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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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nächsten Reichstags-Session von einigen sachkundigen Criminalisten noch
benutzt werden, um wenigstens einige der wichtigeren Punkte, in welchen die
Bestimmungen des Entwurfes gerechte Bedenken erregen, einer näheren Prüfung
zu unterwerfen, so würden solche kritische Arbeiten jedenfalls für das Stadium
der Berathung, in welchem sie vor allem nutzbar gemacht werden müßten,
zu spät kommen.

Es scheint also, daß man der wissenschaftlichen Kritik und des Beirathes
der Practiker glaubt entrathen zu können. Oder meint man vielleicht, daß
in dieser Beziehung allen Anforderungen durch die Berathungen der jetzt in
Berlin versammelten Commission genügt sei? Schon die geringe Zahl ihrer
Mitglieder zeigt, daß es bei ihrer Zusammensetzung wohl weniger darauf
ankam, für eine möglichst vielseitige Prüfung des Entwurfs, als für einen
möglichst raschen Abschluß der Berathungen Sorge zu tragen. Aber auch
die Art ihrer Zusammensetzung mußte Aufsehen erregen. Man hätte erwarten
dürfen, in der Commission die juristischen Facultäten irgendwie vertreten zu
sehen, und daß sie völlig übergangen worden sind, mußte unvermeidlich als
ein wenig günstiges Zeugniß des Ansehens empfunden werden, dessen sich die
Bestrebungen und Leistungen der Strafrechts-Wissenschaft in den maßgebenden
Kreisen zu erfreuen haben. Es ist nun freilich eine längst bekannte That¬
sache, daß die Professoren bei den Praetikern. gewiß nicht ohne allen Grund
in dem Rufe stehen, unpractische Doktrinärs zu sein, mit denen man darum
jede gemeinsame Thätigkeit möglichst zu vermeiden sucht. Wir würden in
der Ueberzeugung, daß bei dem in Deutschland nun einmal gegebenen Ver¬
hältnisse von Theorie und Praxis, die Vertreter der Rechtswissenschaft an
ihrem Schreibtische für den Entwurf vielleicht mehr und Besseres zu leisten
vermögen, als in dem Conferenzzimmer des Justiz-Ministeriums, sehr geneigt
sein, über den gerügten Mangel in der Zusammensetzung der Commission
hinwegzusehen, wenn nur nicht durch die Eile, mit der Beginn und Fortgang
ihrer Berathungen betrieben werden, jede Möglichkeit abgeschnitten wäre,
auf die Stimmen zu achten, welche sich etwa aus dem Kreise der gelehrten
Criminalisten vernehmen lassen möchten. Aber selbst unter der Voraus¬
setzung, daß nur practische Juristen zu berufen waren, wird man sich schwer¬
lich mit der Zusammensetzung der Commission völlig einverstanden erklären
können. Die in die Commission berufenen Männer genießen ohne Ausnahme
den Ruf hervorragender Juristen und wir sind weit entfernt, diesen wohl-
verdienten Ruf irgend in Zweifel zu ziehen. Ob sie ebenso alle und ohne
Ausnahme durch ihre Antecedentien berufen erscheinen, vor allen Anderen bei
den Berathungen über ein norddeutsches Strafgesetzbuch mitzuwirken, wird
sich eher bezweifeln lassen. Vielleicht sind diese Zweifel unbegründet, aber'
es scheint uns schon ein Fehler zu sein, daß man eine Wahl traf, welch


nächsten Reichstags-Session von einigen sachkundigen Criminalisten noch
benutzt werden, um wenigstens einige der wichtigeren Punkte, in welchen die
Bestimmungen des Entwurfes gerechte Bedenken erregen, einer näheren Prüfung
zu unterwerfen, so würden solche kritische Arbeiten jedenfalls für das Stadium
der Berathung, in welchem sie vor allem nutzbar gemacht werden müßten,
zu spät kommen.

Es scheint also, daß man der wissenschaftlichen Kritik und des Beirathes
der Practiker glaubt entrathen zu können. Oder meint man vielleicht, daß
in dieser Beziehung allen Anforderungen durch die Berathungen der jetzt in
Berlin versammelten Commission genügt sei? Schon die geringe Zahl ihrer
Mitglieder zeigt, daß es bei ihrer Zusammensetzung wohl weniger darauf
ankam, für eine möglichst vielseitige Prüfung des Entwurfs, als für einen
möglichst raschen Abschluß der Berathungen Sorge zu tragen. Aber auch
die Art ihrer Zusammensetzung mußte Aufsehen erregen. Man hätte erwarten
dürfen, in der Commission die juristischen Facultäten irgendwie vertreten zu
sehen, und daß sie völlig übergangen worden sind, mußte unvermeidlich als
ein wenig günstiges Zeugniß des Ansehens empfunden werden, dessen sich die
Bestrebungen und Leistungen der Strafrechts-Wissenschaft in den maßgebenden
Kreisen zu erfreuen haben. Es ist nun freilich eine längst bekannte That¬
sache, daß die Professoren bei den Praetikern. gewiß nicht ohne allen Grund
in dem Rufe stehen, unpractische Doktrinärs zu sein, mit denen man darum
jede gemeinsame Thätigkeit möglichst zu vermeiden sucht. Wir würden in
der Ueberzeugung, daß bei dem in Deutschland nun einmal gegebenen Ver¬
hältnisse von Theorie und Praxis, die Vertreter der Rechtswissenschaft an
ihrem Schreibtische für den Entwurf vielleicht mehr und Besseres zu leisten
vermögen, als in dem Conferenzzimmer des Justiz-Ministeriums, sehr geneigt
sein, über den gerügten Mangel in der Zusammensetzung der Commission
hinwegzusehen, wenn nur nicht durch die Eile, mit der Beginn und Fortgang
ihrer Berathungen betrieben werden, jede Möglichkeit abgeschnitten wäre,
auf die Stimmen zu achten, welche sich etwa aus dem Kreise der gelehrten
Criminalisten vernehmen lassen möchten. Aber selbst unter der Voraus¬
setzung, daß nur practische Juristen zu berufen waren, wird man sich schwer¬
lich mit der Zusammensetzung der Commission völlig einverstanden erklären
können. Die in die Commission berufenen Männer genießen ohne Ausnahme
den Ruf hervorragender Juristen und wir sind weit entfernt, diesen wohl-
verdienten Ruf irgend in Zweifel zu ziehen. Ob sie ebenso alle und ohne
Ausnahme durch ihre Antecedentien berufen erscheinen, vor allen Anderen bei
den Berathungen über ein norddeutsches Strafgesetzbuch mitzuwirken, wird
sich eher bezweifeln lassen. Vielleicht sind diese Zweifel unbegründet, aber'
es scheint uns schon ein Fehler zu sein, daß man eine Wahl traf, welch


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[0188] nächsten Reichstags-Session von einigen sachkundigen Criminalisten noch benutzt werden, um wenigstens einige der wichtigeren Punkte, in welchen die Bestimmungen des Entwurfes gerechte Bedenken erregen, einer näheren Prüfung zu unterwerfen, so würden solche kritische Arbeiten jedenfalls für das Stadium der Berathung, in welchem sie vor allem nutzbar gemacht werden müßten, zu spät kommen. Es scheint also, daß man der wissenschaftlichen Kritik und des Beirathes der Practiker glaubt entrathen zu können. Oder meint man vielleicht, daß in dieser Beziehung allen Anforderungen durch die Berathungen der jetzt in Berlin versammelten Commission genügt sei? Schon die geringe Zahl ihrer Mitglieder zeigt, daß es bei ihrer Zusammensetzung wohl weniger darauf ankam, für eine möglichst vielseitige Prüfung des Entwurfs, als für einen möglichst raschen Abschluß der Berathungen Sorge zu tragen. Aber auch die Art ihrer Zusammensetzung mußte Aufsehen erregen. Man hätte erwarten dürfen, in der Commission die juristischen Facultäten irgendwie vertreten zu sehen, und daß sie völlig übergangen worden sind, mußte unvermeidlich als ein wenig günstiges Zeugniß des Ansehens empfunden werden, dessen sich die Bestrebungen und Leistungen der Strafrechts-Wissenschaft in den maßgebenden Kreisen zu erfreuen haben. Es ist nun freilich eine längst bekannte That¬ sache, daß die Professoren bei den Praetikern. gewiß nicht ohne allen Grund in dem Rufe stehen, unpractische Doktrinärs zu sein, mit denen man darum jede gemeinsame Thätigkeit möglichst zu vermeiden sucht. Wir würden in der Ueberzeugung, daß bei dem in Deutschland nun einmal gegebenen Ver¬ hältnisse von Theorie und Praxis, die Vertreter der Rechtswissenschaft an ihrem Schreibtische für den Entwurf vielleicht mehr und Besseres zu leisten vermögen, als in dem Conferenzzimmer des Justiz-Ministeriums, sehr geneigt sein, über den gerügten Mangel in der Zusammensetzung der Commission hinwegzusehen, wenn nur nicht durch die Eile, mit der Beginn und Fortgang ihrer Berathungen betrieben werden, jede Möglichkeit abgeschnitten wäre, auf die Stimmen zu achten, welche sich etwa aus dem Kreise der gelehrten Criminalisten vernehmen lassen möchten. Aber selbst unter der Voraus¬ setzung, daß nur practische Juristen zu berufen waren, wird man sich schwer¬ lich mit der Zusammensetzung der Commission völlig einverstanden erklären können. Die in die Commission berufenen Männer genießen ohne Ausnahme den Ruf hervorragender Juristen und wir sind weit entfernt, diesen wohl- verdienten Ruf irgend in Zweifel zu ziehen. Ob sie ebenso alle und ohne Ausnahme durch ihre Antecedentien berufen erscheinen, vor allen Anderen bei den Berathungen über ein norddeutsches Strafgesetzbuch mitzuwirken, wird sich eher bezweifeln lassen. Vielleicht sind diese Zweifel unbegründet, aber' es scheint uns schon ein Fehler zu sein, daß man eine Wahl traf, welch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/188>, abgerufen am 15.01.2025.