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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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bunten werden sollten. Zu diesem Entwurf stellte nun Peruzzi (von der
Consorterie) noch einen eingreifenden Antrag, der dahin zielte, die Provin-
zialräthe von den Präfecten unabhängig zu machen, und dadurch ein praktischer
Anfang der Decentralisation sein sollte. Aber obwohl Decentralisation hier
wie überall längst ein von allen Parteien im Munde geführtes Wort war,
so scheute man doch jetzt vor dem ersten ernsten Versuch der Verwirklichung
zurück, und nach langen fruchtlosen Verhandlungen gelang es der Linken,
einen Antrag auf Vertagung des Vorschlags durchzusetzen, was geradezu einer
Bankerotterklärung der Kammer gleich kam. Schon in diesem Augenblick
konnte der Ernst der Lage Niemand entgehen. Die Kammer hatte ihre
gänzliche Unfähigkeit bewiesen; sie hatte weder den Willen noch das Selbst¬
vertrauen, eine solche Gesetzesarbeit durchzuführen, sie wußte überhaupt nicht,
was sie wollte. Die wichtigen Fragen zu vertagen, hatte sich als ein überaus
bequemes Mittel empfohlen. Als die Verhandlungen sortgesetzt wurden und
man an den Punkt der Delegationen kam, vertagte man diesen Punkt ebenso
wie man es mit dem Antrag Peruzzi's gethan hatte, und am 12. April
wurde die Berathung des ganzen Gesetzes abgebrochen, und zwar auf den
Wunsch des Ministers Cambray-Digny, der, müde des grausamen Spiels, daran
verzweifelte, mit dieser Kammer etwas in Stand zu bringen.

Dringlicher war aber die Finanzfrage. Vielleicht, daß der Minister hier
eine günstigere Stimmung fand und auf den Resultaten des vorigen Jah¬
res fortzubauen im Stande war. Um die Abschaffung des Zwangscurses
der Banknoten herbeizuführen und das Kirchengütergeschäft in Fluß zu
bringen, hatte Cambray-Digny im März einen neuen Vertrag mit Rothschild
abzuschließen versucht, war aber gescheitert und verzichtete nunmehr auf die
Heranziehung des ausländischen Capitals. Am 21. April trat er mit einer
neuen Finanzdarlegung vor die Kammer, auf deren Grund er folgende
Operationen vorschlug: 1) sollte der Verkauf der Kirchengüter, der unter der
Initiative der italienischen Creditbank gebildeten dö,ngg. xsi dem <Zomg.nig,Il
übertragen werden, und d'ehe die Summe der noch übrigen 300 Mill, vor¬
schußweise leisten. Es waren nämlich von dem Gesammtbetrage von 400 Mill.
allmälig doch 100 Mill. Obligationen vertrieben worden; trotz der Zahlung
der Zinsen in italienischem Papiergeld hatte sich seit Cambray-Digny's Ge¬
schäftsführung der italienische Staatscredit nicht unbeträchtlich gehoben; für
die übrigen 300 Mill. aber, deren Vertrieb jetzt bei dem bis auf 85 gestie¬
genen Cours ins Stocken gerieth, sollte nun das Pauschalgeschäft mit der
Domänengüterbank helfen; 2) sollte der Dienst des Staatsschatzes der Na¬
tionalbank übertragen und mit der letzteren die Bank von Toscana ver¬
schmolzen werden. Endlich aber verlangte der Minister 3) die Ermächtigung
zu einer Zwangsanleihe von 320 Mill. Fr.


Grenzboten IV. 1869. 2

bunten werden sollten. Zu diesem Entwurf stellte nun Peruzzi (von der
Consorterie) noch einen eingreifenden Antrag, der dahin zielte, die Provin-
zialräthe von den Präfecten unabhängig zu machen, und dadurch ein praktischer
Anfang der Decentralisation sein sollte. Aber obwohl Decentralisation hier
wie überall längst ein von allen Parteien im Munde geführtes Wort war,
so scheute man doch jetzt vor dem ersten ernsten Versuch der Verwirklichung
zurück, und nach langen fruchtlosen Verhandlungen gelang es der Linken,
einen Antrag auf Vertagung des Vorschlags durchzusetzen, was geradezu einer
Bankerotterklärung der Kammer gleich kam. Schon in diesem Augenblick
konnte der Ernst der Lage Niemand entgehen. Die Kammer hatte ihre
gänzliche Unfähigkeit bewiesen; sie hatte weder den Willen noch das Selbst¬
vertrauen, eine solche Gesetzesarbeit durchzuführen, sie wußte überhaupt nicht,
was sie wollte. Die wichtigen Fragen zu vertagen, hatte sich als ein überaus
bequemes Mittel empfohlen. Als die Verhandlungen sortgesetzt wurden und
man an den Punkt der Delegationen kam, vertagte man diesen Punkt ebenso
wie man es mit dem Antrag Peruzzi's gethan hatte, und am 12. April
wurde die Berathung des ganzen Gesetzes abgebrochen, und zwar auf den
Wunsch des Ministers Cambray-Digny, der, müde des grausamen Spiels, daran
verzweifelte, mit dieser Kammer etwas in Stand zu bringen.

Dringlicher war aber die Finanzfrage. Vielleicht, daß der Minister hier
eine günstigere Stimmung fand und auf den Resultaten des vorigen Jah¬
res fortzubauen im Stande war. Um die Abschaffung des Zwangscurses
der Banknoten herbeizuführen und das Kirchengütergeschäft in Fluß zu
bringen, hatte Cambray-Digny im März einen neuen Vertrag mit Rothschild
abzuschließen versucht, war aber gescheitert und verzichtete nunmehr auf die
Heranziehung des ausländischen Capitals. Am 21. April trat er mit einer
neuen Finanzdarlegung vor die Kammer, auf deren Grund er folgende
Operationen vorschlug: 1) sollte der Verkauf der Kirchengüter, der unter der
Initiative der italienischen Creditbank gebildeten dö,ngg. xsi dem <Zomg.nig,Il
übertragen werden, und d'ehe die Summe der noch übrigen 300 Mill, vor¬
schußweise leisten. Es waren nämlich von dem Gesammtbetrage von 400 Mill.
allmälig doch 100 Mill. Obligationen vertrieben worden; trotz der Zahlung
der Zinsen in italienischem Papiergeld hatte sich seit Cambray-Digny's Ge¬
schäftsführung der italienische Staatscredit nicht unbeträchtlich gehoben; für
die übrigen 300 Mill. aber, deren Vertrieb jetzt bei dem bis auf 85 gestie¬
genen Cours ins Stocken gerieth, sollte nun das Pauschalgeschäft mit der
Domänengüterbank helfen; 2) sollte der Dienst des Staatsschatzes der Na¬
tionalbank übertragen und mit der letzteren die Bank von Toscana ver¬
schmolzen werden. Endlich aber verlangte der Minister 3) die Ermächtigung
zu einer Zwangsanleihe von 320 Mill. Fr.


Grenzboten IV. 1869. 2
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/17>, abgerufen am 22.07.2024.