Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Arbeit ans Licht gebracht, die mit ihrem eigenthümlichen Stoff und ihrer
primitiven Ausführung in Rom ihres Gleichen nicht haben. Ebenso charak¬
teristisch für das hohe Alter des Collegiums sind die häufigen Sühnopfer,
welche nöthig werden, wenn Eisen in das Heiligthum oder den Hain ge¬
bracht worden war, die Jahresprotokolle einzugraben oder einen gefallenen
oder vom Blitz getroffenen Baum herauszuschaffen, oder neue Bäume zu
pflanzen. Der Dienst der Dea Dia erweist sich damit als in eine Periode
hinaufreichend, wo man das Eisen noch nicht anwendete: gerade in ältester
Zeit war strenge Vorschrift, bei heiligen Handlungen und Gründungen sich
bronzener Gerätschaften zu bedienen, und die heilige "Holzbrücke" über den
Tiber durfte nicht einen Nagel von Eisen haben.

Dies sind Reste altheiliger Brauchs, der, vielleicht unverstanden, wie
seine Litanei, doch mit römischer Zähigkeit festgehalten ward. Aber das
Maifest der Göttin mit den zugehörigen Ceremonien nimmt sich wie eine
ehrwürdige Ruine aus in der Masse neuer, den modernen Verhältnissen ent¬
sprechender Funktionen, die jetzt das Arvalenalbum füllen. Der Gegensatz
springt in die Augen; das Arvalcncollegium der Kaiserzeit in unseren Ur¬
kunden ist nicht mehr die einfache Corporation, welcher die Verehrung
der Flurgottin anvertraut ist; es ist eine neue Priesterschaft mit dem
ganzen Apparat einer solchen, oder besser ein Orden privilegirter Leute, der
dem Kaiser nahe steht und den Cult der herrschenden Dynastie ganz speciell zu
seiner Aufgabe macht. Das Institut erscheint jetzt mit einem neuen Glanz
umgeben, zugleich ein neuer Trabant, der um die kaiserliche Sonne kreist.
Es lag ganz im Geist von August's Reformpolitik und im System seines
Neubaues, die alttraditionellen Formen mit neuem Inhalt zu erfüllen, zu
erweitern und zu vervielfältigen: eine scheinbare Bereicherung, der in der
That die Eigenart und Selbständigkeit der Institute zum Opfer siel. Das
galt besonders auch für die Priestercollegien, in welchen die Kaiser eine
Hauptstütze ihrer Macht suchen mußten; wie sie denn auch durch Cumulation
der höchsten Priesterämter auf ihrem Haupt sich diesen Einfluß sicherten.

, So treten die Urvater jetzt als eine neue Stiftung neben die übrigen
Priestercollegien; bei Weitem den größten Theil ihrer heiligen Handlungen,
welche die Protocolle zu verzeichnen haben, nehmen die jährlichen Gelübde
für das Wohl des Kaisers und des kaiserlichen Hauses, für die Ewigkeit des
Reiches, Gebete und Opfer für die Gesundheit, die glückliche Rückkehr, die
Siege des Kaisers. Feier von Geburtstagen und Consecrationen und ande¬
ren mehr oder minder wichtigen Vorgängen in der kaiserlichen Familie in
Anspruch. Und diese Opfer und Gelübde richten sich nur in äußerst seltenen
Ausnahmefällen an die Dea Dia. die Patronin der Urvater; in erster Linie
stehen jetzt die capitolinischen Gottheiten Jupiter, Juno und Minerva, denen


Arbeit ans Licht gebracht, die mit ihrem eigenthümlichen Stoff und ihrer
primitiven Ausführung in Rom ihres Gleichen nicht haben. Ebenso charak¬
teristisch für das hohe Alter des Collegiums sind die häufigen Sühnopfer,
welche nöthig werden, wenn Eisen in das Heiligthum oder den Hain ge¬
bracht worden war, die Jahresprotokolle einzugraben oder einen gefallenen
oder vom Blitz getroffenen Baum herauszuschaffen, oder neue Bäume zu
pflanzen. Der Dienst der Dea Dia erweist sich damit als in eine Periode
hinaufreichend, wo man das Eisen noch nicht anwendete: gerade in ältester
Zeit war strenge Vorschrift, bei heiligen Handlungen und Gründungen sich
bronzener Gerätschaften zu bedienen, und die heilige „Holzbrücke" über den
Tiber durfte nicht einen Nagel von Eisen haben.

Dies sind Reste altheiliger Brauchs, der, vielleicht unverstanden, wie
seine Litanei, doch mit römischer Zähigkeit festgehalten ward. Aber das
Maifest der Göttin mit den zugehörigen Ceremonien nimmt sich wie eine
ehrwürdige Ruine aus in der Masse neuer, den modernen Verhältnissen ent¬
sprechender Funktionen, die jetzt das Arvalenalbum füllen. Der Gegensatz
springt in die Augen; das Arvalcncollegium der Kaiserzeit in unseren Ur¬
kunden ist nicht mehr die einfache Corporation, welcher die Verehrung
der Flurgottin anvertraut ist; es ist eine neue Priesterschaft mit dem
ganzen Apparat einer solchen, oder besser ein Orden privilegirter Leute, der
dem Kaiser nahe steht und den Cult der herrschenden Dynastie ganz speciell zu
seiner Aufgabe macht. Das Institut erscheint jetzt mit einem neuen Glanz
umgeben, zugleich ein neuer Trabant, der um die kaiserliche Sonne kreist.
Es lag ganz im Geist von August's Reformpolitik und im System seines
Neubaues, die alttraditionellen Formen mit neuem Inhalt zu erfüllen, zu
erweitern und zu vervielfältigen: eine scheinbare Bereicherung, der in der
That die Eigenart und Selbständigkeit der Institute zum Opfer siel. Das
galt besonders auch für die Priestercollegien, in welchen die Kaiser eine
Hauptstütze ihrer Macht suchen mußten; wie sie denn auch durch Cumulation
der höchsten Priesterämter auf ihrem Haupt sich diesen Einfluß sicherten.

, So treten die Urvater jetzt als eine neue Stiftung neben die übrigen
Priestercollegien; bei Weitem den größten Theil ihrer heiligen Handlungen,
welche die Protocolle zu verzeichnen haben, nehmen die jährlichen Gelübde
für das Wohl des Kaisers und des kaiserlichen Hauses, für die Ewigkeit des
Reiches, Gebete und Opfer für die Gesundheit, die glückliche Rückkehr, die
Siege des Kaisers. Feier von Geburtstagen und Consecrationen und ande¬
ren mehr oder minder wichtigen Vorgängen in der kaiserlichen Familie in
Anspruch. Und diese Opfer und Gelübde richten sich nur in äußerst seltenen
Ausnahmefällen an die Dea Dia. die Patronin der Urvater; in erster Linie
stehen jetzt die capitolinischen Gottheiten Jupiter, Juno und Minerva, denen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0494" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121715"/>
          <p xml:id="ID_1515" prev="#ID_1514"> Arbeit ans Licht gebracht, die mit ihrem eigenthümlichen Stoff und ihrer<lb/>
primitiven Ausführung in Rom ihres Gleichen nicht haben. Ebenso charak¬<lb/>
teristisch für das hohe Alter des Collegiums sind die häufigen Sühnopfer,<lb/>
welche nöthig werden, wenn Eisen in das Heiligthum oder den Hain ge¬<lb/>
bracht worden war, die Jahresprotokolle einzugraben oder einen gefallenen<lb/>
oder vom Blitz getroffenen Baum herauszuschaffen, oder neue Bäume zu<lb/>
pflanzen. Der Dienst der Dea Dia erweist sich damit als in eine Periode<lb/>
hinaufreichend, wo man das Eisen noch nicht anwendete: gerade in ältester<lb/>
Zeit war strenge Vorschrift, bei heiligen Handlungen und Gründungen sich<lb/>
bronzener Gerätschaften zu bedienen, und die heilige &#x201E;Holzbrücke" über den<lb/>
Tiber durfte nicht einen Nagel von Eisen haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1516"> Dies sind Reste altheiliger Brauchs, der, vielleicht unverstanden, wie<lb/>
seine Litanei, doch mit römischer Zähigkeit festgehalten ward. Aber das<lb/>
Maifest der Göttin mit den zugehörigen Ceremonien nimmt sich wie eine<lb/>
ehrwürdige Ruine aus in der Masse neuer, den modernen Verhältnissen ent¬<lb/>
sprechender Funktionen, die jetzt das Arvalenalbum füllen. Der Gegensatz<lb/>
springt in die Augen; das Arvalcncollegium der Kaiserzeit in unseren Ur¬<lb/>
kunden ist nicht mehr die einfache Corporation, welcher die Verehrung<lb/>
der Flurgottin anvertraut ist; es ist eine neue Priesterschaft mit dem<lb/>
ganzen Apparat einer solchen, oder besser ein Orden privilegirter Leute, der<lb/>
dem Kaiser nahe steht und den Cult der herrschenden Dynastie ganz speciell zu<lb/>
seiner Aufgabe macht. Das Institut erscheint jetzt mit einem neuen Glanz<lb/>
umgeben, zugleich ein neuer Trabant, der um die kaiserliche Sonne kreist.<lb/>
Es lag ganz im Geist von August's Reformpolitik und im System seines<lb/>
Neubaues, die alttraditionellen Formen mit neuem Inhalt zu erfüllen, zu<lb/>
erweitern und zu vervielfältigen: eine scheinbare Bereicherung, der in der<lb/>
That die Eigenart und Selbständigkeit der Institute zum Opfer siel. Das<lb/>
galt besonders auch für die Priestercollegien, in welchen die Kaiser eine<lb/>
Hauptstütze ihrer Macht suchen mußten; wie sie denn auch durch Cumulation<lb/>
der höchsten Priesterämter auf ihrem Haupt sich diesen Einfluß sicherten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1517" next="#ID_1518"> , So treten die Urvater jetzt als eine neue Stiftung neben die übrigen<lb/>
Priestercollegien; bei Weitem den größten Theil ihrer heiligen Handlungen,<lb/>
welche die Protocolle zu verzeichnen haben, nehmen die jährlichen Gelübde<lb/>
für das Wohl des Kaisers und des kaiserlichen Hauses, für die Ewigkeit des<lb/>
Reiches, Gebete und Opfer für die Gesundheit, die glückliche Rückkehr, die<lb/>
Siege des Kaisers. Feier von Geburtstagen und Consecrationen und ande¬<lb/>
ren mehr oder minder wichtigen Vorgängen in der kaiserlichen Familie in<lb/>
Anspruch. Und diese Opfer und Gelübde richten sich nur in äußerst seltenen<lb/>
Ausnahmefällen an die Dea Dia. die Patronin der Urvater; in erster Linie<lb/>
stehen jetzt die capitolinischen Gottheiten Jupiter, Juno und Minerva, denen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0494] Arbeit ans Licht gebracht, die mit ihrem eigenthümlichen Stoff und ihrer primitiven Ausführung in Rom ihres Gleichen nicht haben. Ebenso charak¬ teristisch für das hohe Alter des Collegiums sind die häufigen Sühnopfer, welche nöthig werden, wenn Eisen in das Heiligthum oder den Hain ge¬ bracht worden war, die Jahresprotokolle einzugraben oder einen gefallenen oder vom Blitz getroffenen Baum herauszuschaffen, oder neue Bäume zu pflanzen. Der Dienst der Dea Dia erweist sich damit als in eine Periode hinaufreichend, wo man das Eisen noch nicht anwendete: gerade in ältester Zeit war strenge Vorschrift, bei heiligen Handlungen und Gründungen sich bronzener Gerätschaften zu bedienen, und die heilige „Holzbrücke" über den Tiber durfte nicht einen Nagel von Eisen haben. Dies sind Reste altheiliger Brauchs, der, vielleicht unverstanden, wie seine Litanei, doch mit römischer Zähigkeit festgehalten ward. Aber das Maifest der Göttin mit den zugehörigen Ceremonien nimmt sich wie eine ehrwürdige Ruine aus in der Masse neuer, den modernen Verhältnissen ent¬ sprechender Funktionen, die jetzt das Arvalenalbum füllen. Der Gegensatz springt in die Augen; das Arvalcncollegium der Kaiserzeit in unseren Ur¬ kunden ist nicht mehr die einfache Corporation, welcher die Verehrung der Flurgottin anvertraut ist; es ist eine neue Priesterschaft mit dem ganzen Apparat einer solchen, oder besser ein Orden privilegirter Leute, der dem Kaiser nahe steht und den Cult der herrschenden Dynastie ganz speciell zu seiner Aufgabe macht. Das Institut erscheint jetzt mit einem neuen Glanz umgeben, zugleich ein neuer Trabant, der um die kaiserliche Sonne kreist. Es lag ganz im Geist von August's Reformpolitik und im System seines Neubaues, die alttraditionellen Formen mit neuem Inhalt zu erfüllen, zu erweitern und zu vervielfältigen: eine scheinbare Bereicherung, der in der That die Eigenart und Selbständigkeit der Institute zum Opfer siel. Das galt besonders auch für die Priestercollegien, in welchen die Kaiser eine Hauptstütze ihrer Macht suchen mußten; wie sie denn auch durch Cumulation der höchsten Priesterämter auf ihrem Haupt sich diesen Einfluß sicherten. , So treten die Urvater jetzt als eine neue Stiftung neben die übrigen Priestercollegien; bei Weitem den größten Theil ihrer heiligen Handlungen, welche die Protocolle zu verzeichnen haben, nehmen die jährlichen Gelübde für das Wohl des Kaisers und des kaiserlichen Hauses, für die Ewigkeit des Reiches, Gebete und Opfer für die Gesundheit, die glückliche Rückkehr, die Siege des Kaisers. Feier von Geburtstagen und Consecrationen und ande¬ ren mehr oder minder wichtigen Vorgängen in der kaiserlichen Familie in Anspruch. Und diese Opfer und Gelübde richten sich nur in äußerst seltenen Ausnahmefällen an die Dea Dia. die Patronin der Urvater; in erster Linie stehen jetzt die capitolinischen Gottheiten Jupiter, Juno und Minerva, denen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/494
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/494>, abgerufen am 24.08.2024.