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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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ano vorgezeichnet werden. Obgleich Jean Bratiano auf seine Versuche, die
Partei der Rothen und damit eine türkenfeindliche Vergrößerungspolitik ans
Ruder zu bringen, keineswegs verzichtet und seinen Bruder Demeter in Paris
stationirt hat, um Frankreichs Eifersucht auf den preußischen Einfluß in
Bukarest wach zu erhalten, ist das Land ruhig geblieben und stehen die Kam¬
mern in überwiegender Majorität zu der gegenwärtigen Regierung. Von
seinem Besuch am russischen Hoflager in Taurien zurückgekehrt, hat der Fürst
eine Reise nach Westeuropa angetreten und zunächst Wien aufgesucht, wo
Hof und Ministerium ihm einen überraschend freundlichen Empfang zu Theil
werden ließen. Wesentlich dem preußischen Einfluß in Bukarest, ist es zu
danken, daß die moldau-wallachische Regierung in Mitten der widerstreiten¬
den oft- und westeuropäischen Interessen eine Position genommen hat, die nach
keiner Seite hin Anstoß gibt und für die Entwickelung und Kräftigung
des rumänischen Staats wirken kann, ohne die Eifersucht der Pfordte
zu reizen.

In Constantinopel dauerte der Conflikt zwischen dem Sultan und seinem
mächtigen Egyptischen Vasallen fort. Selbst die Specialnachrichten über
den Verlauf dieses Handels haben sich als so unzuverlässig erwiesen, daß sich
der Ausgang desselben nicht absehen, kaum errathen läßt. Entsprechend ihren
Wünschen und Hoffnungen versichern die Organe der Westmächte, daß die
Sache einen Verlauf nehme, der eine acute Krisis ausschließe und den Höfen
von London und Paris die Möglichkeit sichere, durch Rathschläge nach beiden
Seiten hin versöhnend einzuwirken. Im Gegensatz dazu sind die russische und
ein Theil der westslavischen Presse der Meinung, durch ihre Erfolge auf der letzten
Pariser Conferenz sei die Pfordte so anmaßend und selbstvertrauend geworden,
daß der Vicekönig zu Gewaltschritten gedrängt werden werde, die eine Kata¬
strophe herbei führen müßten. -- Unterdessen hat der griechisch-bulgarische
Kirchenstreit seinen ununterbrochenen Fortgang genommen. Durch die Unter¬
stützung der türkischen Minister und die russische Ablehnung des vom Pa¬
triarchen vorgeschlagenen abendländischen Concils ermuthigt, beharren die
Bulgaren auf der Forderung einer vom griechischen Patriarchen unabhängigen
Nationalkirche, die dem constantinopolitanischen Oberhirten nur äußerlich und
formell untergeordnet sein, ihre Angelegenheiten aber durch eine selbständige
Synode ordnen soll. Griechenland, dem naturgemäß daran gelegen ist, die
Einheit der griechischen Kirche in den türkischen Ländern erhalten und den
traditionell seine Interessen verbündeten Patriarchen an der Spitze aller
morgenländischen Christen des Nachbarstaats zu sehen -- Griechenland hat
sich noch entschiedener gegen die Bulgaren ausgesprochen als Rußland, und
den Concilvorschlag, den der Petersburger spröd. aus Opportunitätsgründen
ablehnte, gebilligt. Dadurch in die Sache ist ein neues Stadium getreten,


ano vorgezeichnet werden. Obgleich Jean Bratiano auf seine Versuche, die
Partei der Rothen und damit eine türkenfeindliche Vergrößerungspolitik ans
Ruder zu bringen, keineswegs verzichtet und seinen Bruder Demeter in Paris
stationirt hat, um Frankreichs Eifersucht auf den preußischen Einfluß in
Bukarest wach zu erhalten, ist das Land ruhig geblieben und stehen die Kam¬
mern in überwiegender Majorität zu der gegenwärtigen Regierung. Von
seinem Besuch am russischen Hoflager in Taurien zurückgekehrt, hat der Fürst
eine Reise nach Westeuropa angetreten und zunächst Wien aufgesucht, wo
Hof und Ministerium ihm einen überraschend freundlichen Empfang zu Theil
werden ließen. Wesentlich dem preußischen Einfluß in Bukarest, ist es zu
danken, daß die moldau-wallachische Regierung in Mitten der widerstreiten¬
den oft- und westeuropäischen Interessen eine Position genommen hat, die nach
keiner Seite hin Anstoß gibt und für die Entwickelung und Kräftigung
des rumänischen Staats wirken kann, ohne die Eifersucht der Pfordte
zu reizen.

In Constantinopel dauerte der Conflikt zwischen dem Sultan und seinem
mächtigen Egyptischen Vasallen fort. Selbst die Specialnachrichten über
den Verlauf dieses Handels haben sich als so unzuverlässig erwiesen, daß sich
der Ausgang desselben nicht absehen, kaum errathen läßt. Entsprechend ihren
Wünschen und Hoffnungen versichern die Organe der Westmächte, daß die
Sache einen Verlauf nehme, der eine acute Krisis ausschließe und den Höfen
von London und Paris die Möglichkeit sichere, durch Rathschläge nach beiden
Seiten hin versöhnend einzuwirken. Im Gegensatz dazu sind die russische und
ein Theil der westslavischen Presse der Meinung, durch ihre Erfolge auf der letzten
Pariser Conferenz sei die Pfordte so anmaßend und selbstvertrauend geworden,
daß der Vicekönig zu Gewaltschritten gedrängt werden werde, die eine Kata¬
strophe herbei führen müßten. — Unterdessen hat der griechisch-bulgarische
Kirchenstreit seinen ununterbrochenen Fortgang genommen. Durch die Unter¬
stützung der türkischen Minister und die russische Ablehnung des vom Pa¬
triarchen vorgeschlagenen abendländischen Concils ermuthigt, beharren die
Bulgaren auf der Forderung einer vom griechischen Patriarchen unabhängigen
Nationalkirche, die dem constantinopolitanischen Oberhirten nur äußerlich und
formell untergeordnet sein, ihre Angelegenheiten aber durch eine selbständige
Synode ordnen soll. Griechenland, dem naturgemäß daran gelegen ist, die
Einheit der griechischen Kirche in den türkischen Ländern erhalten und den
traditionell seine Interessen verbündeten Patriarchen an der Spitze aller
morgenländischen Christen des Nachbarstaats zu sehen — Griechenland hat
sich noch entschiedener gegen die Bulgaren ausgesprochen als Rußland, und
den Concilvorschlag, den der Petersburger spröd. aus Opportunitätsgründen
ablehnte, gebilligt. Dadurch in die Sache ist ein neues Stadium getreten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/520>, abgerufen am 23.07.2024.