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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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vertreten. Fromentin's "arabische Tänzer" beanspruchen zwar hohen Rang
unter ihres Gleichen, allein der fette flüchtige Vortrag dieses teppichbunten
Gewirres, das nichts als den ungeschminkten Schein der Wirklichkeit geben
will, macht selbst gegen Horace Vernet's ins Arabisch übersetzte Pa¬
triarchen und Stammmutter Israels toleranter, die bei aller Racemäßig-
keit doch die künstlerische Umgangssprache einer durchgebildeten Form reden.
Auch von den Kriegsbildern des Bravsten der Braven auf der Leinwand ist
nur die bekannte Episode aus der Eroberung von Constantine "der Soldat
als Amme" ausgestellt, ein Bild, das freilich durch Glätte und Conventio¬
nalismus sehr von der rücksichtslosen Naturauffcissung abweicht, die heute
bei solchen Stoffen verlangt wird, das aber die Adepten des neuen Realis¬
mus, die es umlagern, an die künstlerischen Rechte der Linie mahnen kann.

Im Schlachtenfach ist Hippolhte Bellange' mit seinen "Kürassierer
von Waterloo" erschienen, einem kleinen Bilde, das die Wucht dramatischer
Massenwirkung durch tiefernstes Colorit steigernd seine Aufgabe meisterhaft
und ohne Phrase löst. Auch deutschen Malern wird das Kriegstheater
ein Feld der Ehren: Franz Adam in München gibt in seiner umfang¬
reichen Schilderung "nach der Schlacht von Solferino" ein ergreifendes, aber
von sicherer Hand des Darstellers beherrschtes Gemälde der Verwüstung und
jenes stupiden Zustandes der Betäubung, den ein geschlagenes Heer von der
Beschaffenheit der fremden Regimenter Oestreichs nach einem solchen Tage
bieten mag. Die gewählten Typen wirken im Gegensatz zu den Franzosen,
welche nicht mehr als Kämpfer, sondern als Mirleidende am Platze sind, fast
wie eine Illustration zu dem Wort von Frankreichs civilisatorischen Kriegen,
das dem kaiserlichen Redner am lOten Erinnerungstage des Ereignisses im
Lager zu Chalons entschlüpfte. Bedeutender noch scheint uns ein anderes kleines
Bild desselben Künstlers -- scheinbar ein Zoll poetischer Gerechtigkeit --: eine
Scene aus dem Rückzug der großen Armee aus Rußland, meisterhaft in
Local- und Wetterstimmung, sodaß sich die Gewalt eines ungeheuren Natur¬
ereignisses trotz des kleinen Maaßstabes nicht unvollkommener ausspricht, wie
bei Bellange'. Jllustrationsartiger. aber respeetabel genug nimmt sich daneben
Camphausens Begegnung der Sieger bei China aus. Massenwirkung und
Porträtzeichnung sind aber in allen Fällen schwer zu vereinbaren, namentlich
wo die geringe Zeitentfernung die Phantasie des Künstlers bindet. -- Zwei
außerordentliche Talente in naturwahrer Wiedergabe des Menschen- und
Thiermaterials, womit der Kriegsgott seine Spiele spielt, haben wir hier noch
hervorzuheben: Horschelt, den artistischen Begleiter der letzten kaukasischen
Expedition des russischen Heeres, der die Völkermenagerie jenes Kriegstheaters
in der Aufregung passiver Leidenschaften und im Zwange militärischen Dienstes
photographisch exakt und mit absoluter Glaubwürdigkeit der Auffassung ab-


vertreten. Fromentin's „arabische Tänzer" beanspruchen zwar hohen Rang
unter ihres Gleichen, allein der fette flüchtige Vortrag dieses teppichbunten
Gewirres, das nichts als den ungeschminkten Schein der Wirklichkeit geben
will, macht selbst gegen Horace Vernet's ins Arabisch übersetzte Pa¬
triarchen und Stammmutter Israels toleranter, die bei aller Racemäßig-
keit doch die künstlerische Umgangssprache einer durchgebildeten Form reden.
Auch von den Kriegsbildern des Bravsten der Braven auf der Leinwand ist
nur die bekannte Episode aus der Eroberung von Constantine „der Soldat
als Amme" ausgestellt, ein Bild, das freilich durch Glätte und Conventio¬
nalismus sehr von der rücksichtslosen Naturauffcissung abweicht, die heute
bei solchen Stoffen verlangt wird, das aber die Adepten des neuen Realis¬
mus, die es umlagern, an die künstlerischen Rechte der Linie mahnen kann.

Im Schlachtenfach ist Hippolhte Bellange' mit seinen „Kürassierer
von Waterloo" erschienen, einem kleinen Bilde, das die Wucht dramatischer
Massenwirkung durch tiefernstes Colorit steigernd seine Aufgabe meisterhaft
und ohne Phrase löst. Auch deutschen Malern wird das Kriegstheater
ein Feld der Ehren: Franz Adam in München gibt in seiner umfang¬
reichen Schilderung „nach der Schlacht von Solferino" ein ergreifendes, aber
von sicherer Hand des Darstellers beherrschtes Gemälde der Verwüstung und
jenes stupiden Zustandes der Betäubung, den ein geschlagenes Heer von der
Beschaffenheit der fremden Regimenter Oestreichs nach einem solchen Tage
bieten mag. Die gewählten Typen wirken im Gegensatz zu den Franzosen,
welche nicht mehr als Kämpfer, sondern als Mirleidende am Platze sind, fast
wie eine Illustration zu dem Wort von Frankreichs civilisatorischen Kriegen,
das dem kaiserlichen Redner am lOten Erinnerungstage des Ereignisses im
Lager zu Chalons entschlüpfte. Bedeutender noch scheint uns ein anderes kleines
Bild desselben Künstlers — scheinbar ein Zoll poetischer Gerechtigkeit —: eine
Scene aus dem Rückzug der großen Armee aus Rußland, meisterhaft in
Local- und Wetterstimmung, sodaß sich die Gewalt eines ungeheuren Natur¬
ereignisses trotz des kleinen Maaßstabes nicht unvollkommener ausspricht, wie
bei Bellange'. Jllustrationsartiger. aber respeetabel genug nimmt sich daneben
Camphausens Begegnung der Sieger bei China aus. Massenwirkung und
Porträtzeichnung sind aber in allen Fällen schwer zu vereinbaren, namentlich
wo die geringe Zeitentfernung die Phantasie des Künstlers bindet. — Zwei
außerordentliche Talente in naturwahrer Wiedergabe des Menschen- und
Thiermaterials, womit der Kriegsgott seine Spiele spielt, haben wir hier noch
hervorzuheben: Horschelt, den artistischen Begleiter der letzten kaukasischen
Expedition des russischen Heeres, der die Völkermenagerie jenes Kriegstheaters
in der Aufregung passiver Leidenschaften und im Zwange militärischen Dienstes
photographisch exakt und mit absoluter Glaubwürdigkeit der Auffassung ab-


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[0438] vertreten. Fromentin's „arabische Tänzer" beanspruchen zwar hohen Rang unter ihres Gleichen, allein der fette flüchtige Vortrag dieses teppichbunten Gewirres, das nichts als den ungeschminkten Schein der Wirklichkeit geben will, macht selbst gegen Horace Vernet's ins Arabisch übersetzte Pa¬ triarchen und Stammmutter Israels toleranter, die bei aller Racemäßig- keit doch die künstlerische Umgangssprache einer durchgebildeten Form reden. Auch von den Kriegsbildern des Bravsten der Braven auf der Leinwand ist nur die bekannte Episode aus der Eroberung von Constantine „der Soldat als Amme" ausgestellt, ein Bild, das freilich durch Glätte und Conventio¬ nalismus sehr von der rücksichtslosen Naturauffcissung abweicht, die heute bei solchen Stoffen verlangt wird, das aber die Adepten des neuen Realis¬ mus, die es umlagern, an die künstlerischen Rechte der Linie mahnen kann. Im Schlachtenfach ist Hippolhte Bellange' mit seinen „Kürassierer von Waterloo" erschienen, einem kleinen Bilde, das die Wucht dramatischer Massenwirkung durch tiefernstes Colorit steigernd seine Aufgabe meisterhaft und ohne Phrase löst. Auch deutschen Malern wird das Kriegstheater ein Feld der Ehren: Franz Adam in München gibt in seiner umfang¬ reichen Schilderung „nach der Schlacht von Solferino" ein ergreifendes, aber von sicherer Hand des Darstellers beherrschtes Gemälde der Verwüstung und jenes stupiden Zustandes der Betäubung, den ein geschlagenes Heer von der Beschaffenheit der fremden Regimenter Oestreichs nach einem solchen Tage bieten mag. Die gewählten Typen wirken im Gegensatz zu den Franzosen, welche nicht mehr als Kämpfer, sondern als Mirleidende am Platze sind, fast wie eine Illustration zu dem Wort von Frankreichs civilisatorischen Kriegen, das dem kaiserlichen Redner am lOten Erinnerungstage des Ereignisses im Lager zu Chalons entschlüpfte. Bedeutender noch scheint uns ein anderes kleines Bild desselben Künstlers — scheinbar ein Zoll poetischer Gerechtigkeit —: eine Scene aus dem Rückzug der großen Armee aus Rußland, meisterhaft in Local- und Wetterstimmung, sodaß sich die Gewalt eines ungeheuren Natur¬ ereignisses trotz des kleinen Maaßstabes nicht unvollkommener ausspricht, wie bei Bellange'. Jllustrationsartiger. aber respeetabel genug nimmt sich daneben Camphausens Begegnung der Sieger bei China aus. Massenwirkung und Porträtzeichnung sind aber in allen Fällen schwer zu vereinbaren, namentlich wo die geringe Zeitentfernung die Phantasie des Künstlers bindet. — Zwei außerordentliche Talente in naturwahrer Wiedergabe des Menschen- und Thiermaterials, womit der Kriegsgott seine Spiele spielt, haben wir hier noch hervorzuheben: Horschelt, den artistischen Begleiter der letzten kaukasischen Expedition des russischen Heeres, der die Völkermenagerie jenes Kriegstheaters in der Aufregung passiver Leidenschaften und im Zwange militärischen Dienstes photographisch exakt und mit absoluter Glaubwürdigkeit der Auffassung ab-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/438>, abgerufen am 23.07.2024.