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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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von Meissonnier, aber auch die Inferiorität, obwohl das beste seiner in
München ausgestellten Bilder, "die Verhaftung des Spions", ein Meister¬
stück der Gattung, in der dramatischen Bewegung über Meissonnier hinaus¬
geht. Neben ihm stehen Trayer und Anton Seid in München, beide
mit ähnlichen Mitteln Stoffe aus der Sphäre des ländlichen oder kleinstädti¬
schen Lebens behandelnd, der deutsche besonders durch feine Physiognomik der
Köpfe und Hände hervorragend. Eleganter und mechanischer schon erscheint
der Spanier Zamacois. Er und Comte (hier mit seinen unpassender
Weise wie auf Porcellan gemalten Wachtsoldaten im Katzenjammer) bildet
den Uebergang zu den Malern der Salonscenen. Goupil mit den stark
parfümirten, aber nichtsdestoweniger sehr lebenswahren Damenbildchen ist
nur durch ein kleines Solostück (Mädchen mit Fächer) von schalkhafter Nettig¬
keit vertreten, Stevens dagegen durch eine Gruppe in größerem Format,
eine "Trauervisite", aus der uns die graziöse Gedankenlosigkeit der Pariser
Modeexistenz mit eigenthümlichem Zauber anredet. Auch August v. Hey-
den in Berlin, dessen großes skizzenhaft behandeltes Geschichtsbild "Luther
und Frundsberg" eine mißlungene Vergrößerung zu nennen ist, da sie ihre
Figuren dem Auge wie mit dem Tubus aufdrängt, gehört mit einem sehr
hübschen, trocken doch geschmackvoll behandelten Genrestück, "die alte Chronik"
(zwei Damen in altfranzösischen Kostüm, denen ein Geistlicher vorliest), in
diese Reihe. Wir schließen sie mit Erwähnung des Jtalieners Jduno, der
sein Rokoko-Familienstück sauber und liebevoll vorträgt, und mit dem Fein¬
schmecker Brillouin und seinen etwas preciös vorgetragenen Einzelmotiven
aus entlegener Zeit. In Avancon haben wir dann den Schalk der Rich¬
tung zu erkennen. Er gibt in einem den Stil und das Kostüm des töten
Jahrhunderts meisterlich parodirenden Bildchen "Nonsisur 1ö vkuxlrm" zum
Besten, einen halbwüchsigen Vollblut-Valois, der sein livrs ä'nsures auf den
Stuhl geworfen hat und sich mit der Energie eines gründlich gelangweilten
Bürschchens dem königlichen Vergnügen widmet, mit der hohlen Hand Fliegen
zu fangen. Wenn nur das Fliegenfänger nicht schließlich auch Geschäft der
Kommas du edle auf dem geschilderten Gebiete wird!

Recht vollzählig und in trefflichen Proben sind die heutigen Haupt¬
meister des deutschen Genrebildes beisammen: Vautier, Meyerheim,
Kraus, dessen ergötzliches Kinderbild "Wie die Alten sungen :c." seinen in
Composition etwas saloppen und im Colorit flauen Darstellungen neueren
Datums wieder den munterem, kräftigeren Ton entgegengesetzt, der mehr
an seine frühen, trotz einer gewissen Unfreiheit der Färbung doch besten Ar¬
beiten erinnert. Auch Hagn muß hier genannt werden, der altmünchener
Kleinleben sehr liebenswürdig und mit feingestimmter an Watteau gebildeter
Farbe schildert. Sodann fehlen auch Sale mein und Enhuber nicht, leider


von Meissonnier, aber auch die Inferiorität, obwohl das beste seiner in
München ausgestellten Bilder, „die Verhaftung des Spions", ein Meister¬
stück der Gattung, in der dramatischen Bewegung über Meissonnier hinaus¬
geht. Neben ihm stehen Trayer und Anton Seid in München, beide
mit ähnlichen Mitteln Stoffe aus der Sphäre des ländlichen oder kleinstädti¬
schen Lebens behandelnd, der deutsche besonders durch feine Physiognomik der
Köpfe und Hände hervorragend. Eleganter und mechanischer schon erscheint
der Spanier Zamacois. Er und Comte (hier mit seinen unpassender
Weise wie auf Porcellan gemalten Wachtsoldaten im Katzenjammer) bildet
den Uebergang zu den Malern der Salonscenen. Goupil mit den stark
parfümirten, aber nichtsdestoweniger sehr lebenswahren Damenbildchen ist
nur durch ein kleines Solostück (Mädchen mit Fächer) von schalkhafter Nettig¬
keit vertreten, Stevens dagegen durch eine Gruppe in größerem Format,
eine „Trauervisite", aus der uns die graziöse Gedankenlosigkeit der Pariser
Modeexistenz mit eigenthümlichem Zauber anredet. Auch August v. Hey-
den in Berlin, dessen großes skizzenhaft behandeltes Geschichtsbild „Luther
und Frundsberg" eine mißlungene Vergrößerung zu nennen ist, da sie ihre
Figuren dem Auge wie mit dem Tubus aufdrängt, gehört mit einem sehr
hübschen, trocken doch geschmackvoll behandelten Genrestück, „die alte Chronik"
(zwei Damen in altfranzösischen Kostüm, denen ein Geistlicher vorliest), in
diese Reihe. Wir schließen sie mit Erwähnung des Jtalieners Jduno, der
sein Rokoko-Familienstück sauber und liebevoll vorträgt, und mit dem Fein¬
schmecker Brillouin und seinen etwas preciös vorgetragenen Einzelmotiven
aus entlegener Zeit. In Avancon haben wir dann den Schalk der Rich¬
tung zu erkennen. Er gibt in einem den Stil und das Kostüm des töten
Jahrhunderts meisterlich parodirenden Bildchen „Nonsisur 1ö vkuxlrm" zum
Besten, einen halbwüchsigen Vollblut-Valois, der sein livrs ä'nsures auf den
Stuhl geworfen hat und sich mit der Energie eines gründlich gelangweilten
Bürschchens dem königlichen Vergnügen widmet, mit der hohlen Hand Fliegen
zu fangen. Wenn nur das Fliegenfänger nicht schließlich auch Geschäft der
Kommas du edle auf dem geschilderten Gebiete wird!

Recht vollzählig und in trefflichen Proben sind die heutigen Haupt¬
meister des deutschen Genrebildes beisammen: Vautier, Meyerheim,
Kraus, dessen ergötzliches Kinderbild „Wie die Alten sungen :c." seinen in
Composition etwas saloppen und im Colorit flauen Darstellungen neueren
Datums wieder den munterem, kräftigeren Ton entgegengesetzt, der mehr
an seine frühen, trotz einer gewissen Unfreiheit der Färbung doch besten Ar¬
beiten erinnert. Auch Hagn muß hier genannt werden, der altmünchener
Kleinleben sehr liebenswürdig und mit feingestimmter an Watteau gebildeter
Farbe schildert. Sodann fehlen auch Sale mein und Enhuber nicht, leider


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[0440] von Meissonnier, aber auch die Inferiorität, obwohl das beste seiner in München ausgestellten Bilder, „die Verhaftung des Spions", ein Meister¬ stück der Gattung, in der dramatischen Bewegung über Meissonnier hinaus¬ geht. Neben ihm stehen Trayer und Anton Seid in München, beide mit ähnlichen Mitteln Stoffe aus der Sphäre des ländlichen oder kleinstädti¬ schen Lebens behandelnd, der deutsche besonders durch feine Physiognomik der Köpfe und Hände hervorragend. Eleganter und mechanischer schon erscheint der Spanier Zamacois. Er und Comte (hier mit seinen unpassender Weise wie auf Porcellan gemalten Wachtsoldaten im Katzenjammer) bildet den Uebergang zu den Malern der Salonscenen. Goupil mit den stark parfümirten, aber nichtsdestoweniger sehr lebenswahren Damenbildchen ist nur durch ein kleines Solostück (Mädchen mit Fächer) von schalkhafter Nettig¬ keit vertreten, Stevens dagegen durch eine Gruppe in größerem Format, eine „Trauervisite", aus der uns die graziöse Gedankenlosigkeit der Pariser Modeexistenz mit eigenthümlichem Zauber anredet. Auch August v. Hey- den in Berlin, dessen großes skizzenhaft behandeltes Geschichtsbild „Luther und Frundsberg" eine mißlungene Vergrößerung zu nennen ist, da sie ihre Figuren dem Auge wie mit dem Tubus aufdrängt, gehört mit einem sehr hübschen, trocken doch geschmackvoll behandelten Genrestück, „die alte Chronik" (zwei Damen in altfranzösischen Kostüm, denen ein Geistlicher vorliest), in diese Reihe. Wir schließen sie mit Erwähnung des Jtalieners Jduno, der sein Rokoko-Familienstück sauber und liebevoll vorträgt, und mit dem Fein¬ schmecker Brillouin und seinen etwas preciös vorgetragenen Einzelmotiven aus entlegener Zeit. In Avancon haben wir dann den Schalk der Rich¬ tung zu erkennen. Er gibt in einem den Stil und das Kostüm des töten Jahrhunderts meisterlich parodirenden Bildchen „Nonsisur 1ö vkuxlrm" zum Besten, einen halbwüchsigen Vollblut-Valois, der sein livrs ä'nsures auf den Stuhl geworfen hat und sich mit der Energie eines gründlich gelangweilten Bürschchens dem königlichen Vergnügen widmet, mit der hohlen Hand Fliegen zu fangen. Wenn nur das Fliegenfänger nicht schließlich auch Geschäft der Kommas du edle auf dem geschilderten Gebiete wird! Recht vollzählig und in trefflichen Proben sind die heutigen Haupt¬ meister des deutschen Genrebildes beisammen: Vautier, Meyerheim, Kraus, dessen ergötzliches Kinderbild „Wie die Alten sungen :c." seinen in Composition etwas saloppen und im Colorit flauen Darstellungen neueren Datums wieder den munterem, kräftigeren Ton entgegengesetzt, der mehr an seine frühen, trotz einer gewissen Unfreiheit der Färbung doch besten Ar¬ beiten erinnert. Auch Hagn muß hier genannt werden, der altmünchener Kleinleben sehr liebenswürdig und mit feingestimmter an Watteau gebildeter Farbe schildert. Sodann fehlen auch Sale mein und Enhuber nicht, leider

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/440>, abgerufen am 25.08.2024.