streben können. Aber eben eine richtige Kaufmannspolitik
könnte die Deutschen nur hindern an eine Annexion der Niederlande zu denken.
Zwar könnte ihnen der Besitz der Rheinmündungen nur erwünscht sein,, aber
eine Schuldenlast, die beinahe doppelt so groß ist, wie die preußische, ein
jährliches Deficit von wenigstes 10 Millionen, enorm hohe Steuern, wie sie
in Deutschland gänzlich unbekannt sind und die bei einem verderblichen
System doppelt schwer auf die Bevölkerung drücken, endlich eine allgemeine
Abneigung gegen Ausländer: das Alles sind unerwünschte Zugaben. Und
könnte man im günstigsten Fall auch in den Besitz der Colonien kommen,
man würde sie ausgesogen finden, und genöthigt sein, das bisherige ergie¬
bige, aber zerstörende System sofort zu ändern und das herrschende Monopol
abzuschaffen, wodurch dann wiederum eine Hilfsquelle Hollands verschwin¬
den würde.
Wenn nun auch in Deutschland der traditionelle Reichthum der Holländer,
der in Wahrheit sehr herunter gekommen ist und wirthschaftlich sehr schlecht an¬
gewandt wird, Manchen anlocken könnte, so würde ein Staatsmann, der in
die Verhältnisse genügend eingeweiht ist, doch durch denselben nicht geblendet
werden. Könnte man sich in Holland selbst entschließen, einzugestehen, daß
die materiellen Verhältnisse durchaus nicht glänzend sind, so brauchte man
sich nicht so sehr vor einem Einbruch der Nachbarn zu fürchten. Aber ein
solches Geständniß kann man von einer Nation nicht verlangen, die wesentlich
in Erinnerungen lebt.
Daß sich besonders die Conservativen vor Deutschland fürchten, liegt
vielleicht auch zum Theil in der Abneigung, die jeder Holländer vor der
Demokratie hegt. Die drüben eingeführten allgemeinen Volkswahlen sind
uns ein Gräuel; man muß aber auch gestehen, daß sie bei der hier herrschen¬
den .Unwissenheit und Verkommenheit in den unteren Klassen schlecht ange¬
bracht wären. Bei der aristokratischen Gesinnung der Holländer, die sich in
der großen Verschiedenheit und der scharfen Trennung der Stände offenbart, ist
Grenzboten IV. 1869. 24
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