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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Der Hauptzweck der Union war, die Hierarchie des Presbyterialraths
zu stürzen und zu diesem Behufe durch Belehrung und Aufklärung der
Wähler auf die Wahlen einzuwirken. Von diesem Augenblick an fühlte sich der
Presbyterialrath bedroht, bei den Wahlen im Januar 1861 geboten die Li¬
beralen bereits über ein volles Drittel der abgegebenen Stimmen, es galt
darum strenger als zuvor die Zügel anzuziehen. Die Union war zwar von
Laien gegründet und geleitet, auch ihre Publicationen waren von Laien ge-
schrieben, allein es liegt auf der Hand, daß die Wirksamkeit liberaler Pre¬
diger jene Bestrebungen am meisten unterstützen mußte. Es galt also, das
Eindringen liberaler Prediger um jeden Preis zu verhindern, solche, die schon
vorhanden waren, wo möglich zu entfernen. Letzteres war nun zwar bei den
älteren Pfarrern, Coquerel Vater und Martin-Paschoud nicht mehr möglich,
aber es war möglich, die Söhne Coquerels von der Kanzel auszuschließen,
Athanase, dem älteren derselben, die Suffraganstelle, die er bei Martin-
Paschoud bekleidete und die alle drei Jahre neu bestätigt werden mußte, zu
entziehen, und Etienne, den jüngeren, der Aumonier an einem Gymnasium
war, gar nicht zuzulassen. Ende 1863 wurde der Vorschlag von Coquerel
dem Vater, den jungen Valis zum Suffragan zu nehmen, vom Presbyterial¬
rath abschlägig beschicken; es war dies das Vorspiel dessen, was bald daraus
gegen A, Coquerel, Sohn, geschah.

In solchen Fällen pflegt es selten ohne sehr menschliche Motive zuzu¬
gehen, sie waren auch hier in reichem Maß vorhanden und man darf sie zur
Erklärung des Geschehenen nicht übergehen. Die Gegnerschaft der im Pres¬
byterialrath thronenden Olympier gegen die Coquerel datirr aus früherer Zeit.
Coquerel, der Vater, war der einzige gewesen, der im Consistorium der ge¬
schlossenen Majorität mit einer selbständigen Ueberzeugung gegenüberstand
und ihr durch einen fortgesetzten kleinen Krieg unbequem wurde. Diese
Animosität gegen den Vater trug sich ganz von selbst auch auf die Söhne
über, um so mehr, als Athanase sich rasch einen starken Anhang und eine
ausgebreitete Wirksamkeit erwarb. Athanase Coquerel, Sohn, war, nachdem
er seine Studien in Genf absolvirt. von 1843--1848 Suffragangeistlicher in
Nimes, 1848 Aumonier an einem der Pariser Lyceen; im Jahre 1860 wurde
er zum Suffragangeistlichen des leidenden Pfarrers Martin - Paschoud. der
1836 zum letzten Male als liberaler Geistlicher an der Pariser Gemeinde an¬
gestellt worden war, ernannt, und in dieser Eigenschaft nahm er bald eine
ganz exceptionelle Stellung ein. Obwohl nur Hilfsgeistlicher, hatte er in
kurzer Zeit die vollsten Kirchen, das ausgebreiteste Seelsorgeramt. Eine un¬
gewöhnliche Rednergabe, vielseitige Bildung, der Eifer, mit dem er sich allen
kirchlichen Obliegenheiten, allen gemeinnützigen Zwecken widmete, erwarben
ihm ein allgemeines Vertrauen. Mit seinem Bruder Etienne, der sich be-


Der Hauptzweck der Union war, die Hierarchie des Presbyterialraths
zu stürzen und zu diesem Behufe durch Belehrung und Aufklärung der
Wähler auf die Wahlen einzuwirken. Von diesem Augenblick an fühlte sich der
Presbyterialrath bedroht, bei den Wahlen im Januar 1861 geboten die Li¬
beralen bereits über ein volles Drittel der abgegebenen Stimmen, es galt
darum strenger als zuvor die Zügel anzuziehen. Die Union war zwar von
Laien gegründet und geleitet, auch ihre Publicationen waren von Laien ge-
schrieben, allein es liegt auf der Hand, daß die Wirksamkeit liberaler Pre¬
diger jene Bestrebungen am meisten unterstützen mußte. Es galt also, das
Eindringen liberaler Prediger um jeden Preis zu verhindern, solche, die schon
vorhanden waren, wo möglich zu entfernen. Letzteres war nun zwar bei den
älteren Pfarrern, Coquerel Vater und Martin-Paschoud nicht mehr möglich,
aber es war möglich, die Söhne Coquerels von der Kanzel auszuschließen,
Athanase, dem älteren derselben, die Suffraganstelle, die er bei Martin-
Paschoud bekleidete und die alle drei Jahre neu bestätigt werden mußte, zu
entziehen, und Etienne, den jüngeren, der Aumonier an einem Gymnasium
war, gar nicht zuzulassen. Ende 1863 wurde der Vorschlag von Coquerel
dem Vater, den jungen Valis zum Suffragan zu nehmen, vom Presbyterial¬
rath abschlägig beschicken; es war dies das Vorspiel dessen, was bald daraus
gegen A, Coquerel, Sohn, geschah.

In solchen Fällen pflegt es selten ohne sehr menschliche Motive zuzu¬
gehen, sie waren auch hier in reichem Maß vorhanden und man darf sie zur
Erklärung des Geschehenen nicht übergehen. Die Gegnerschaft der im Pres¬
byterialrath thronenden Olympier gegen die Coquerel datirr aus früherer Zeit.
Coquerel, der Vater, war der einzige gewesen, der im Consistorium der ge¬
schlossenen Majorität mit einer selbständigen Ueberzeugung gegenüberstand
und ihr durch einen fortgesetzten kleinen Krieg unbequem wurde. Diese
Animosität gegen den Vater trug sich ganz von selbst auch auf die Söhne
über, um so mehr, als Athanase sich rasch einen starken Anhang und eine
ausgebreitete Wirksamkeit erwarb. Athanase Coquerel, Sohn, war, nachdem
er seine Studien in Genf absolvirt. von 1843—1848 Suffragangeistlicher in
Nimes, 1848 Aumonier an einem der Pariser Lyceen; im Jahre 1860 wurde
er zum Suffragangeistlichen des leidenden Pfarrers Martin - Paschoud. der
1836 zum letzten Male als liberaler Geistlicher an der Pariser Gemeinde an¬
gestellt worden war, ernannt, und in dieser Eigenschaft nahm er bald eine
ganz exceptionelle Stellung ein. Obwohl nur Hilfsgeistlicher, hatte er in
kurzer Zeit die vollsten Kirchen, das ausgebreiteste Seelsorgeramt. Eine un¬
gewöhnliche Rednergabe, vielseitige Bildung, der Eifer, mit dem er sich allen
kirchlichen Obliegenheiten, allen gemeinnützigen Zwecken widmete, erwarben
ihm ein allgemeines Vertrauen. Mit seinem Bruder Etienne, der sich be-


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[0093] Der Hauptzweck der Union war, die Hierarchie des Presbyterialraths zu stürzen und zu diesem Behufe durch Belehrung und Aufklärung der Wähler auf die Wahlen einzuwirken. Von diesem Augenblick an fühlte sich der Presbyterialrath bedroht, bei den Wahlen im Januar 1861 geboten die Li¬ beralen bereits über ein volles Drittel der abgegebenen Stimmen, es galt darum strenger als zuvor die Zügel anzuziehen. Die Union war zwar von Laien gegründet und geleitet, auch ihre Publicationen waren von Laien ge- schrieben, allein es liegt auf der Hand, daß die Wirksamkeit liberaler Pre¬ diger jene Bestrebungen am meisten unterstützen mußte. Es galt also, das Eindringen liberaler Prediger um jeden Preis zu verhindern, solche, die schon vorhanden waren, wo möglich zu entfernen. Letzteres war nun zwar bei den älteren Pfarrern, Coquerel Vater und Martin-Paschoud nicht mehr möglich, aber es war möglich, die Söhne Coquerels von der Kanzel auszuschließen, Athanase, dem älteren derselben, die Suffraganstelle, die er bei Martin- Paschoud bekleidete und die alle drei Jahre neu bestätigt werden mußte, zu entziehen, und Etienne, den jüngeren, der Aumonier an einem Gymnasium war, gar nicht zuzulassen. Ende 1863 wurde der Vorschlag von Coquerel dem Vater, den jungen Valis zum Suffragan zu nehmen, vom Presbyterial¬ rath abschlägig beschicken; es war dies das Vorspiel dessen, was bald daraus gegen A, Coquerel, Sohn, geschah. In solchen Fällen pflegt es selten ohne sehr menschliche Motive zuzu¬ gehen, sie waren auch hier in reichem Maß vorhanden und man darf sie zur Erklärung des Geschehenen nicht übergehen. Die Gegnerschaft der im Pres¬ byterialrath thronenden Olympier gegen die Coquerel datirr aus früherer Zeit. Coquerel, der Vater, war der einzige gewesen, der im Consistorium der ge¬ schlossenen Majorität mit einer selbständigen Ueberzeugung gegenüberstand und ihr durch einen fortgesetzten kleinen Krieg unbequem wurde. Diese Animosität gegen den Vater trug sich ganz von selbst auch auf die Söhne über, um so mehr, als Athanase sich rasch einen starken Anhang und eine ausgebreitete Wirksamkeit erwarb. Athanase Coquerel, Sohn, war, nachdem er seine Studien in Genf absolvirt. von 1843—1848 Suffragangeistlicher in Nimes, 1848 Aumonier an einem der Pariser Lyceen; im Jahre 1860 wurde er zum Suffragangeistlichen des leidenden Pfarrers Martin - Paschoud. der 1836 zum letzten Male als liberaler Geistlicher an der Pariser Gemeinde an¬ gestellt worden war, ernannt, und in dieser Eigenschaft nahm er bald eine ganz exceptionelle Stellung ein. Obwohl nur Hilfsgeistlicher, hatte er in kurzer Zeit die vollsten Kirchen, das ausgebreiteste Seelsorgeramt. Eine un¬ gewöhnliche Rednergabe, vielseitige Bildung, der Eifer, mit dem er sich allen kirchlichen Obliegenheiten, allen gemeinnützigen Zwecken widmete, erwarben ihm ein allgemeines Vertrauen. Mit seinem Bruder Etienne, der sich be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/93>, abgerufen am 05.02.2025.