Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Seligkeit, die die goldene Stadt bewohnen, identisch seien. -- Es würde zu weit
führen, wollten wir die Aehnlichkeit beider Erzählungen hier im Einzelnen
nach Gerland aufzählen. Manche derselben sind wirklich frappant, doch treten
auch sehr bedeutende Verschiedenheiten hervor, die unseren Verfasser zu der
Ansicht bestimmen, daß die homerische Erzählung weder indischen Ursprungs
sei, noch die indische griechischen Quellen entlehnt sei. Gerland wird in
dieser seiner Ueberzeugung besonders noch dadurch bestärkt, daß sich dieselbe
Erzählung in durchaus selbständiger und doch durchaus verwandter Form
bet anderen Völkern wiederfindet. Aus allen möglichen Literaturen, die
merkwürdigen Sagen der Polynesier nicht ausgeschlossen, werden dann ähnliche
Sagen nachgewiesen, um den Schluß zu rechtfertigen, daß das Märchen von
den Phäaken und dem Besuch des Odysseus bei ihnen nichts Anderes sei
als eine selbständige Verston eines indogermanischen Mythos und daß diese
Version der Odyssee eine den Griechen eigenthümliche und nirgendher ent¬
lehnte sei.

Ohne der Gelehrsamkeit unseres Verfassers, der durch seine Fortsetzung
der Anthropologie von Waitz schon in weiteren Kreisen sich vortheilhaft be¬
kannt gemacht, irgendwie nahe treten zu wollen*), und ohne zu verkennen,
daß seine Art, mythische Erzählungen aller möglichen Völker mit einander zu
combiniren, um dann aus diesen Combinationen die Grundzüge und Ur-
bestandtheile dieser Mythen zu reconstruiren, nicht von der Weise abweicht,
wie diese Forschungen von manchen Autoritäten auf dem Gebiete der ver¬
gleichenden Mythologie getrieben wurden, können wir doch nicht unterlassen,
darauf hinzuweisen, daß der Werth unserer Untersuchung mehr in der Zu¬
sammenstellung der verwandten Erzählungen als in deren mythologischer Aus¬
deutung zu bestehen scheint. Wie schon gesagt, dieselbe übertrifft nicht andere
bekannte Versuche ähnlicher Art durch die Kühnheit oder, sagen wir besser.
Willkürlichkeit ihrer Combinationen, sondern wir möchten unsere Vorbehalte
gegen diese ganze Art, vergleichende Mythologie zu treiben, richten. Mag
dem aber nun sein, wie ihm wolle, das Verdienst wird man Gerland nicht
absprechen können, daß er durch seine Behandlung der homerischen Erzählung
von den Phäaken die Aufmerksamkeit aller derer, denen es mit Erforschung
der Entstehung dieser ältesten, in allen Kreisen bekannten epischen Dichtungen
ein Ernst ist, von Neuem auf einen Punkt geleitet hat, von dem sie bisher
nur von Einzelnen untersucht worden sind, daß er überhaupt der gesammten
Märchenforschung, welche in Deutschland seit dem Eingehen der besonders



Der Schreiber dieser Zeilen hätte dein Verfasser nur noch ein Märchen nachweisen kön¬
nen, das sich gleichfalls auf diesen Kreis bezieht, und in Sicilien erhalten ist. Dasselbe wird
sich demnächst in einer größeren Sammlung sicilicmischer Märchen, die noch diesen Herbst im Ver¬
lag von W. Engelmann in Leipzig erscheinen wird, Bd. I. S. 105 u> f" abgedruckt finden.'*'
14

Seligkeit, die die goldene Stadt bewohnen, identisch seien. — Es würde zu weit
führen, wollten wir die Aehnlichkeit beider Erzählungen hier im Einzelnen
nach Gerland aufzählen. Manche derselben sind wirklich frappant, doch treten
auch sehr bedeutende Verschiedenheiten hervor, die unseren Verfasser zu der
Ansicht bestimmen, daß die homerische Erzählung weder indischen Ursprungs
sei, noch die indische griechischen Quellen entlehnt sei. Gerland wird in
dieser seiner Ueberzeugung besonders noch dadurch bestärkt, daß sich dieselbe
Erzählung in durchaus selbständiger und doch durchaus verwandter Form
bet anderen Völkern wiederfindet. Aus allen möglichen Literaturen, die
merkwürdigen Sagen der Polynesier nicht ausgeschlossen, werden dann ähnliche
Sagen nachgewiesen, um den Schluß zu rechtfertigen, daß das Märchen von
den Phäaken und dem Besuch des Odysseus bei ihnen nichts Anderes sei
als eine selbständige Verston eines indogermanischen Mythos und daß diese
Version der Odyssee eine den Griechen eigenthümliche und nirgendher ent¬
lehnte sei.

Ohne der Gelehrsamkeit unseres Verfassers, der durch seine Fortsetzung
der Anthropologie von Waitz schon in weiteren Kreisen sich vortheilhaft be¬
kannt gemacht, irgendwie nahe treten zu wollen*), und ohne zu verkennen,
daß seine Art, mythische Erzählungen aller möglichen Völker mit einander zu
combiniren, um dann aus diesen Combinationen die Grundzüge und Ur-
bestandtheile dieser Mythen zu reconstruiren, nicht von der Weise abweicht,
wie diese Forschungen von manchen Autoritäten auf dem Gebiete der ver¬
gleichenden Mythologie getrieben wurden, können wir doch nicht unterlassen,
darauf hinzuweisen, daß der Werth unserer Untersuchung mehr in der Zu¬
sammenstellung der verwandten Erzählungen als in deren mythologischer Aus¬
deutung zu bestehen scheint. Wie schon gesagt, dieselbe übertrifft nicht andere
bekannte Versuche ähnlicher Art durch die Kühnheit oder, sagen wir besser.
Willkürlichkeit ihrer Combinationen, sondern wir möchten unsere Vorbehalte
gegen diese ganze Art, vergleichende Mythologie zu treiben, richten. Mag
dem aber nun sein, wie ihm wolle, das Verdienst wird man Gerland nicht
absprechen können, daß er durch seine Behandlung der homerischen Erzählung
von den Phäaken die Aufmerksamkeit aller derer, denen es mit Erforschung
der Entstehung dieser ältesten, in allen Kreisen bekannten epischen Dichtungen
ein Ernst ist, von Neuem auf einen Punkt geleitet hat, von dem sie bisher
nur von Einzelnen untersucht worden sind, daß er überhaupt der gesammten
Märchenforschung, welche in Deutschland seit dem Eingehen der besonders



Der Schreiber dieser Zeilen hätte dein Verfasser nur noch ein Märchen nachweisen kön¬
nen, das sich gleichfalls auf diesen Kreis bezieht, und in Sicilien erhalten ist. Dasselbe wird
sich demnächst in einer größeren Sammlung sicilicmischer Märchen, die noch diesen Herbst im Ver¬
lag von W. Engelmann in Leipzig erscheinen wird, Bd. I. S. 105 u> f„ abgedruckt finden.'*'
14
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0115" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121870"/>
          <p xml:id="ID_300" prev="#ID_299"> Seligkeit, die die goldene Stadt bewohnen, identisch seien. &#x2014; Es würde zu weit<lb/>
führen, wollten wir die Aehnlichkeit beider Erzählungen hier im Einzelnen<lb/>
nach Gerland aufzählen. Manche derselben sind wirklich frappant, doch treten<lb/>
auch sehr bedeutende Verschiedenheiten hervor, die unseren Verfasser zu der<lb/>
Ansicht bestimmen, daß die homerische Erzählung weder indischen Ursprungs<lb/>
sei, noch die indische griechischen Quellen entlehnt sei. Gerland wird in<lb/>
dieser seiner Ueberzeugung besonders noch dadurch bestärkt, daß sich dieselbe<lb/>
Erzählung in durchaus selbständiger und doch durchaus verwandter Form<lb/>
bet anderen Völkern wiederfindet. Aus allen möglichen Literaturen, die<lb/>
merkwürdigen Sagen der Polynesier nicht ausgeschlossen, werden dann ähnliche<lb/>
Sagen nachgewiesen, um den Schluß zu rechtfertigen, daß das Märchen von<lb/>
den Phäaken und dem Besuch des Odysseus bei ihnen nichts Anderes sei<lb/>
als eine selbständige Verston eines indogermanischen Mythos und daß diese<lb/>
Version der Odyssee eine den Griechen eigenthümliche und nirgendher ent¬<lb/>
lehnte sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_301" next="#ID_302"> Ohne der Gelehrsamkeit unseres Verfassers, der durch seine Fortsetzung<lb/>
der Anthropologie von Waitz schon in weiteren Kreisen sich vortheilhaft be¬<lb/>
kannt gemacht, irgendwie nahe treten zu wollen*), und ohne zu verkennen,<lb/>
daß seine Art, mythische Erzählungen aller möglichen Völker mit einander zu<lb/>
combiniren, um dann aus diesen Combinationen die Grundzüge und Ur-<lb/>
bestandtheile dieser Mythen zu reconstruiren, nicht von der Weise abweicht,<lb/>
wie diese Forschungen von manchen Autoritäten auf dem Gebiete der ver¬<lb/>
gleichenden Mythologie getrieben wurden, können wir doch nicht unterlassen,<lb/>
darauf hinzuweisen, daß der Werth unserer Untersuchung mehr in der Zu¬<lb/>
sammenstellung der verwandten Erzählungen als in deren mythologischer Aus¬<lb/>
deutung zu bestehen scheint. Wie schon gesagt, dieselbe übertrifft nicht andere<lb/>
bekannte Versuche ähnlicher Art durch die Kühnheit oder, sagen wir besser.<lb/>
Willkürlichkeit ihrer Combinationen, sondern wir möchten unsere Vorbehalte<lb/>
gegen diese ganze Art, vergleichende Mythologie zu treiben, richten. Mag<lb/>
dem aber nun sein, wie ihm wolle, das Verdienst wird man Gerland nicht<lb/>
absprechen können, daß er durch seine Behandlung der homerischen Erzählung<lb/>
von den Phäaken die Aufmerksamkeit aller derer, denen es mit Erforschung<lb/>
der Entstehung dieser ältesten, in allen Kreisen bekannten epischen Dichtungen<lb/>
ein Ernst ist, von Neuem auf einen Punkt geleitet hat, von dem sie bisher<lb/>
nur von Einzelnen untersucht worden sind, daß er überhaupt der gesammten<lb/>
Märchenforschung, welche in Deutschland seit dem Eingehen der besonders</p><lb/>
          <note xml:id="FID_6" place="foot"> Der Schreiber dieser Zeilen hätte dein Verfasser nur noch ein Märchen nachweisen kön¬<lb/>
nen, das sich gleichfalls auf diesen Kreis bezieht, und in Sicilien erhalten ist. Dasselbe wird<lb/>
sich demnächst in einer größeren Sammlung sicilicmischer Märchen, die noch diesen Herbst im Ver¬<lb/>
lag von W. Engelmann in Leipzig erscheinen wird, Bd. I. S. 105 u&gt; f&#x201E; abgedruckt finden.'*'</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 14 </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0115] Seligkeit, die die goldene Stadt bewohnen, identisch seien. — Es würde zu weit führen, wollten wir die Aehnlichkeit beider Erzählungen hier im Einzelnen nach Gerland aufzählen. Manche derselben sind wirklich frappant, doch treten auch sehr bedeutende Verschiedenheiten hervor, die unseren Verfasser zu der Ansicht bestimmen, daß die homerische Erzählung weder indischen Ursprungs sei, noch die indische griechischen Quellen entlehnt sei. Gerland wird in dieser seiner Ueberzeugung besonders noch dadurch bestärkt, daß sich dieselbe Erzählung in durchaus selbständiger und doch durchaus verwandter Form bet anderen Völkern wiederfindet. Aus allen möglichen Literaturen, die merkwürdigen Sagen der Polynesier nicht ausgeschlossen, werden dann ähnliche Sagen nachgewiesen, um den Schluß zu rechtfertigen, daß das Märchen von den Phäaken und dem Besuch des Odysseus bei ihnen nichts Anderes sei als eine selbständige Verston eines indogermanischen Mythos und daß diese Version der Odyssee eine den Griechen eigenthümliche und nirgendher ent¬ lehnte sei. Ohne der Gelehrsamkeit unseres Verfassers, der durch seine Fortsetzung der Anthropologie von Waitz schon in weiteren Kreisen sich vortheilhaft be¬ kannt gemacht, irgendwie nahe treten zu wollen*), und ohne zu verkennen, daß seine Art, mythische Erzählungen aller möglichen Völker mit einander zu combiniren, um dann aus diesen Combinationen die Grundzüge und Ur- bestandtheile dieser Mythen zu reconstruiren, nicht von der Weise abweicht, wie diese Forschungen von manchen Autoritäten auf dem Gebiete der ver¬ gleichenden Mythologie getrieben wurden, können wir doch nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß der Werth unserer Untersuchung mehr in der Zu¬ sammenstellung der verwandten Erzählungen als in deren mythologischer Aus¬ deutung zu bestehen scheint. Wie schon gesagt, dieselbe übertrifft nicht andere bekannte Versuche ähnlicher Art durch die Kühnheit oder, sagen wir besser. Willkürlichkeit ihrer Combinationen, sondern wir möchten unsere Vorbehalte gegen diese ganze Art, vergleichende Mythologie zu treiben, richten. Mag dem aber nun sein, wie ihm wolle, das Verdienst wird man Gerland nicht absprechen können, daß er durch seine Behandlung der homerischen Erzählung von den Phäaken die Aufmerksamkeit aller derer, denen es mit Erforschung der Entstehung dieser ältesten, in allen Kreisen bekannten epischen Dichtungen ein Ernst ist, von Neuem auf einen Punkt geleitet hat, von dem sie bisher nur von Einzelnen untersucht worden sind, daß er überhaupt der gesammten Märchenforschung, welche in Deutschland seit dem Eingehen der besonders Der Schreiber dieser Zeilen hätte dein Verfasser nur noch ein Märchen nachweisen kön¬ nen, das sich gleichfalls auf diesen Kreis bezieht, und in Sicilien erhalten ist. Dasselbe wird sich demnächst in einer größeren Sammlung sicilicmischer Märchen, die noch diesen Herbst im Ver¬ lag von W. Engelmann in Leipzig erscheinen wird, Bd. I. S. 105 u> f„ abgedruckt finden.'*' 14

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/115
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/115>, abgerufen am 22.07.2024.