Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.sitas und Andere, von denen uns die Geschichte kaum mehr als die Namen Es liegt auf der Hand, wie durch eine solche Darstellung der wirkliche sitas und Andere, von denen uns die Geschichte kaum mehr als die Namen Es liegt auf der Hand, wie durch eine solche Darstellung der wirkliche <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0455" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121676"/> <p xml:id="ID_1407" prev="#ID_1406"> sitas und Andere, von denen uns die Geschichte kaum mehr als die Namen<lb/> aufbewahrt hat, durch die Alles verdrängende Persönlichkeit des Paulus um<lb/> ihren Theil des Ruhmes betrogen worden seien. Mit wahrer Idiosynkrasie<lb/> sucht er das Mittelmäßige auf, um es auf Kosten starker Naturen zu erheben.<lb/> Das geht so weit, daß er andererseits auch den Paulus wieder auf das Ni¬<lb/> veau der Mittelmäßigkeit herabzudrücken bemüht ist. Denn er läßt ihm nicht<lb/> einmal den Ruhm der Schroffheit und der unbeugsamen Consequenz. Hier<lb/> nimmt er nämlich alle jene Züge aus der Apostelgeschichte auf, welche den<lb/> Paulus als frommen Gesetzesmann der judenchristlichen Partei empfehlen<lb/> sollen. Er, der Störenfried, wird doch wieder als ein Mann geschildert,<lb/> der die Dinge nie auf die Spitze treiben mag und bei Zeiten nachgiebt. Dem<lb/> klaren Zeugniß des Galaterbriefs entgegen nimmt Renan sogar an, daß<lb/> Paulus bei seiner Zusammenkunft in Jerusalem, zu welcher er den Titus<lb/> ausdrücklich als ein lebendiges Zeugniß des Heidenchristenthums mitnahm,<lb/> seine Einwilligung zu der von den Jerusalemiten verlangten Beschneidung des<lb/> Titus gegeben habe. Wenn Paulus im Galaterbrief sage, Titus sei nicht<lb/> zur Beschneidung gezwungen worden, so sei dies nur ein „origineller Aus¬<lb/> druck", der vielmehr sagen wolle, allerdings sei Titus beschnitten worden,<lb/> nur habe er sich damit nicht im Princip unterworfen, sondern blos, um<lb/> Friede zu behalten, ein Zugeständnis) gemacht. So läßt denn auch Renan<lb/> den Apostel die wiederholten Reisen nach Jerusalem machen, die ihn als ge¬<lb/> wissenhaften Beobachter des Gesetzes charakterisiren sollen, von denen aber die<lb/> Briefe nichts wissen; ja Paulus muß schließlich den Judenchristen das Opfer<lb/> bringen, daß er die nasiräischen Gelübde, eine siebentägige Uebung rabbini-<lb/> scher, aberwitziger Gebräuche übernimmt, was, wie Hausrath treffend bemerkt,<lb/> grade so glaublich ist, als daß Luther in seinem Alter auf Erbsen nach Ein¬<lb/> siedeln gewallfahrtet oder daß Calvin auf seinem Todtenbett der heiligen<lb/> Mutter Gottes einen goldenen Rock gelobt habe.</p><lb/> <p xml:id="ID_1408" next="#ID_1409"> Es liegt auf der Hand, wie durch eine solche Darstellung der wirkliche<lb/> Charakter jener Parteikämpfe, die sich an das Auftreten, des Paulus knüpf¬<lb/> ten, verwischt wird. Man begreift gar nicht das gewaltige Feuer in den<lb/> Briefen des Apostels, den Zorn, der ihn nach Jahren noch übermannte, wenn<lb/> er auf jene Begegnungen mit den Uraposteln zu reden kam. Der Zweck, die<lb/> Veranlassung dieser Briefe wird unverständlich, und vor Allem wird es der<lb/> Charakter des Paulus. Erscheint doch sein Thun zusammenhangslos, schwach,<lb/> willkürlich. Ueberhaupt versucht man vergebens, aus den widerstreitenden<lb/> Zügen, die Renan austrägt, sich ein harmonisches Bild von der Persönlich¬<lb/> keit des Apostels zusammenzusetzen. Der „kleine häßliche Jude", wie ihn<lb/> Renan mehr als einmal nennt, wird fast in demselben Athem als „von ge¬<lb/> winnender Anmuth" gerühmt. Ueberraschende Sanftmuth und Zartheit und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0455]
sitas und Andere, von denen uns die Geschichte kaum mehr als die Namen
aufbewahrt hat, durch die Alles verdrängende Persönlichkeit des Paulus um
ihren Theil des Ruhmes betrogen worden seien. Mit wahrer Idiosynkrasie
sucht er das Mittelmäßige auf, um es auf Kosten starker Naturen zu erheben.
Das geht so weit, daß er andererseits auch den Paulus wieder auf das Ni¬
veau der Mittelmäßigkeit herabzudrücken bemüht ist. Denn er läßt ihm nicht
einmal den Ruhm der Schroffheit und der unbeugsamen Consequenz. Hier
nimmt er nämlich alle jene Züge aus der Apostelgeschichte auf, welche den
Paulus als frommen Gesetzesmann der judenchristlichen Partei empfehlen
sollen. Er, der Störenfried, wird doch wieder als ein Mann geschildert,
der die Dinge nie auf die Spitze treiben mag und bei Zeiten nachgiebt. Dem
klaren Zeugniß des Galaterbriefs entgegen nimmt Renan sogar an, daß
Paulus bei seiner Zusammenkunft in Jerusalem, zu welcher er den Titus
ausdrücklich als ein lebendiges Zeugniß des Heidenchristenthums mitnahm,
seine Einwilligung zu der von den Jerusalemiten verlangten Beschneidung des
Titus gegeben habe. Wenn Paulus im Galaterbrief sage, Titus sei nicht
zur Beschneidung gezwungen worden, so sei dies nur ein „origineller Aus¬
druck", der vielmehr sagen wolle, allerdings sei Titus beschnitten worden,
nur habe er sich damit nicht im Princip unterworfen, sondern blos, um
Friede zu behalten, ein Zugeständnis) gemacht. So läßt denn auch Renan
den Apostel die wiederholten Reisen nach Jerusalem machen, die ihn als ge¬
wissenhaften Beobachter des Gesetzes charakterisiren sollen, von denen aber die
Briefe nichts wissen; ja Paulus muß schließlich den Judenchristen das Opfer
bringen, daß er die nasiräischen Gelübde, eine siebentägige Uebung rabbini-
scher, aberwitziger Gebräuche übernimmt, was, wie Hausrath treffend bemerkt,
grade so glaublich ist, als daß Luther in seinem Alter auf Erbsen nach Ein¬
siedeln gewallfahrtet oder daß Calvin auf seinem Todtenbett der heiligen
Mutter Gottes einen goldenen Rock gelobt habe.
Es liegt auf der Hand, wie durch eine solche Darstellung der wirkliche
Charakter jener Parteikämpfe, die sich an das Auftreten, des Paulus knüpf¬
ten, verwischt wird. Man begreift gar nicht das gewaltige Feuer in den
Briefen des Apostels, den Zorn, der ihn nach Jahren noch übermannte, wenn
er auf jene Begegnungen mit den Uraposteln zu reden kam. Der Zweck, die
Veranlassung dieser Briefe wird unverständlich, und vor Allem wird es der
Charakter des Paulus. Erscheint doch sein Thun zusammenhangslos, schwach,
willkürlich. Ueberhaupt versucht man vergebens, aus den widerstreitenden
Zügen, die Renan austrägt, sich ein harmonisches Bild von der Persönlich¬
keit des Apostels zusammenzusetzen. Der „kleine häßliche Jude", wie ihn
Renan mehr als einmal nennt, wird fast in demselben Athem als „von ge¬
winnender Anmuth" gerühmt. Ueberraschende Sanftmuth und Zartheit und
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