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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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der Aufstand sich rasch über das Lager ausgedehnt, Otho ist Herr der Lage,
und Senat und Volk, die noch am Morgen im Hof des Palastes auf die
falsche Nachricht von Otho's Tod ihren Jubel laut werden ließen, eilen
Abends mit gleichem Jubel zu dem Sieger ins Lager. Auch die Urvater
finden sich schnell in den Wechsel: der neue Kaiser erscheint sofort als Magi¬
ster an Stelle seines Vorgängers, wie er desselben erledigtes Consulat über¬
nimmt. Der Antrittstag des Imperiums, wie der Tag der Consulwahl
(26. Januar) werden durch Opferhandlungen ausgezeichnet, und am 30.
werden die Gelübde vom 3. Januar feierlich auf Otho übertragen. Mit
demselben regelmäßigen Eifer begleitet das Collegium die Uebertragung der
tribunicischen Gewalt, der verschiedenen Pnesterthümer, zuletzt des Oberponti-
ficats auf Otho; ein Fest am 1. März wegen des auf dem Capitol nieder¬
gelegten Lorbeers bestätigt uns die von Tacitus gegebene Notiz, daß der
Kaiser den Sieg eines Legaten über die Sarmaten zu einem Triumph für
sich selbst ausbeutete. Daß es bei diesen Freudenbezeugungen den Brüdern
wohl zu Muthe war, dürfen wir bezweifeln. Schon näherte sich Vitellius,
noch vor Galba's Untergang von seinen deutschen Legionen zum Kaiser aus¬
gerufen, in siegreichem Marsch der italienischen Grenze, schon fielen ihm die
gallischen, britcmischen, spanischen Provinzen zu; Otho rüstete zum Ent¬
scheidungskamps. Tacitus malt uns die Stimmung der Hauptstadt, den
chronischen Schreckenszustand, die Scham der Edleren, daß für Leute vom
Gehalt eines Otho und Vitellius sich Cäsar's und August's Bürgerkriege er¬
neuern sollten, die Verwirrung der Meisten sich durch Parteinahme sür die
vielleicht unterliegende Sache zu compromittiren. Der allgemeine Zweifel,
wie er ihn faßt "soll man für Otho oder Vitellius in die Tempel gehen?"
empfängt durch unsere Acten eine merkwürdige Illustration. Vom Tag der
Abreise Otho's zum Heere (14. März) bis zu dem Zeitpunkt, da Vitellius'
Herrschaft gesichert und seine Ankunft bevorstehend ist (Ende Juni) ist das
Arvalencollegium factisch auf einen Bruder zusammengeschmolzen. Ein uns
sonst wenig bekannter L. Mäcius Postumus hat die Ausdauer, die hier fast
moralischer Muth genannt werden könnte, die Opferhandlungen dieser Periode,
auch das Maifest, als Promagister und einziger Assistent allein zu begehen:
seinen College" scheint die Feststimmung ausgegangen zu sein, soweit
sie nicht etwa Otho in den Krieg gefolgt sind. Am 14. März, dem Tage der
Abreise Otho's, bringt dieser Mäcius den Göttern Gelübde für das Heil und
die Rückkehr -- nicht Otho's, sondern des Vitellius, den er obenein eigen¬
mächtig zum Magister des Collegs macht/ Wenn hier nicht eine Actenfälschung
vorliegt -- denn unter Vitellius' Regierung sind diese Protokolle geschrieben
-- so müssen wir dem richtigen Calcül unseres Arvalbruders alle Ehre wieder¬
fahren lassen, der sich einen vollen Monat vor Vitellius' Sieg und Anerkennung


der Aufstand sich rasch über das Lager ausgedehnt, Otho ist Herr der Lage,
und Senat und Volk, die noch am Morgen im Hof des Palastes auf die
falsche Nachricht von Otho's Tod ihren Jubel laut werden ließen, eilen
Abends mit gleichem Jubel zu dem Sieger ins Lager. Auch die Urvater
finden sich schnell in den Wechsel: der neue Kaiser erscheint sofort als Magi¬
ster an Stelle seines Vorgängers, wie er desselben erledigtes Consulat über¬
nimmt. Der Antrittstag des Imperiums, wie der Tag der Consulwahl
(26. Januar) werden durch Opferhandlungen ausgezeichnet, und am 30.
werden die Gelübde vom 3. Januar feierlich auf Otho übertragen. Mit
demselben regelmäßigen Eifer begleitet das Collegium die Uebertragung der
tribunicischen Gewalt, der verschiedenen Pnesterthümer, zuletzt des Oberponti-
ficats auf Otho; ein Fest am 1. März wegen des auf dem Capitol nieder¬
gelegten Lorbeers bestätigt uns die von Tacitus gegebene Notiz, daß der
Kaiser den Sieg eines Legaten über die Sarmaten zu einem Triumph für
sich selbst ausbeutete. Daß es bei diesen Freudenbezeugungen den Brüdern
wohl zu Muthe war, dürfen wir bezweifeln. Schon näherte sich Vitellius,
noch vor Galba's Untergang von seinen deutschen Legionen zum Kaiser aus¬
gerufen, in siegreichem Marsch der italienischen Grenze, schon fielen ihm die
gallischen, britcmischen, spanischen Provinzen zu; Otho rüstete zum Ent¬
scheidungskamps. Tacitus malt uns die Stimmung der Hauptstadt, den
chronischen Schreckenszustand, die Scham der Edleren, daß für Leute vom
Gehalt eines Otho und Vitellius sich Cäsar's und August's Bürgerkriege er¬
neuern sollten, die Verwirrung der Meisten sich durch Parteinahme sür die
vielleicht unterliegende Sache zu compromittiren. Der allgemeine Zweifel,
wie er ihn faßt „soll man für Otho oder Vitellius in die Tempel gehen?"
empfängt durch unsere Acten eine merkwürdige Illustration. Vom Tag der
Abreise Otho's zum Heere (14. März) bis zu dem Zeitpunkt, da Vitellius'
Herrschaft gesichert und seine Ankunft bevorstehend ist (Ende Juni) ist das
Arvalencollegium factisch auf einen Bruder zusammengeschmolzen. Ein uns
sonst wenig bekannter L. Mäcius Postumus hat die Ausdauer, die hier fast
moralischer Muth genannt werden könnte, die Opferhandlungen dieser Periode,
auch das Maifest, als Promagister und einziger Assistent allein zu begehen:
seinen College» scheint die Feststimmung ausgegangen zu sein, soweit
sie nicht etwa Otho in den Krieg gefolgt sind. Am 14. März, dem Tage der
Abreise Otho's, bringt dieser Mäcius den Göttern Gelübde für das Heil und
die Rückkehr — nicht Otho's, sondern des Vitellius, den er obenein eigen¬
mächtig zum Magister des Collegs macht/ Wenn hier nicht eine Actenfälschung
vorliegt — denn unter Vitellius' Regierung sind diese Protokolle geschrieben
— so müssen wir dem richtigen Calcül unseres Arvalbruders alle Ehre wieder¬
fahren lassen, der sich einen vollen Monat vor Vitellius' Sieg und Anerkennung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/500>, abgerufen am 22.07.2024.