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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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bürdungen und dem blutsaugenden Charakter des Militärstaats entnommen.
Wenn nun die patriotische Partei ans Ruder käme und es sich zeigte, daß
sie nicht im Stande wäre, ihre Versprechungen von Steuererleichterungen
und dergl. einzulösen, so könnte es kommen, daß die Bauernvereine, deren
Gründung sich jetzt die Geistlichen so angelegen sein lassen, eines Tages den
Gründern sehr unbequem werden. Freilich an eine Reform des Schulwesens,
das A und O des geistigen Fortschritts, wäre unter dieser Partei nicht zu
denken. Ueberhaupt würde eine Stockung in den gesetzgeberischen Reformen
eintreten. Aber schwerlich ließe sich rückgängig machen, was bereits werth¬
volles auf diesem Gebiete geschehen ist. Mit der "gründlichen Revidirung
der fortschrittlichen Wohlthaten", welche jetzt in Aussicht genommen wird,
hätte es seine guten Wege und schwerlich würde es z. B. Ernst mit der
Drohung, die Einführung der neuen Civilproceßordnung, die auf den
1. Juli 1870 festgesetzt ist, zu suspendiren. Was endlich die nationale Frage
betrifft, so ist auch das Ministerium Hohenlohe unter den jetzigen Verhält¬
nissen zum Stillstande verurtheilt; diesen Stillstand aber in einen Rückschritt
zu verwandeln, wäre auch ein patriotisches Ministerium nicht im Stande.
An den eingegangenen Verbindlichkeiten würde es wohl oder übel auch fest¬
halten müssen, und das genügt für den Augenblick. Für den Südbund ver¬
gebliche Schritte zu thun, würden wohl auch Herr v. Windhorst oder Herr
v. Thüngen unterlassen. Es ist von Niemand zu erwarten, daß er sich mit
Gewalt werde lächerlich machen wollen.

Es ist noch ein anderer Grund, der die ultramontane Partei zwingen
würde, sehr gelinde Saiten aufzuziehen. Bei jeder Krisis des bayrischen
Staats zeigt sich aufs Neue, wie wenig es im Laufe eines halben Jahr¬
hunderts gelungen ist, die verschiedenen Elemente des zufällig zusammenge¬
würfelten Königreichs zu einem gemeinsamen Staatsgefühl zu erziehen. Be¬
reits wird die Rheinpfalz, die den altbayrischen Gefühlen am fernsten
steht, von den Ultramontanen als eine fremde Provinz betrachtet, die eigentlich
gar nicht das Recht hat mitzureden. In Franken und in einem Theil
Schwabens, besonders in den alten Reichsstädten, ist die Anhänglichkeit an
das angestammte Herrscherhaus äußerst leicht gewurzelt. Man spottet dort
über den Würternberger, dem sein "Ländle" doch schließlich das höchste ist,
und dem sein König, ja sein Mohl und sein Mayerle am Ende als Gipfel
aller Vorzüglichkeit gelten. Die nördlichen protestantischen Provinzen Bayerns
sind einmüthig darin: ein ultramontanes Regiment ertragen wir ein für
allemal nicht. Das Bewußtsein zu Deutschland zu gehören, und nicht zu
Rom, müßte sich hier aufs kräftigste und folgenreichste entwickeln. Ein ultra¬
montanes Ministerium wäre das Signal zur inneren Verwirrung des Staats,


bürdungen und dem blutsaugenden Charakter des Militärstaats entnommen.
Wenn nun die patriotische Partei ans Ruder käme und es sich zeigte, daß
sie nicht im Stande wäre, ihre Versprechungen von Steuererleichterungen
und dergl. einzulösen, so könnte es kommen, daß die Bauernvereine, deren
Gründung sich jetzt die Geistlichen so angelegen sein lassen, eines Tages den
Gründern sehr unbequem werden. Freilich an eine Reform des Schulwesens,
das A und O des geistigen Fortschritts, wäre unter dieser Partei nicht zu
denken. Ueberhaupt würde eine Stockung in den gesetzgeberischen Reformen
eintreten. Aber schwerlich ließe sich rückgängig machen, was bereits werth¬
volles auf diesem Gebiete geschehen ist. Mit der „gründlichen Revidirung
der fortschrittlichen Wohlthaten", welche jetzt in Aussicht genommen wird,
hätte es seine guten Wege und schwerlich würde es z. B. Ernst mit der
Drohung, die Einführung der neuen Civilproceßordnung, die auf den
1. Juli 1870 festgesetzt ist, zu suspendiren. Was endlich die nationale Frage
betrifft, so ist auch das Ministerium Hohenlohe unter den jetzigen Verhält¬
nissen zum Stillstande verurtheilt; diesen Stillstand aber in einen Rückschritt
zu verwandeln, wäre auch ein patriotisches Ministerium nicht im Stande.
An den eingegangenen Verbindlichkeiten würde es wohl oder übel auch fest¬
halten müssen, und das genügt für den Augenblick. Für den Südbund ver¬
gebliche Schritte zu thun, würden wohl auch Herr v. Windhorst oder Herr
v. Thüngen unterlassen. Es ist von Niemand zu erwarten, daß er sich mit
Gewalt werde lächerlich machen wollen.

Es ist noch ein anderer Grund, der die ultramontane Partei zwingen
würde, sehr gelinde Saiten aufzuziehen. Bei jeder Krisis des bayrischen
Staats zeigt sich aufs Neue, wie wenig es im Laufe eines halben Jahr¬
hunderts gelungen ist, die verschiedenen Elemente des zufällig zusammenge¬
würfelten Königreichs zu einem gemeinsamen Staatsgefühl zu erziehen. Be¬
reits wird die Rheinpfalz, die den altbayrischen Gefühlen am fernsten
steht, von den Ultramontanen als eine fremde Provinz betrachtet, die eigentlich
gar nicht das Recht hat mitzureden. In Franken und in einem Theil
Schwabens, besonders in den alten Reichsstädten, ist die Anhänglichkeit an
das angestammte Herrscherhaus äußerst leicht gewurzelt. Man spottet dort
über den Würternberger, dem sein „Ländle" doch schließlich das höchste ist,
und dem sein König, ja sein Mohl und sein Mayerle am Ende als Gipfel
aller Vorzüglichkeit gelten. Die nördlichen protestantischen Provinzen Bayerns
sind einmüthig darin: ein ultramontanes Regiment ertragen wir ein für
allemal nicht. Das Bewußtsein zu Deutschland zu gehören, und nicht zu
Rom, müßte sich hier aufs kräftigste und folgenreichste entwickeln. Ein ultra¬
montanes Ministerium wäre das Signal zur inneren Verwirrung des Staats,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/135>, abgerufen am 22.07.2024.