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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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schildert, und Josef Brandt, welcher eine "Episode nach der Schlacht am
weißen Berge", Vorführung von Beutepferden, in einer Farbenstimmung gibt,
die in der gesammten Ausstellung, auch unter den Franzosen, an Geschmack
und Schönheit ihres Gleichen sucht. Beide der Münchener Kunstgenossen-
schaft angehörig, vertreten sie zwei verschiedene Seiten des modernen Rea¬
lismus in der ehrenvollsten Weise. --

Bei Revue der zahlreichen Gesichter, die uns aus dem beinahe endlosen
Gebiet des kleineren Genrebildes mit größerem oder geringerem Humor, fei¬
nerer oder breiterer Charakterschilderung, stillen oder bewegten Gemüthes an¬
setzn, muß ein Name abgesondert werden, der zwar auf den allerkleinsten Bild¬
chen zu lesen steht, aber an Bedeutung alle anderen überragt.

Meissonnier scheint nur aus Laune Cabinetsbilder zu malen. Was er
gibt, hat bei aller Reduction der Verhältnisse eine Großartigkeit und Breite,
eine Vollendung der Figurenauffassung, daß man große Compositionen wie
durch das verkehrte Opernglas zu sehen meint. Er liebt freilich. Gruppen
darzustellen, die in leichter beschaulicher Stimmung eben nur harmonischen
Zustand feiern, und er umgibt sie mit einem Comfort, an dem auch die kleinste
Kleinigkeit liebevoll gezeichnet ist, -- lauter eigenthümliche Züge des Genre¬
malers, die ihn als den Meister in diesem Gebiet erscheinen lassen; aber wenn
er daneben seine einsamen Figürchen sehen läßt, diese feingebildeten Naturen
-- wohl alle Junggesellen -- mit dem Anflug von philosophischem Humor oder
sanfter Schwermuth, dann erhebt er sich zu einer Charakteristik, in welcher er
von keinem Landsmann, ja von keinem Zeitgenossen überhaupt erreicht wird.
Es will uns dann räthselhaft erscheinen, daß er der Schilderei im Großen
wirklich nicht fähig sein soll, denn in diesen Cabinetsstücken ist keine Spur
von Kleinlichkeit, sondern die vollendetste Plastik der Körper, der höchste Ge¬
schmack im Arrangement. Aber ein anderes Räthsel hört dagegen auf: dies näm¬
lich, daß die Liebhaber für solche Bildchen von kaum 8 Zoll im Geviert bis
20.000 Francs bezahlen. Die drei Exemplare, die wir in München sehen
-- kartenspielende Soldaten, der lesende Mann im Lehnstuhl und ein Reiter¬
zug -- sind zugleich drei Gattungen und je in ihrer Weise fesselnd. Wenn
man auch die contemplative Einzelfigur, ein vollendet erfundenes Porträt,
vorziehen mag, die feine Gemüthsmalerei des erst- und die Subtilität des
letztgenannten, dessen Gestalten die Größe von Stecknadeln haben, können
nicht übertroffen werden. Nur der Loupe erschließen sich die discreten Details
dieser Bildchen, und wenn man sie beschaut, erwärmt die Empfindung, daß
man einen Mann vor sich sieht, dessen schöne Seele noch unendlich mehr
birgt. -- Am nächsten unter den Franzosen kommt ihm in Feinheit der
Figurenschilderung auf kleinster Fläche Eugöne Flehet, ursprünglich Schüler
von Delaroche. Auf den ersten Blick erkennt man seine Abhängigkeit


schildert, und Josef Brandt, welcher eine „Episode nach der Schlacht am
weißen Berge", Vorführung von Beutepferden, in einer Farbenstimmung gibt,
die in der gesammten Ausstellung, auch unter den Franzosen, an Geschmack
und Schönheit ihres Gleichen sucht. Beide der Münchener Kunstgenossen-
schaft angehörig, vertreten sie zwei verschiedene Seiten des modernen Rea¬
lismus in der ehrenvollsten Weise. —

Bei Revue der zahlreichen Gesichter, die uns aus dem beinahe endlosen
Gebiet des kleineren Genrebildes mit größerem oder geringerem Humor, fei¬
nerer oder breiterer Charakterschilderung, stillen oder bewegten Gemüthes an¬
setzn, muß ein Name abgesondert werden, der zwar auf den allerkleinsten Bild¬
chen zu lesen steht, aber an Bedeutung alle anderen überragt.

Meissonnier scheint nur aus Laune Cabinetsbilder zu malen. Was er
gibt, hat bei aller Reduction der Verhältnisse eine Großartigkeit und Breite,
eine Vollendung der Figurenauffassung, daß man große Compositionen wie
durch das verkehrte Opernglas zu sehen meint. Er liebt freilich. Gruppen
darzustellen, die in leichter beschaulicher Stimmung eben nur harmonischen
Zustand feiern, und er umgibt sie mit einem Comfort, an dem auch die kleinste
Kleinigkeit liebevoll gezeichnet ist, — lauter eigenthümliche Züge des Genre¬
malers, die ihn als den Meister in diesem Gebiet erscheinen lassen; aber wenn
er daneben seine einsamen Figürchen sehen läßt, diese feingebildeten Naturen
— wohl alle Junggesellen — mit dem Anflug von philosophischem Humor oder
sanfter Schwermuth, dann erhebt er sich zu einer Charakteristik, in welcher er
von keinem Landsmann, ja von keinem Zeitgenossen überhaupt erreicht wird.
Es will uns dann räthselhaft erscheinen, daß er der Schilderei im Großen
wirklich nicht fähig sein soll, denn in diesen Cabinetsstücken ist keine Spur
von Kleinlichkeit, sondern die vollendetste Plastik der Körper, der höchste Ge¬
schmack im Arrangement. Aber ein anderes Räthsel hört dagegen auf: dies näm¬
lich, daß die Liebhaber für solche Bildchen von kaum 8 Zoll im Geviert bis
20.000 Francs bezahlen. Die drei Exemplare, die wir in München sehen
— kartenspielende Soldaten, der lesende Mann im Lehnstuhl und ein Reiter¬
zug — sind zugleich drei Gattungen und je in ihrer Weise fesselnd. Wenn
man auch die contemplative Einzelfigur, ein vollendet erfundenes Porträt,
vorziehen mag, die feine Gemüthsmalerei des erst- und die Subtilität des
letztgenannten, dessen Gestalten die Größe von Stecknadeln haben, können
nicht übertroffen werden. Nur der Loupe erschließen sich die discreten Details
dieser Bildchen, und wenn man sie beschaut, erwärmt die Empfindung, daß
man einen Mann vor sich sieht, dessen schöne Seele noch unendlich mehr
birgt. — Am nächsten unter den Franzosen kommt ihm in Feinheit der
Figurenschilderung auf kleinster Fläche Eugöne Flehet, ursprünglich Schüler
von Delaroche. Auf den ersten Blick erkennt man seine Abhängigkeit


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[0439] schildert, und Josef Brandt, welcher eine „Episode nach der Schlacht am weißen Berge", Vorführung von Beutepferden, in einer Farbenstimmung gibt, die in der gesammten Ausstellung, auch unter den Franzosen, an Geschmack und Schönheit ihres Gleichen sucht. Beide der Münchener Kunstgenossen- schaft angehörig, vertreten sie zwei verschiedene Seiten des modernen Rea¬ lismus in der ehrenvollsten Weise. — Bei Revue der zahlreichen Gesichter, die uns aus dem beinahe endlosen Gebiet des kleineren Genrebildes mit größerem oder geringerem Humor, fei¬ nerer oder breiterer Charakterschilderung, stillen oder bewegten Gemüthes an¬ setzn, muß ein Name abgesondert werden, der zwar auf den allerkleinsten Bild¬ chen zu lesen steht, aber an Bedeutung alle anderen überragt. Meissonnier scheint nur aus Laune Cabinetsbilder zu malen. Was er gibt, hat bei aller Reduction der Verhältnisse eine Großartigkeit und Breite, eine Vollendung der Figurenauffassung, daß man große Compositionen wie durch das verkehrte Opernglas zu sehen meint. Er liebt freilich. Gruppen darzustellen, die in leichter beschaulicher Stimmung eben nur harmonischen Zustand feiern, und er umgibt sie mit einem Comfort, an dem auch die kleinste Kleinigkeit liebevoll gezeichnet ist, — lauter eigenthümliche Züge des Genre¬ malers, die ihn als den Meister in diesem Gebiet erscheinen lassen; aber wenn er daneben seine einsamen Figürchen sehen läßt, diese feingebildeten Naturen — wohl alle Junggesellen — mit dem Anflug von philosophischem Humor oder sanfter Schwermuth, dann erhebt er sich zu einer Charakteristik, in welcher er von keinem Landsmann, ja von keinem Zeitgenossen überhaupt erreicht wird. Es will uns dann räthselhaft erscheinen, daß er der Schilderei im Großen wirklich nicht fähig sein soll, denn in diesen Cabinetsstücken ist keine Spur von Kleinlichkeit, sondern die vollendetste Plastik der Körper, der höchste Ge¬ schmack im Arrangement. Aber ein anderes Räthsel hört dagegen auf: dies näm¬ lich, daß die Liebhaber für solche Bildchen von kaum 8 Zoll im Geviert bis 20.000 Francs bezahlen. Die drei Exemplare, die wir in München sehen — kartenspielende Soldaten, der lesende Mann im Lehnstuhl und ein Reiter¬ zug — sind zugleich drei Gattungen und je in ihrer Weise fesselnd. Wenn man auch die contemplative Einzelfigur, ein vollendet erfundenes Porträt, vorziehen mag, die feine Gemüthsmalerei des erst- und die Subtilität des letztgenannten, dessen Gestalten die Größe von Stecknadeln haben, können nicht übertroffen werden. Nur der Loupe erschließen sich die discreten Details dieser Bildchen, und wenn man sie beschaut, erwärmt die Empfindung, daß man einen Mann vor sich sieht, dessen schöne Seele noch unendlich mehr birgt. — Am nächsten unter den Franzosen kommt ihm in Feinheit der Figurenschilderung auf kleinster Fläche Eugöne Flehet, ursprünglich Schüler von Delaroche. Auf den ersten Blick erkennt man seine Abhängigkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/439>, abgerufen am 23.07.2024.