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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Cordova, das einzige seiner bemalten Leinwandstücke, das wie ein Bild aus¬
sieht; der in Schmuz untergegangene spanische Typus der Modelle ist doch
nicht gänzlich umgebracht. Zuletzt: ein Paar rothe, braune, blaue, grüne
Flecke hinter einem gemalten Gitter, das aus völlig parallelen landlosen Baum¬
stämmen besteht: das ist "der Schwarzwald!" -- Hier ist weder Laune, noch
Erfindung, sondern eine grasse Wirklichkeit, wie sie etwa dem Huschisch¬
raucher erscheinen mag, zu Deutsch Delirium. Geistesverwandt, aber gehalt¬
voller ist Roybet ("siegender Page"); er verwechselt zwar derb mit tölpel¬
haft, wenn er charakterisirt, aber seine Farbe hat doch Saft und die Kostüme
sind mit kräftigem Handgelenk, breit und sicher vorgetragen. Damit haben wir
die Zunft beisammen. Den gesunden Grobian, von dem man das "emmem-
wsut Saulois" rühmen könnte, was jetzt als Ehrenprädikat auf literarischem
Gebiet Mode ist, sucht man vergebens. Blickt man ihnen herzhaft ins Ge¬
sicht, so entpuppen sie sich als Varietäten der Blasirtheit.

Ihnen gegenüber stehen die Erscheinungen, die in gesunder aber reflek-
tirter Art durch absichtliche Gelassenheit und Mäßigung oder durch Verzicht
auf (Komposition den großen Eindruck zu erzeugen streben. In dieser ganz
modernen BeHandlungsweise des Geschichts- und Sittenbildes begegnen wir
allen auf der Ausstellung vertretenen Nationen. Aus der-Reihe der Fran¬
zosen gehört neben Courbet (s. o.) Elie Delaunay hierher mit einem
Bilde, das eine nächtliche Episode aus der Geschichte der Stadt Rom wäh¬
rend der ersten christlichen Jahrhunderte zum Gegenstande hat -- Angriff
des Aesculaptempels bei einer Pestilenz --, ernst gedacht und gut gestimmt,
aber ganz von der Lockerheit des Aufbaues, die wie Zufall erscheint. In
einem zweiten Nachtstück stellt H. le Roux die Messalina dar, wie sie in
Gesellschaft ihrer Sclavin an der Thür eines Lupanars lauscht. Eugöne
le Roux gibt in der Versammlung nordfranzösischer Bauern an der Leiche
eines Landsmannes, der begraben werden soll, ein düsteres und ergreifendes
Bild des Respektes vor dem Tode; die Monotonie in Haltung der Figuren
und Arrangement des Ganzen wirkt hier außerordentlich drastisch. Ihnen
gesellen sich bei den Italienern Focosi, der Katharina von Medicis malt, die
ihren Sohn Karl d. IX. bestimmt, das Decret zur Ermordung der Huge¬
notten zu unterschreiben, eine trocken aber kernig colorirte, scharf belich¬
tete Gruppe, dann H ay ez in Mailand mit seiner Befreiung Vittore Pisani's,
und neben Anderen noch Faustini, der eine Verschwörungsscene aus dem
17. Jahrhundert in dieser Auffassungsweise, aber mit sehr feinem Halbdunkel-
Effekt vorführt. -- Unter den Niederländern finden wir diesen leidenschaftslosen
Vortrag, der ihnen vermöge ihrer Complexion am natürlichsten zu Gesicht
steht, bei zwei Meistern hohen Ranges wieder: auf dem Gebiete der Ge¬
schichtsillustration bei Gusfens, dessen Zeichnungen zu den leider zerstörten


Cordova, das einzige seiner bemalten Leinwandstücke, das wie ein Bild aus¬
sieht; der in Schmuz untergegangene spanische Typus der Modelle ist doch
nicht gänzlich umgebracht. Zuletzt: ein Paar rothe, braune, blaue, grüne
Flecke hinter einem gemalten Gitter, das aus völlig parallelen landlosen Baum¬
stämmen besteht: das ist „der Schwarzwald!" — Hier ist weder Laune, noch
Erfindung, sondern eine grasse Wirklichkeit, wie sie etwa dem Huschisch¬
raucher erscheinen mag, zu Deutsch Delirium. Geistesverwandt, aber gehalt¬
voller ist Roybet („siegender Page"); er verwechselt zwar derb mit tölpel¬
haft, wenn er charakterisirt, aber seine Farbe hat doch Saft und die Kostüme
sind mit kräftigem Handgelenk, breit und sicher vorgetragen. Damit haben wir
die Zunft beisammen. Den gesunden Grobian, von dem man das „emmem-
wsut Saulois" rühmen könnte, was jetzt als Ehrenprädikat auf literarischem
Gebiet Mode ist, sucht man vergebens. Blickt man ihnen herzhaft ins Ge¬
sicht, so entpuppen sie sich als Varietäten der Blasirtheit.

Ihnen gegenüber stehen die Erscheinungen, die in gesunder aber reflek-
tirter Art durch absichtliche Gelassenheit und Mäßigung oder durch Verzicht
auf (Komposition den großen Eindruck zu erzeugen streben. In dieser ganz
modernen BeHandlungsweise des Geschichts- und Sittenbildes begegnen wir
allen auf der Ausstellung vertretenen Nationen. Aus der-Reihe der Fran¬
zosen gehört neben Courbet (s. o.) Elie Delaunay hierher mit einem
Bilde, das eine nächtliche Episode aus der Geschichte der Stadt Rom wäh¬
rend der ersten christlichen Jahrhunderte zum Gegenstande hat — Angriff
des Aesculaptempels bei einer Pestilenz —, ernst gedacht und gut gestimmt,
aber ganz von der Lockerheit des Aufbaues, die wie Zufall erscheint. In
einem zweiten Nachtstück stellt H. le Roux die Messalina dar, wie sie in
Gesellschaft ihrer Sclavin an der Thür eines Lupanars lauscht. Eugöne
le Roux gibt in der Versammlung nordfranzösischer Bauern an der Leiche
eines Landsmannes, der begraben werden soll, ein düsteres und ergreifendes
Bild des Respektes vor dem Tode; die Monotonie in Haltung der Figuren
und Arrangement des Ganzen wirkt hier außerordentlich drastisch. Ihnen
gesellen sich bei den Italienern Focosi, der Katharina von Medicis malt, die
ihren Sohn Karl d. IX. bestimmt, das Decret zur Ermordung der Huge¬
notten zu unterschreiben, eine trocken aber kernig colorirte, scharf belich¬
tete Gruppe, dann H ay ez in Mailand mit seiner Befreiung Vittore Pisani's,
und neben Anderen noch Faustini, der eine Verschwörungsscene aus dem
17. Jahrhundert in dieser Auffassungsweise, aber mit sehr feinem Halbdunkel-
Effekt vorführt. — Unter den Niederländern finden wir diesen leidenschaftslosen
Vortrag, der ihnen vermöge ihrer Complexion am natürlichsten zu Gesicht
steht, bei zwei Meistern hohen Ranges wieder: auf dem Gebiete der Ge¬
schichtsillustration bei Gusfens, dessen Zeichnungen zu den leider zerstörten


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[0435] Cordova, das einzige seiner bemalten Leinwandstücke, das wie ein Bild aus¬ sieht; der in Schmuz untergegangene spanische Typus der Modelle ist doch nicht gänzlich umgebracht. Zuletzt: ein Paar rothe, braune, blaue, grüne Flecke hinter einem gemalten Gitter, das aus völlig parallelen landlosen Baum¬ stämmen besteht: das ist „der Schwarzwald!" — Hier ist weder Laune, noch Erfindung, sondern eine grasse Wirklichkeit, wie sie etwa dem Huschisch¬ raucher erscheinen mag, zu Deutsch Delirium. Geistesverwandt, aber gehalt¬ voller ist Roybet („siegender Page"); er verwechselt zwar derb mit tölpel¬ haft, wenn er charakterisirt, aber seine Farbe hat doch Saft und die Kostüme sind mit kräftigem Handgelenk, breit und sicher vorgetragen. Damit haben wir die Zunft beisammen. Den gesunden Grobian, von dem man das „emmem- wsut Saulois" rühmen könnte, was jetzt als Ehrenprädikat auf literarischem Gebiet Mode ist, sucht man vergebens. Blickt man ihnen herzhaft ins Ge¬ sicht, so entpuppen sie sich als Varietäten der Blasirtheit. Ihnen gegenüber stehen die Erscheinungen, die in gesunder aber reflek- tirter Art durch absichtliche Gelassenheit und Mäßigung oder durch Verzicht auf (Komposition den großen Eindruck zu erzeugen streben. In dieser ganz modernen BeHandlungsweise des Geschichts- und Sittenbildes begegnen wir allen auf der Ausstellung vertretenen Nationen. Aus der-Reihe der Fran¬ zosen gehört neben Courbet (s. o.) Elie Delaunay hierher mit einem Bilde, das eine nächtliche Episode aus der Geschichte der Stadt Rom wäh¬ rend der ersten christlichen Jahrhunderte zum Gegenstande hat — Angriff des Aesculaptempels bei einer Pestilenz —, ernst gedacht und gut gestimmt, aber ganz von der Lockerheit des Aufbaues, die wie Zufall erscheint. In einem zweiten Nachtstück stellt H. le Roux die Messalina dar, wie sie in Gesellschaft ihrer Sclavin an der Thür eines Lupanars lauscht. Eugöne le Roux gibt in der Versammlung nordfranzösischer Bauern an der Leiche eines Landsmannes, der begraben werden soll, ein düsteres und ergreifendes Bild des Respektes vor dem Tode; die Monotonie in Haltung der Figuren und Arrangement des Ganzen wirkt hier außerordentlich drastisch. Ihnen gesellen sich bei den Italienern Focosi, der Katharina von Medicis malt, die ihren Sohn Karl d. IX. bestimmt, das Decret zur Ermordung der Huge¬ notten zu unterschreiben, eine trocken aber kernig colorirte, scharf belich¬ tete Gruppe, dann H ay ez in Mailand mit seiner Befreiung Vittore Pisani's, und neben Anderen noch Faustini, der eine Verschwörungsscene aus dem 17. Jahrhundert in dieser Auffassungsweise, aber mit sehr feinem Halbdunkel- Effekt vorführt. — Unter den Niederländern finden wir diesen leidenschaftslosen Vortrag, der ihnen vermöge ihrer Complexion am natürlichsten zu Gesicht steht, bei zwei Meistern hohen Ranges wieder: auf dem Gebiete der Ge¬ schichtsillustration bei Gusfens, dessen Zeichnungen zu den leider zerstörten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/435>, abgerufen am 22.07.2024.