Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.nur selten die fürstliche Hand, sie mußten die Füße, die Säume des Kleides nur selten die fürstliche Hand, sie mußten die Füße, die Säume des Kleides <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0511" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121732"/> <p xml:id="ID_1550" prev="#ID_1549" next="#ID_1551"> nur selten die fürstliche Hand, sie mußten die Füße, die Säume des Kleides<lb/> ihrer Fürsten küssen, wurden von diesen mit der Tapaze — dem Fürsten-<lb/> stabe — geschlagen, ja sogar zu Bauern degradirt und gleich diesen ge¬<lb/> prügelt. Die barbarische Willkür der Fanarioten hatte eine vollständige<lb/> Rechtlosigkeit zur Folge, benahm den Individuen allen Halt, den ihnen die<lb/> fortwährend entweihten Kreise ihrer Familien nicht mehr zu geben vermochten.<lb/> Diese beständigen Verletzungen, Demüthigungen, Erniedrigungen und Ver«<lb/> höhnungen der heiligsten Gefühle mußten mit der Zeit die innere persönliche<lb/> Würde völlig abstumpfen. In dieser heillosen Wirthschaft, wo das Weib nur<lb/> zu oft durch Preisgebung zur Retterin seiner Familie werden mußte, liegt<lb/> der Keim jener Entsittlichung, die uns jetzt an den Rumänen so anstößig ist.<lb/> Wir dürfen nicht vergessen, daß diese Wirthschaft ein volles langes Jahr¬<lb/> hundert dauerte, in welcher Dauer sie Zeit hatte, alles höhere Leben bis in<lb/> den Keim hinein zu ertödten, alles für heilig gehaltene Althergebrachte, selbst<lb/> die Ehe, das Familienleben, die Verwandtschaftstreue u. s. w. zu zerstören<lb/> und den inneren ganzen Menschen, in seinen Gefühlen und Begriffen radical<lb/> und in jeder Beziehung zu demoralisiren. Ist es da zu verwundern, wenn<lb/> dieser aus solcher Sclaverei zur Selbständigkeit erwachte Adel einer länge¬<lb/> ren Zeit benöthigt, um wieder zu sich selbst zu kommen, zum Gefühl<lb/> menschlicher Würde zu erstarken — sich gleichsam selbst wiederzufinden?<lb/> Wir finden ihn gegenwärtig in einer solchen Uebergangsperiode, welche vor<lb/> ein paar Decennien natürlich ein noch viel drastischeres Gemälde darbot.<lb/> Hierin liegt der Schlüssel zur Lösung so manchen Räthsels in diesen Ländern<lb/> und namentlich zu dem brutalen Auftreten der russischen Consuln, die wie<lb/> Fanarioten verfahren zu müssen glaubten, um durchdringen zu können.<lb/> Fühlte sich doch auch der östreichische Beamte jener Zeit versucht, in noch<lb/> ärgerer Art vorzugehen. Ein östreichischer Consul ließ einem Bojaren aus<lb/> der Mittelklasse, der einen östreichischen, in seinen Diensten stehenden Unter¬<lb/> than mit Stockstreichen bestrafte, durch seine Corporäle aufpassen, und als<lb/> dieser eines Tages am Consulate vorüberfahren wollte, in dasselbe mit Gutem<lb/> oder Bösem bringen. Im Hofe angelangt, wurden die Thore gesperrt und<lb/> der Bojar erhielt nebst einer väterlichen Ermahnung die seinem Diener er¬<lb/> theilten Prügel in voller Zahl und auf dieselbe Weise auf einer Bank aus¬<lb/> gestreckt — auf gut östreichisch wieder. Nach dieser Execution durfte er<lb/> wieder in seinen Wagen steigen und wurde er zu dem gefeiten Hause höf¬<lb/> lich hinauscomplementirt- Die Sache wurde stadtkundig, sie hatte ja die<lb/> Diener des Bojaren zu Zeugen, aber sie hatte keine weiteren Folgen. —<lb/> Während der letzten Regierungszeit des Fürsten Stirbej in den fünfziger<lb/> Jahren machte der russische Consul diesem Fürsten eines Tages seinen Be¬<lb/> such. Der Fürst, obwohl in seinem Cabinette mit dringender Arbeit be-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0511]
nur selten die fürstliche Hand, sie mußten die Füße, die Säume des Kleides
ihrer Fürsten küssen, wurden von diesen mit der Tapaze — dem Fürsten-
stabe — geschlagen, ja sogar zu Bauern degradirt und gleich diesen ge¬
prügelt. Die barbarische Willkür der Fanarioten hatte eine vollständige
Rechtlosigkeit zur Folge, benahm den Individuen allen Halt, den ihnen die
fortwährend entweihten Kreise ihrer Familien nicht mehr zu geben vermochten.
Diese beständigen Verletzungen, Demüthigungen, Erniedrigungen und Ver«
höhnungen der heiligsten Gefühle mußten mit der Zeit die innere persönliche
Würde völlig abstumpfen. In dieser heillosen Wirthschaft, wo das Weib nur
zu oft durch Preisgebung zur Retterin seiner Familie werden mußte, liegt
der Keim jener Entsittlichung, die uns jetzt an den Rumänen so anstößig ist.
Wir dürfen nicht vergessen, daß diese Wirthschaft ein volles langes Jahr¬
hundert dauerte, in welcher Dauer sie Zeit hatte, alles höhere Leben bis in
den Keim hinein zu ertödten, alles für heilig gehaltene Althergebrachte, selbst
die Ehe, das Familienleben, die Verwandtschaftstreue u. s. w. zu zerstören
und den inneren ganzen Menschen, in seinen Gefühlen und Begriffen radical
und in jeder Beziehung zu demoralisiren. Ist es da zu verwundern, wenn
dieser aus solcher Sclaverei zur Selbständigkeit erwachte Adel einer länge¬
ren Zeit benöthigt, um wieder zu sich selbst zu kommen, zum Gefühl
menschlicher Würde zu erstarken — sich gleichsam selbst wiederzufinden?
Wir finden ihn gegenwärtig in einer solchen Uebergangsperiode, welche vor
ein paar Decennien natürlich ein noch viel drastischeres Gemälde darbot.
Hierin liegt der Schlüssel zur Lösung so manchen Räthsels in diesen Ländern
und namentlich zu dem brutalen Auftreten der russischen Consuln, die wie
Fanarioten verfahren zu müssen glaubten, um durchdringen zu können.
Fühlte sich doch auch der östreichische Beamte jener Zeit versucht, in noch
ärgerer Art vorzugehen. Ein östreichischer Consul ließ einem Bojaren aus
der Mittelklasse, der einen östreichischen, in seinen Diensten stehenden Unter¬
than mit Stockstreichen bestrafte, durch seine Corporäle aufpassen, und als
dieser eines Tages am Consulate vorüberfahren wollte, in dasselbe mit Gutem
oder Bösem bringen. Im Hofe angelangt, wurden die Thore gesperrt und
der Bojar erhielt nebst einer väterlichen Ermahnung die seinem Diener er¬
theilten Prügel in voller Zahl und auf dieselbe Weise auf einer Bank aus¬
gestreckt — auf gut östreichisch wieder. Nach dieser Execution durfte er
wieder in seinen Wagen steigen und wurde er zu dem gefeiten Hause höf¬
lich hinauscomplementirt- Die Sache wurde stadtkundig, sie hatte ja die
Diener des Bojaren zu Zeugen, aber sie hatte keine weiteren Folgen. —
Während der letzten Regierungszeit des Fürsten Stirbej in den fünfziger
Jahren machte der russische Consul diesem Fürsten eines Tages seinen Be¬
such. Der Fürst, obwohl in seinem Cabinette mit dringender Arbeit be-
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