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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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habe. In meinem Wagen saßen von Ashford ab einige Landleute mit großen
Körben, ein unbärtiger, aber sonnverbrannter Matrose in bloßem Hals und
blauem Kittel, und endlich ein schäbig städtisch gekleideter langer Mensch, der
sich durch einen hochbuschigen halbgrauen Backenbart auszeichnete und ein paar
Augen hatte wie ein Raubvogel oder ein Raubschütz. Der Letztere war mein
Nebenmann, weshalb ich die auf meinen Knien liegende Zeitung ihm zuerst
anbot, aber heftig wehrte er sie mit der Hand ab und brummte: -- "Nein,
nein, nein, Sir. Ich mag das nicht, habe schwache Augen, wissen Sie."
Lächelnd nahm dasür der Matrose das Blatt und begann sich darein zu ver¬
tiefen. Plötzlich glänzte eine lebhafte Befriedigung aus seinen Zügen, er
hielt den Zeigefinger sest auf eine Zeile und sagte: "Schau, schau, wie merk¬
würdig! Es ist doch eine schöne Sache, wenn man lesen kann. Das erste
Ding, das mich hier anguckt, ist Konstantinopel, wo ich grad herkomme.
Vor vier Wochen hab ich dort gelegen -- an Bord des Highflyer, Sir." --
"Aha. Konstantinopel, ich weiß", rief der Lange. "Das ist, wo die Türken
sein, berühmte Raucher, nicht wahr?" -- "Gewiß", entgegnete der Andere
trocken. -- "Und. was halten denn Sie von den Leuten dort?" fragte ich
den jugendlichen Seefahrer. -- "Meine Meinung. Sir. ist", erwiederte er,
die Lippen einen Augenblick scharf zusammenpressend, "daß diese Türken ein
faules und nichtsnutziges, verrottetes Pack sind; das heißt, ich will Ihnen
was sagen, Sir, Sie können am Ende dort ein ordentliches Glas Grog be¬
kommen, wenn Sie zu einem von denen großen britischen Kaufleuten der Le¬
vante gehen, denn das sind Gentlemen. Aber was wird Unsereinem vor¬
gesetzt? Ein Fingerhut voll, und basta." -- "Fatal", meinte der Lange.
"Was fängt man da an?" -- "Was man anfängt, alter Junge? Man
säuft Raki, so heißt ihr falscher gottverdammter Fusel. Probirt nur eine
Pinke davon. Das Kopfweh kann sich Einer holen, aber keinen rechtschaffe
nen Rausch". -- "Was!" schrie der Lange, halb in die Höhe fahrend. "Erst
keinen Rausch und nachher Kopfweh? Das nenn ich Enttäuschung, Betrug
und Räuberei." -- "Na, versteht sich", sagte ein Bäuerlein. "Ein Eng¬
länder läßt sich nicht gern ausrauben. Wir bleiben zu Haus, Alte, nicht
wahr?" (Zur Bäuerin). "Bei der Schwarzen Sau in Ashford kriegen wir
doch immer einen ehrlichen Tropfen für unser Geld. Ader da draußen",
fuhr er fort, seine Feldflasche ziehend und sie dem Matrosen reichend, "gibt
es wohl sehr wenig englische Ehrlichkeit, wie?" -- "Verwünscht wenig", ant¬
wortete der Bruder Theer nach einem herzhaften Schluck. "Ich habe die.
ganze Welt bereist und die größten Wunder gesehen, ich war schon bei denen
Chinesen und Türken, bei Heiden und Hottentotten, aber ich kann Euch
sagen, es geht doch nichts über England." -- "Ah, es gibt nur Ein Eng¬
land", wiederholten alle Uebrigen nach einander.


habe. In meinem Wagen saßen von Ashford ab einige Landleute mit großen
Körben, ein unbärtiger, aber sonnverbrannter Matrose in bloßem Hals und
blauem Kittel, und endlich ein schäbig städtisch gekleideter langer Mensch, der
sich durch einen hochbuschigen halbgrauen Backenbart auszeichnete und ein paar
Augen hatte wie ein Raubvogel oder ein Raubschütz. Der Letztere war mein
Nebenmann, weshalb ich die auf meinen Knien liegende Zeitung ihm zuerst
anbot, aber heftig wehrte er sie mit der Hand ab und brummte: — „Nein,
nein, nein, Sir. Ich mag das nicht, habe schwache Augen, wissen Sie."
Lächelnd nahm dasür der Matrose das Blatt und begann sich darein zu ver¬
tiefen. Plötzlich glänzte eine lebhafte Befriedigung aus seinen Zügen, er
hielt den Zeigefinger sest auf eine Zeile und sagte: „Schau, schau, wie merk¬
würdig! Es ist doch eine schöne Sache, wenn man lesen kann. Das erste
Ding, das mich hier anguckt, ist Konstantinopel, wo ich grad herkomme.
Vor vier Wochen hab ich dort gelegen — an Bord des Highflyer, Sir." —
„Aha. Konstantinopel, ich weiß", rief der Lange. „Das ist, wo die Türken
sein, berühmte Raucher, nicht wahr?" — „Gewiß", entgegnete der Andere
trocken. — „Und. was halten denn Sie von den Leuten dort?" fragte ich
den jugendlichen Seefahrer. — „Meine Meinung. Sir. ist", erwiederte er,
die Lippen einen Augenblick scharf zusammenpressend, „daß diese Türken ein
faules und nichtsnutziges, verrottetes Pack sind; das heißt, ich will Ihnen
was sagen, Sir, Sie können am Ende dort ein ordentliches Glas Grog be¬
kommen, wenn Sie zu einem von denen großen britischen Kaufleuten der Le¬
vante gehen, denn das sind Gentlemen. Aber was wird Unsereinem vor¬
gesetzt? Ein Fingerhut voll, und basta." — „Fatal", meinte der Lange.
„Was fängt man da an?" — „Was man anfängt, alter Junge? Man
säuft Raki, so heißt ihr falscher gottverdammter Fusel. Probirt nur eine
Pinke davon. Das Kopfweh kann sich Einer holen, aber keinen rechtschaffe
nen Rausch". — „Was!" schrie der Lange, halb in die Höhe fahrend. „Erst
keinen Rausch und nachher Kopfweh? Das nenn ich Enttäuschung, Betrug
und Räuberei." — „Na, versteht sich", sagte ein Bäuerlein. „Ein Eng¬
länder läßt sich nicht gern ausrauben. Wir bleiben zu Haus, Alte, nicht
wahr?" (Zur Bäuerin). „Bei der Schwarzen Sau in Ashford kriegen wir
doch immer einen ehrlichen Tropfen für unser Geld. Ader da draußen",
fuhr er fort, seine Feldflasche ziehend und sie dem Matrosen reichend, „gibt
es wohl sehr wenig englische Ehrlichkeit, wie?" — „Verwünscht wenig", ant¬
wortete der Bruder Theer nach einem herzhaften Schluck. „Ich habe die.
ganze Welt bereist und die größten Wunder gesehen, ich war schon bei denen
Chinesen und Türken, bei Heiden und Hottentotten, aber ich kann Euch
sagen, es geht doch nichts über England." — „Ah, es gibt nur Ein Eng¬
land", wiederholten alle Uebrigen nach einander.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/152>, abgerufen am 15.01.2025.