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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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stehenden Felde ist schwach vertreten: H. Gärtner's edler Wohllaut fehlt in
dem Concert, wenn auch Hummel in Weimar, R. Hoffmann in Wien,
Rau in Dresden achtungswerthe Kraft der Composition zeigen und Dreber-
Franz in Rom mit einem colossalen Bilde den kühnen Versuch wagt,
eine ganze Gebirgswelt auf ein Mal zu schildern, ein Bild, das leider zugleich
Leiter und Loupe verlangt, um gewürdigt werden zu können.

Ein einziges französisches Bild, P. Fla ndrin's "Erinnerung aus
der römischen Campagna" -- freilich sehr absichtsvoll und monoton stilisirt
-- zählt in diese Classe. Um so lebhafter wird es im Bereich der Veduten-
und landschaftlichen Stimmungsmalerei. Und sie hat treffliche Dinge auf¬
zuweisen, obgleich die erste Größe dieser zweiten Reihe. Lessing, fehlt, den
wir hier weit mehr vermissen als im Historienfach. Wem die Brüder Andreas
und Oswald Ueberhand das ^ und 0 der Landschaftskunst scheinen --
so sind sie in Düsseldorf alles Ernstes genannt worden -- der vergißt, daß
wenn nicht zwischen, so doch außerhalb ihrer eben noch ein ganzes Alsaber
von Möglichkeiten Platz hat. So schön Andreas complicirte Form- und
Lichteffecte zur Geltung zu bringen weiß -- wie hier in einem holländischen
Motiv -- seine künstlerische Bildung schützt ihn so wenig vor Dürftigkeiten
wie den Bruder Oswald seine größere Fertigkeit und das beschleunigte Tempo
der Mache vor Häßlichkeiten bewahrt. Sein Stolz ist, an Italien nun einmal
blos das Ordinäre zu sehn und in seinen Bildern sagen zu können: das Land,
wo die Orangen blühn, besteht aus eitel Dreck und Feuer. Nun wol, man
muß ihm glauben; denn was er macht, ist unwidersprechlich: gewiß, so wie
er's malt, sieht es aus, wenn die neapolitanischen Fischer beim Scirocco am
Quai entlang lungern oder wenn ein Cardinal, von den tuoelü des Land¬
pöbels begrüßt, die verwitterten Stufen einer römischen Bergstadt herabstrahlt,
und für den Preis, den diese Veduten machen, kann man hingehn, um sich
mit eigenen Augen zu überzeugen. Aber das wird Alles mit einer gewissen
Schadenfreude als die Wirklichkeit Italiens den Idealisten vors Gesicht ge¬
rückt. Von Goethe zeichnete bekanntlich einst Jemand ein Porträt, als der
Göttersohn gerade zum Fenster hinaussah. Es war frappant getroffen --
aber von hinten. -- Mit ganz andrem Sinne und doch ohne alle Prciten-
tion und Schwärmerei, sondern hübsch nüchtern und real erfaßt Valen¬
tin Ruths in Hamburg seine italienischen Motive: da ist die Zeichnung der
Form, welche die Natur wirklich hat, nicht weggeleugnet und die freie klare
Modellirung des Terrains mit dem Tastsinn verfolgt, der den inwohnenden
Rhythmus nachzuempfinden vermag. Lieber noch sehen wir den wenig be¬
kannten , kürzlich zum Mitgliede der Berliner Akademie erwählten Künstler
die Natur seiner Heimath schildern: die holsteinische Haide oder die Geest,
das Bodenleben der feuchten Niederungen oder sterilen Campagnen weiß er


stehenden Felde ist schwach vertreten: H. Gärtner's edler Wohllaut fehlt in
dem Concert, wenn auch Hummel in Weimar, R. Hoffmann in Wien,
Rau in Dresden achtungswerthe Kraft der Composition zeigen und Dreber-
Franz in Rom mit einem colossalen Bilde den kühnen Versuch wagt,
eine ganze Gebirgswelt auf ein Mal zu schildern, ein Bild, das leider zugleich
Leiter und Loupe verlangt, um gewürdigt werden zu können.

Ein einziges französisches Bild, P. Fla ndrin's „Erinnerung aus
der römischen Campagna" — freilich sehr absichtsvoll und monoton stilisirt
— zählt in diese Classe. Um so lebhafter wird es im Bereich der Veduten-
und landschaftlichen Stimmungsmalerei. Und sie hat treffliche Dinge auf¬
zuweisen, obgleich die erste Größe dieser zweiten Reihe. Lessing, fehlt, den
wir hier weit mehr vermissen als im Historienfach. Wem die Brüder Andreas
und Oswald Ueberhand das ^ und 0 der Landschaftskunst scheinen —
so sind sie in Düsseldorf alles Ernstes genannt worden — der vergißt, daß
wenn nicht zwischen, so doch außerhalb ihrer eben noch ein ganzes Alsaber
von Möglichkeiten Platz hat. So schön Andreas complicirte Form- und
Lichteffecte zur Geltung zu bringen weiß — wie hier in einem holländischen
Motiv — seine künstlerische Bildung schützt ihn so wenig vor Dürftigkeiten
wie den Bruder Oswald seine größere Fertigkeit und das beschleunigte Tempo
der Mache vor Häßlichkeiten bewahrt. Sein Stolz ist, an Italien nun einmal
blos das Ordinäre zu sehn und in seinen Bildern sagen zu können: das Land,
wo die Orangen blühn, besteht aus eitel Dreck und Feuer. Nun wol, man
muß ihm glauben; denn was er macht, ist unwidersprechlich: gewiß, so wie
er's malt, sieht es aus, wenn die neapolitanischen Fischer beim Scirocco am
Quai entlang lungern oder wenn ein Cardinal, von den tuoelü des Land¬
pöbels begrüßt, die verwitterten Stufen einer römischen Bergstadt herabstrahlt,
und für den Preis, den diese Veduten machen, kann man hingehn, um sich
mit eigenen Augen zu überzeugen. Aber das wird Alles mit einer gewissen
Schadenfreude als die Wirklichkeit Italiens den Idealisten vors Gesicht ge¬
rückt. Von Goethe zeichnete bekanntlich einst Jemand ein Porträt, als der
Göttersohn gerade zum Fenster hinaussah. Es war frappant getroffen —
aber von hinten. — Mit ganz andrem Sinne und doch ohne alle Prciten-
tion und Schwärmerei, sondern hübsch nüchtern und real erfaßt Valen¬
tin Ruths in Hamburg seine italienischen Motive: da ist die Zeichnung der
Form, welche die Natur wirklich hat, nicht weggeleugnet und die freie klare
Modellirung des Terrains mit dem Tastsinn verfolgt, der den inwohnenden
Rhythmus nachzuempfinden vermag. Lieber noch sehen wir den wenig be¬
kannten , kürzlich zum Mitgliede der Berliner Akademie erwählten Künstler
die Natur seiner Heimath schildern: die holsteinische Haide oder die Geest,
das Bodenleben der feuchten Niederungen oder sterilen Campagnen weiß er


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[0442] stehenden Felde ist schwach vertreten: H. Gärtner's edler Wohllaut fehlt in dem Concert, wenn auch Hummel in Weimar, R. Hoffmann in Wien, Rau in Dresden achtungswerthe Kraft der Composition zeigen und Dreber- Franz in Rom mit einem colossalen Bilde den kühnen Versuch wagt, eine ganze Gebirgswelt auf ein Mal zu schildern, ein Bild, das leider zugleich Leiter und Loupe verlangt, um gewürdigt werden zu können. Ein einziges französisches Bild, P. Fla ndrin's „Erinnerung aus der römischen Campagna" — freilich sehr absichtsvoll und monoton stilisirt — zählt in diese Classe. Um so lebhafter wird es im Bereich der Veduten- und landschaftlichen Stimmungsmalerei. Und sie hat treffliche Dinge auf¬ zuweisen, obgleich die erste Größe dieser zweiten Reihe. Lessing, fehlt, den wir hier weit mehr vermissen als im Historienfach. Wem die Brüder Andreas und Oswald Ueberhand das ^ und 0 der Landschaftskunst scheinen — so sind sie in Düsseldorf alles Ernstes genannt worden — der vergißt, daß wenn nicht zwischen, so doch außerhalb ihrer eben noch ein ganzes Alsaber von Möglichkeiten Platz hat. So schön Andreas complicirte Form- und Lichteffecte zur Geltung zu bringen weiß — wie hier in einem holländischen Motiv — seine künstlerische Bildung schützt ihn so wenig vor Dürftigkeiten wie den Bruder Oswald seine größere Fertigkeit und das beschleunigte Tempo der Mache vor Häßlichkeiten bewahrt. Sein Stolz ist, an Italien nun einmal blos das Ordinäre zu sehn und in seinen Bildern sagen zu können: das Land, wo die Orangen blühn, besteht aus eitel Dreck und Feuer. Nun wol, man muß ihm glauben; denn was er macht, ist unwidersprechlich: gewiß, so wie er's malt, sieht es aus, wenn die neapolitanischen Fischer beim Scirocco am Quai entlang lungern oder wenn ein Cardinal, von den tuoelü des Land¬ pöbels begrüßt, die verwitterten Stufen einer römischen Bergstadt herabstrahlt, und für den Preis, den diese Veduten machen, kann man hingehn, um sich mit eigenen Augen zu überzeugen. Aber das wird Alles mit einer gewissen Schadenfreude als die Wirklichkeit Italiens den Idealisten vors Gesicht ge¬ rückt. Von Goethe zeichnete bekanntlich einst Jemand ein Porträt, als der Göttersohn gerade zum Fenster hinaussah. Es war frappant getroffen — aber von hinten. — Mit ganz andrem Sinne und doch ohne alle Prciten- tion und Schwärmerei, sondern hübsch nüchtern und real erfaßt Valen¬ tin Ruths in Hamburg seine italienischen Motive: da ist die Zeichnung der Form, welche die Natur wirklich hat, nicht weggeleugnet und die freie klare Modellirung des Terrains mit dem Tastsinn verfolgt, der den inwohnenden Rhythmus nachzuempfinden vermag. Lieber noch sehen wir den wenig be¬ kannten , kürzlich zum Mitgliede der Berliner Akademie erwählten Künstler die Natur seiner Heimath schildern: die holsteinische Haide oder die Geest, das Bodenleben der feuchten Niederungen oder sterilen Campagnen weiß er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/442>, abgerufen am 25.08.2024.