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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Ausschluß politischer Materien aus den Generalrathsverhandlungen, den
Foreade de la Noquette den Präfekten zur Pflicht gemacht hatte, hat das
Verlangen nach Decentralisation der Verwaltung, größere Selbständigkeit der
Communalbeamten, Wählbarkeit der Maires u. s. w. zu einem allgemeinen
gemacht und eine g.ä Koe geschlossene Liga der größeren liberalen Provinzial-
Zeitungen herbeigeführt. Daß an eine Erreichung des angestrebten Zwecks
nicht zu denken ist, dieselbe wohl auch nur von einem kleinen Theil derer,
welche mitmachen, ernst gemeint ist, schränkt die Unbequemlichkeit dieser Agi¬
tation nicht ein, welche wesentlich dazu beiträgt, die Regierung unsicher, deren
Gegner vertrauensvoll und ungeduldig zu machen.

Von einer activen auswärtigen Politik hat bei so bewandten Umständen
natürlich kaum die Rede sein können, zumal der ehemalige Minister des Aus¬
wärtigen und jetzige Botschafter in London, Lavalette, der Befestigung seines
Nachfolgers des Fürsten Latour d'Auvergne, sichtlich im Wege gestanden hat.
Wenn viel geschah, nahm man an den Versuchen Englands Theil, zwischen Egyp-
ten und der Pfordte, Spanien und der nordamerikanischen Republik zu vermitteln.
-- Dieses momentane Stillstehen der französischen Staatsmaschine ist für die
inneren Zustände des Staats ebenso verderblich, wie für das übrige Europa
vortheilhaft gewesen. Für Frankreich nimmt die Wahrscheinlichkeit chaotischen
Zusammenbrechens der gegenwärtigen Verhältnisse zu, für den übrigen Welt¬
theil die Erhaltung des Friedens. Ob es für uns Deutsche möglich sein
wird, die Früchte desselben einzuheimsen, ist freilich ebenso zweifelhaft geblieben,
wie vor der neuesten Catastrophe in der französischen Kaisergeschichte. Zu¬
nächst macht sich geltend, daß Unternehmungslust und Selbstvertrauen der
depossedirten Fürsten und ihres schwindenden Anhangs von Tag zu Tage
bergab gehen und daß die östreichisch-ungarische Diplomatie sich in die Noth¬
wendigkeit zu finden beginnt, mit der friedlichen Weltlage wenigstens vor¬
läufig Frieden zu schließen.

Inzwischen haben die in der Mehrzahl der cisleithanischen Provinzen zu¬
sammengetretenen Landtage den Lenker der> östreichischen Staatsgeschicke aufs
Neue daran erinnert, daß die Ausgleichung der nationalen und landschaft¬
lichen Gegensätze innerhalb des vielgliederigen Kaiserstaates eine nahezu un¬
lösbare Aufgabe ist. Selbst die beiden innerhalb des dualistischen Systems
vertretenen Gruppen sind schwer in Frieden zu erhalten und die außerordent¬
lich abfälligen Urtheile mit denen die Wiener Presse den Schluß der Dele¬
gationen begleitete, ließen durchsehen, daß der eine der beiden Füße, aus denen das
constitutionelle Oestreich steht, aus Thon und zwar aus schwachem Thon geformt
ist. Nach der etwas kurzathmiger Freude des deutsch-östreichischen Liberalis¬
mus über den Sieg, 'den die Negierung bei Gelegenheit der Schulrathswahlen
in Böhmen erfochten, sind die Ansprüche der slavischen Länder der Monarchie


Ausschluß politischer Materien aus den Generalrathsverhandlungen, den
Foreade de la Noquette den Präfekten zur Pflicht gemacht hatte, hat das
Verlangen nach Decentralisation der Verwaltung, größere Selbständigkeit der
Communalbeamten, Wählbarkeit der Maires u. s. w. zu einem allgemeinen
gemacht und eine g.ä Koe geschlossene Liga der größeren liberalen Provinzial-
Zeitungen herbeigeführt. Daß an eine Erreichung des angestrebten Zwecks
nicht zu denken ist, dieselbe wohl auch nur von einem kleinen Theil derer,
welche mitmachen, ernst gemeint ist, schränkt die Unbequemlichkeit dieser Agi¬
tation nicht ein, welche wesentlich dazu beiträgt, die Regierung unsicher, deren
Gegner vertrauensvoll und ungeduldig zu machen.

Von einer activen auswärtigen Politik hat bei so bewandten Umständen
natürlich kaum die Rede sein können, zumal der ehemalige Minister des Aus¬
wärtigen und jetzige Botschafter in London, Lavalette, der Befestigung seines
Nachfolgers des Fürsten Latour d'Auvergne, sichtlich im Wege gestanden hat.
Wenn viel geschah, nahm man an den Versuchen Englands Theil, zwischen Egyp-
ten und der Pfordte, Spanien und der nordamerikanischen Republik zu vermitteln.
— Dieses momentane Stillstehen der französischen Staatsmaschine ist für die
inneren Zustände des Staats ebenso verderblich, wie für das übrige Europa
vortheilhaft gewesen. Für Frankreich nimmt die Wahrscheinlichkeit chaotischen
Zusammenbrechens der gegenwärtigen Verhältnisse zu, für den übrigen Welt¬
theil die Erhaltung des Friedens. Ob es für uns Deutsche möglich sein
wird, die Früchte desselben einzuheimsen, ist freilich ebenso zweifelhaft geblieben,
wie vor der neuesten Catastrophe in der französischen Kaisergeschichte. Zu¬
nächst macht sich geltend, daß Unternehmungslust und Selbstvertrauen der
depossedirten Fürsten und ihres schwindenden Anhangs von Tag zu Tage
bergab gehen und daß die östreichisch-ungarische Diplomatie sich in die Noth¬
wendigkeit zu finden beginnt, mit der friedlichen Weltlage wenigstens vor¬
läufig Frieden zu schließen.

Inzwischen haben die in der Mehrzahl der cisleithanischen Provinzen zu¬
sammengetretenen Landtage den Lenker der> östreichischen Staatsgeschicke aufs
Neue daran erinnert, daß die Ausgleichung der nationalen und landschaft¬
lichen Gegensätze innerhalb des vielgliederigen Kaiserstaates eine nahezu un¬
lösbare Aufgabe ist. Selbst die beiden innerhalb des dualistischen Systems
vertretenen Gruppen sind schwer in Frieden zu erhalten und die außerordent¬
lich abfälligen Urtheile mit denen die Wiener Presse den Schluß der Dele¬
gationen begleitete, ließen durchsehen, daß der eine der beiden Füße, aus denen das
constitutionelle Oestreich steht, aus Thon und zwar aus schwachem Thon geformt
ist. Nach der etwas kurzathmiger Freude des deutsch-östreichischen Liberalis¬
mus über den Sieg, 'den die Negierung bei Gelegenheit der Schulrathswahlen
in Böhmen erfochten, sind die Ansprüche der slavischen Länder der Monarchie


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[0517] Ausschluß politischer Materien aus den Generalrathsverhandlungen, den Foreade de la Noquette den Präfekten zur Pflicht gemacht hatte, hat das Verlangen nach Decentralisation der Verwaltung, größere Selbständigkeit der Communalbeamten, Wählbarkeit der Maires u. s. w. zu einem allgemeinen gemacht und eine g.ä Koe geschlossene Liga der größeren liberalen Provinzial- Zeitungen herbeigeführt. Daß an eine Erreichung des angestrebten Zwecks nicht zu denken ist, dieselbe wohl auch nur von einem kleinen Theil derer, welche mitmachen, ernst gemeint ist, schränkt die Unbequemlichkeit dieser Agi¬ tation nicht ein, welche wesentlich dazu beiträgt, die Regierung unsicher, deren Gegner vertrauensvoll und ungeduldig zu machen. Von einer activen auswärtigen Politik hat bei so bewandten Umständen natürlich kaum die Rede sein können, zumal der ehemalige Minister des Aus¬ wärtigen und jetzige Botschafter in London, Lavalette, der Befestigung seines Nachfolgers des Fürsten Latour d'Auvergne, sichtlich im Wege gestanden hat. Wenn viel geschah, nahm man an den Versuchen Englands Theil, zwischen Egyp- ten und der Pfordte, Spanien und der nordamerikanischen Republik zu vermitteln. — Dieses momentane Stillstehen der französischen Staatsmaschine ist für die inneren Zustände des Staats ebenso verderblich, wie für das übrige Europa vortheilhaft gewesen. Für Frankreich nimmt die Wahrscheinlichkeit chaotischen Zusammenbrechens der gegenwärtigen Verhältnisse zu, für den übrigen Welt¬ theil die Erhaltung des Friedens. Ob es für uns Deutsche möglich sein wird, die Früchte desselben einzuheimsen, ist freilich ebenso zweifelhaft geblieben, wie vor der neuesten Catastrophe in der französischen Kaisergeschichte. Zu¬ nächst macht sich geltend, daß Unternehmungslust und Selbstvertrauen der depossedirten Fürsten und ihres schwindenden Anhangs von Tag zu Tage bergab gehen und daß die östreichisch-ungarische Diplomatie sich in die Noth¬ wendigkeit zu finden beginnt, mit der friedlichen Weltlage wenigstens vor¬ läufig Frieden zu schließen. Inzwischen haben die in der Mehrzahl der cisleithanischen Provinzen zu¬ sammengetretenen Landtage den Lenker der> östreichischen Staatsgeschicke aufs Neue daran erinnert, daß die Ausgleichung der nationalen und landschaft¬ lichen Gegensätze innerhalb des vielgliederigen Kaiserstaates eine nahezu un¬ lösbare Aufgabe ist. Selbst die beiden innerhalb des dualistischen Systems vertretenen Gruppen sind schwer in Frieden zu erhalten und die außerordent¬ lich abfälligen Urtheile mit denen die Wiener Presse den Schluß der Dele¬ gationen begleitete, ließen durchsehen, daß der eine der beiden Füße, aus denen das constitutionelle Oestreich steht, aus Thon und zwar aus schwachem Thon geformt ist. Nach der etwas kurzathmiger Freude des deutsch-östreichischen Liberalis¬ mus über den Sieg, 'den die Negierung bei Gelegenheit der Schulrathswahlen in Böhmen erfochten, sind die Ansprüche der slavischen Länder der Monarchie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/517>, abgerufen am 23.07.2024.