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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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voll compromittirte. An Zahl wie an Bedeutung sind die Bayern den
Uebrigen vielleicht gewachsen, so daß Eintritt in eine fortlaufende regelmäßige
Verbindung für sie nichts weniger bedeutete als Unterordnung. Im Gegen¬
theil können sie, wenn sie sich des Vortheils solchen Zusammenhangs mit
Geschick und Kraft zu bedienen wissen, auch für den Kampf mit ihren ein¬
heimischen Gegnern daraus nur gewinnen, und am Ende gar jene ministeri¬
elle Position verstärken, der zu Gefallen ihre Schritte bisher so leicht auf¬
traten und so bescheiden ausgriffen.

Eine der nächsten Aufgaben der hergestellten süddeutschen Nationalpartei
würde sein müssen, ihre Vertretung in der Tagespresse zu verstärken. Zumal
im Nordwesten, wo der Main zum Rhein strömt, fehlt es ganz an den
wünschenswerthen größeren Organen. Die Frankfurter Presse steht unter
dem Einfluß der verbitterten örtlichen Meinung, während die Lahnkreise,
denen sie dient, zu einem großen Theile gern die belebende, ermuthigende
Sprache einer positiven und activen Neformpolitik vernehmen würden. Man
sollte mindestens die Mainzeitung, das Organ der hessischen Fortschrittspartei,
das jetzt an der Darm erscheint, an den Main verlegen, und ein Blatt des
Umfangs aus ihr machen, daß sie die längst fällige Erbschaft des Frank¬
furter Journals in nationalgesinnten Kreisen auch über Hessen hinaus anzu¬
treten vermöchte.

Der künftige Geschichtschreiber wird Mühe haben zu verstehen, wie eine
Partei soviel gediegene und glänzende schriftstellerische Kräfte in sich vereinigen
konnte und doch gerade auf den entscheidenden Punkten d. h. in erster Linie
Berlin, in zweiter Frankfurt am Main, jahrelang so wenig Gebrauch von
ihnen machte. Das Talent der Bamberger, Braun, Gildemeister, Alexander
Meyer, Oppenheim u. A, verzettelt sich in Provinzialzeitungen; die ehemaligen
Redner des Natioualvereins wie Rochau und Nagel scheinen ganz zu ruhen,
nicht aus innewohnender Erschlaffung, sondern aus Mangel an entsprechen¬
der Verwendung. Die Partei und ihre Führer sind dafür verantwortlich
zu machen, daß eine solche passive Verschwendung mit tüchtigen Kräften getrieben
wird, während doch die Lage des Vaterlandes noch immer von Allen die
höchsten Anstrengungen erheischt.

Eine wohlorganisirte Presse, die wenigstens auf den Hciuplposten Blät¬
ter ersten Ranges aufstellte, würde ein ganz anderes Gefühl der Soli¬
darität unter den zerstreut fechtenden Bestandtheilen der Partei wecken
und wacherhalten, als jetzt in der Mehrzahl lebt. Sie würde jedem Ein¬
zelnen den Muth erhöhen, Alle übereinstimmender und geschlossenener han¬
deln machen. Aber auch nach außenhin könnte sie Deutschland wesentliche
Dienste thun. Gegenwärtig verschwindet für das Ausland das nationale
Bewußtsein zu sehr hinter des Grafen Bismarck einzelner Gestalt. Eine täglich


voll compromittirte. An Zahl wie an Bedeutung sind die Bayern den
Uebrigen vielleicht gewachsen, so daß Eintritt in eine fortlaufende regelmäßige
Verbindung für sie nichts weniger bedeutete als Unterordnung. Im Gegen¬
theil können sie, wenn sie sich des Vortheils solchen Zusammenhangs mit
Geschick und Kraft zu bedienen wissen, auch für den Kampf mit ihren ein¬
heimischen Gegnern daraus nur gewinnen, und am Ende gar jene ministeri¬
elle Position verstärken, der zu Gefallen ihre Schritte bisher so leicht auf¬
traten und so bescheiden ausgriffen.

Eine der nächsten Aufgaben der hergestellten süddeutschen Nationalpartei
würde sein müssen, ihre Vertretung in der Tagespresse zu verstärken. Zumal
im Nordwesten, wo der Main zum Rhein strömt, fehlt es ganz an den
wünschenswerthen größeren Organen. Die Frankfurter Presse steht unter
dem Einfluß der verbitterten örtlichen Meinung, während die Lahnkreise,
denen sie dient, zu einem großen Theile gern die belebende, ermuthigende
Sprache einer positiven und activen Neformpolitik vernehmen würden. Man
sollte mindestens die Mainzeitung, das Organ der hessischen Fortschrittspartei,
das jetzt an der Darm erscheint, an den Main verlegen, und ein Blatt des
Umfangs aus ihr machen, daß sie die längst fällige Erbschaft des Frank¬
furter Journals in nationalgesinnten Kreisen auch über Hessen hinaus anzu¬
treten vermöchte.

Der künftige Geschichtschreiber wird Mühe haben zu verstehen, wie eine
Partei soviel gediegene und glänzende schriftstellerische Kräfte in sich vereinigen
konnte und doch gerade auf den entscheidenden Punkten d. h. in erster Linie
Berlin, in zweiter Frankfurt am Main, jahrelang so wenig Gebrauch von
ihnen machte. Das Talent der Bamberger, Braun, Gildemeister, Alexander
Meyer, Oppenheim u. A, verzettelt sich in Provinzialzeitungen; die ehemaligen
Redner des Natioualvereins wie Rochau und Nagel scheinen ganz zu ruhen,
nicht aus innewohnender Erschlaffung, sondern aus Mangel an entsprechen¬
der Verwendung. Die Partei und ihre Führer sind dafür verantwortlich
zu machen, daß eine solche passive Verschwendung mit tüchtigen Kräften getrieben
wird, während doch die Lage des Vaterlandes noch immer von Allen die
höchsten Anstrengungen erheischt.

Eine wohlorganisirte Presse, die wenigstens auf den Hciuplposten Blät¬
ter ersten Ranges aufstellte, würde ein ganz anderes Gefühl der Soli¬
darität unter den zerstreut fechtenden Bestandtheilen der Partei wecken
und wacherhalten, als jetzt in der Mehrzahl lebt. Sie würde jedem Ein¬
zelnen den Muth erhöhen, Alle übereinstimmender und geschlossenener han¬
deln machen. Aber auch nach außenhin könnte sie Deutschland wesentliche
Dienste thun. Gegenwärtig verschwindet für das Ausland das nationale
Bewußtsein zu sehr hinter des Grafen Bismarck einzelner Gestalt. Eine täglich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/479>, abgerufen am 22.07.2024.